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       # taz.de -- Kolumbiens Linksregierung: Tiefe Ernüchterung an der Macht
       
       > Sie war die Hoffnungsträgerin der „Niemanden“ in Kolumbien. Heute ist
       > Francia Márquez, die erste Schwarze Vizepräsidentin, enttäuscht und
       > entmachtet.
       
   IMG Bild: Francia Márquez Mitte März bei einer Demonstration für von der Regierung geplante Reformen in Cali
       
       Bogotá taz | Es ist der vorläufige Schlusspunkt eines politischen
       Aufstiegs: Ende Februar hat Kolumbiens Präsident Gustavo Petro bei seinem
       neuesten Kabinettsumbau Francia Máquez als Gleichstellungsministerin durch
       den afrokolumbianischen Anthropologen Carlos Rosero ersetzt. Jetzt hat auch
       noch das Oberverwaltungsgericht den Parteienstatus ihrer Bewegung „Soy
       Porque Somos“ (Ich bin, weil wir sind) aufgehoben. Damit verliert Soy
       Porque Somos die staatliche Finanzierung und kann keine eigenen
       Kandidat:innen für die Wahl 2026 aufstellen. Die beiden Pfeiler des
       politischen Spitzenamts der ersten Schwarzen Vizepräsidentin Kolumbiens
       sind abgesägt.
       
       So groß die Begeisterung war, als Francia Márquez 2022 an der Seite des
       Linken Gustavo Petro gewählt wurde, so schnell kam die Ernüchterung.
       Márquez (42) hat in ihren wenigen Interviews klargemacht, dass sich in der
       Politik weit weniger bewegen lässt, als sie sich als Aktivistin erhofft
       hatte. Dazu käme Rassismus, Klassendenken, die Belastung für ihre Familie.
       
       Die Reisen in die Regionen fehlen ihr genauso wie der Kontakt zu den
       Menschen, der bei dem strengen Sicherheitsprotokoll schwierig ist. Ihre
       Kinder musste sie außer Landes schicken, ihr Partner kommt nur gelegentlich
       in die Hauptstadt, ihr fehle ihre Gemeinschaft. So offen sprechen
       Politiker:innen selten über ihre Gefühle.
       
       Die Afokolumbianerin stammt aus der Region Cauca, kennt Armut,
       Diskriminierung und Krieg. Sie führte den Widerstand gegen eine
       Bergbaufirma an, die den Fluss umleiten wollte, von dem ihre Gemeinschaft
       lebt. Sie bekam dafür unter anderem den Goldman-Preis – und Morddrohungen
       und Attentate. Sie musste fliehen, putzte, um als Alleinerziehende ihre
       Kinder durchzubringen, studierte Jura.
       
       ## Kulturschock im Regierungssitz
       
       [1][Im Wahlkampf stieg sie geradezu zur Lichtgestalt auf]. Für viele
       Kolumbianer:innen gab sie den Ausschlag, Gustavo Petro zum ersten
       linken Präsidenten zu wählen. Márquez hat Charisma, kleidet in
       verständliche Worte, was viele in einem der ungleichsten Länder der Welt
       fühlen und was sie selbst erlebt hat. Sie machte Umweltschutz als linkes
       Thema groß. Allein ihre Präsenz war für viele wie ein kolumbianischer Traum
       – und eine Kampfansage an die etablierten Eliten.
       
       Die Ankunft in der Vizepräsidentschaftsresidenz war ein krasser Wechsel. In
       ihr Büro hängte sie afrokolumbianische Kunst zwischen den Prunk. Ihre
       Kleidung von einem jungen afrokolumbianischen Designer vom Pazifik
       kontrastierte mit den Livreen der Bediensteten, die wie in einem anderen
       Jahrhundert Kaffee in goldverzierten Tässchen reichten.
       
       Ihre direkte Sprache, im Wahlkampf ein Pluspunkt, wurde zum Problem. Als
       die Chefredakteurin des rechtspopulistischen Boulevardmagazins Semana sie
       im Interview auf den Hubschrauber ansprach, mit dem sie nach Hause nach
       Cauca reiste, platzte ihr hörbar der Kragen. Ihr stünde das als
       Vizepräsidentin zu, [2][antwortete Márquez ungewohnt brüsk]. Die
       Ausschnitte gingen viral – und spielten denen in die Hände, die in ihr
       stets einen gierigen Emporkömmling sahen.
       
       Dass die Gegend, in der ihr Haus steht, tatsächlich gefährlich ist und das
       Sicherheitsargument für den Hubschrauber sprach, ging unter. Attentate hat
       sie schon erlebt: 2024 traf eine Kugel einen Wagen ihres
       Sicherheitskonvois, als sie in ihrer Heimatgegend unterwegs war. Im selben
       Jahr wurde auf das Auto geschossen, in dem sich ihr Vater und ihr sechs
       Jahre alter Neffe befanden. Die Täter waren in klassischer
       Auftragsmördermanier auf einem Motorrad unterwegs – die Ermittlungen
       versandeten.
       
       Die Beziehung zwischen Petro und Márquez hat längst offensichtliche Risse,
       [3][Personalentscheidungen Petros hat sie offen kritisiert]. Sie betont
       zwar, dass es noch politische Gemeinsamkeiten gibt, aber das scheinen nicht
       mehr viele zu sein, wie eben auch ihr Rauswurf als
       Gleichstellungsministerin zeigt.
       
       Im Wahlkampf hatte Márquez noch gesagt, sie wolle einmal Präsidentin
       Kolumbiens werden. Inzwischen winkt sie ab. Heute sagt sie nur noch, sie
       wolle ihre Vizepräsidentschaft zu Ende bringen. Von dem Amt kann Petro sie
       nicht verdrängen – sie ist direkt vom Volk gewählt.
       
       24 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Praesidentschaftswahl-in-Kolumbien/!5855528
   DIR [2] https://www.infobae.com/colombia/2023/06/20/de-malas-francia-marquez-explico-la-razon-de-su-polemica-frase/
   DIR [3] /Regierungskrise-in-Kolumbien/!6065158
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
       ## TAGS
       
   DIR Gustavo Petro
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Kolumbien
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   DIR Lesestück Recherche und Reportage
       
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