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       # taz.de -- Kolumne Models: Fettfreie Wesen
       
       > Normale Frauen will im Modezirkus niemand. "Kein Essen ist so gut wie das
       > Gefühl, dünn zu sein", sagte Kate Moss. Endlich schaut man wieder in den
       > hungrigen Schlund der Modeindustrie.
       
   IMG Bild: Kate Moss bei Dolce & Gabbana.
       
       Kate Moss spricht nicht gern. Doch ihre kürzliche Einsicht muss der
       Modewelt auf der Zunge zergangen sein wie Zero-Zucker-fat-free-Bonbons:
       "Kein Essen ist so gut wie das Gefühl, dünn zu sein." Dabei hatte sich die
       britische Modepresse in den letzten Monaten so enthusiastisch darum bemüht,
       üppige Starlets zu den neuen Rollenmodellen des realen Lebens zu küren. Auf
       der ersten Ausgabe des Magazins Love, entwickelt von Englands legendärster
       Stylistin Katie Grand, erschien die sehr kurvige Gossip-Frontfrau Beth
       Ditto auf ihrem Cover, als Manifest wahrer Schönheit.
       
       Ein Jahr später kehrt man auch bei Love nüchtern zurück zum wahren
       Kerngeschäft. Titelgeschichte: "Die schönsten Frauen der Erde ziehen sich
       aus und sagen uns, wie sich das anfühlt." Zu sehen ist eine Armee aus
       fettfreien 1,80 Meter großen Wesen, die in brutalster Helmut-Newton-Manier
       mit rasierter Scham und auf Killerheels ihre grotesk perfekte Nacktheit
       präsentieren.
       
       Eigentlich ist es fast heilsam. Denn endlich schaut man wieder ungefiltert
       in den hungrigen Schlund der Modeindustrie. Niemand wollte jemals normale
       Frauen, sie passten der Industrie nur gerade gut ins Konzept von neuer
       Bescheidenheit während der saftlosen Krisenmonate. Doch Teenager mit Armen
       wie Trommelstöcke sind wieder da; und um die damit zu erwartenden Angriffe
       abzuwehren, hält das ein oder andere Magazin gern die Autonomie von Kunst
       wie ein Schutzschild vor sich.
       
       So wurden für die aktuelle Ausgabe der Londoner Hochglanzfibel Pop,
       inzwischen geleitet von Roman Abramowitschs Model-Mode-Kunst-Freundin Dasha
       Zhukova, Künstlersenioren wie Allen Jones oder Richard Prince eingespannt,
       die sich in der Welt aus Model-Karteikarten scheinbar bedienen durften wie
       im Bonbonbladen.
       
       Für das Cover fotografierte Prince nun ein Mädchen, das laut ihrem Pass 22
       ist. Sie steht breitbeinig auf einer Höllenmaschine, trägt einen winzigen
       Bikerfetzen und sieht aus wie zwölf. Neben das Bild hat Meister Prince sein
       Autogramm gesetzt, begleitet von den Worten "Bang Bang". Sexualisierung?
       Das ist Kunst! Pop-Art-Comic-Versätze à la Rauschenberg!
       
       Diese Kollaboration von Prince und Pop soll provozieren, doch sie ist nur
       peinlich. Im vergangenen Jahr wurde eine Arbeit von Richard Prince, die
       Abbildung der nackten, zehnjährigen Brooke Shields, aus einer Ausstellung
       in der Tate Modern entfernt. Daraufhin, so wirkt es, versucht sich Pop nun
       in der Rolle des aufgeschlossenen Kunstförderers. Richard, wenn der
       Whitecube zu feige ist, kannst du dich zumindest in der Modewelt austoben!
       Wir stellen dir sogar das Material! 
       
       Doch im Gegensatz zur Tate geht Pop nicht das geringste Risiko ein und
       schummelt sich mit Hilfe von Photoshop und anderen Spielereien an der
       möglichen Zensur relativ dreist vorbei: Das Coverfoto mit Motorrad ist noch
       einmal im Heft zu sehen, doch auf dieser Version blitzt plötzlich der
       kindliche Schambereich des Models hervor. Zumindest glaubt man das, richtig
       erkennbar ist es nicht, denn das Bild wurde bewusst auf die Größe von zwei
       Briefmarken geschrumpft. Auf dem Cover ist dieses winzige Detail
       scheinheilig und dank Fotoshop auf einmal verschwunden. Was bleibt, ist der
       an sich schon irritierende Anblick eines 40-Kilogramm-Mädchens. Kein Essen
       ist so gut wie das Gefühl, dünn zu sein.
       
       15 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Grosse
       
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