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       # taz.de -- Kommentar Freispruch von Šešelj: Der Brandstifter bleibt unversehrt
       
       > Der serbische Nationalist Vojislav Šešelj wurde vom Vorwurf der
       > Kriegsverbrechen freigesprochen. Doch vor der Geschichte bleibt er
       > schuldig.
       
   IMG Bild: Vojislav Šešelj am 31. März bei einer Pressekonferenz
       
       Zuerst haben die Menschen in Bosnien und in Kroatien die Nachricht über den
       Freispruch von Vojislav Šešelj für einen schlechten Scherz gehalten. Auch
       in Serbien war die Überraschung perfekt, selbst Šešelj hatte nicht mit
       diesem Urteil gerechnet. Denn er hatte das Gericht immer als Instrument des
       Westens betrachtet, Serbien zu demütigen. Doch auch nach dem Spruch in Den
       Haag bleibt er vor der Geschichte schuldig.
       
       Als Šešelj 1989 seine Tschetnikbewegung gründete, gab er den Ton für die
       nationalistisch-faschistische Bewegung in Serbien vor. Der ehemalige
       Kommunist, der Mitte der 80er Jahre zum glühenden Nationalisten
       konvertierte, wurde zum Ideologen eines ethnisch reinen Großserbiens, das
       alle Serben, die in Jugoslawien lebten, in einem Staat zusammenfassen
       wollte.
       
       In einer Vielvölkerregion, wie es der Balkan nun einmal ist, bedeutet diese
       Strategie von vornherein, Kriege zu provozieren und die Vertreibung und
       Ermordung aller Nichtserben aus den von Serben beanspruchten Gebieten
       durchzuführen.
       
       Šešeljs Tschetniktruppen aus Hooligans und Kriminellen waren 1989 die
       ersten paramilitärischen Verbände. Die später im Krieg von ihm politisch
       beeinflussten Truppen wie die der „Weißen Adler“ und „Gelben Wespen“
       begingen zweifelsfrei große Verbrechen in der zu Kroatien gehörenden Region
       Slawonien, in Vukovar und in Ostbosnien, sie waren beteiligt an der
       Ermordung Hunderter in der Kleinstadt Visegrád an der Drina, in Ovčari und
       später dann im Kosovo.
       
       ## Wirres Verhalten kam ihm zugute
       
       Šešelj war schlau genug, niemals direkt als militärischer Kommandeur
       aufzutreten, wie andere es taten. Er hatte ständig Krach mit ihnen und
       sogar mit Präsident Slobodan Milošević, mit dem er mal koalierte und den er
       mal bekämpfte. Das wirre Verhalten Šešeljs ist ihm jetzt im Urteil
       zugutegekommen.
       
       Die Aussage des Gerichts, für Großserbien einzutreten sei Politik und kein
       Verbrechen, macht die allerdings fragwürdige Haltung des Gerichts deutlich.
       Dass das UN-Tribunal die Ideologen des Völkermords nicht zur Verantwortung
       ziehen will, war schon in anderen Prozessen deutlich geworden.
       
       Die serbische Öffentlichkeit interpretiert diesen Freispruch trotz der
       Verurteilung des Serbenführer Radovan Karadžić vor einer Woche als
       Entlastung für die Serben insgesamt. Und Šešelj hat jetzt sogar die Chance,
       bei den Wahlen am 25. April triumphal ins serbische Parlament
       zurückzukehren.
       
       Die Aufarbeitung der Verbrechen der 90er Jahre wird nun noch schwerer
       fallen. Weil Šešelj weiterhin für Großserbien kämpfen will, wird sich die
       Atmosphäre in der Region wieder verschlechtern. Und ob mit Šešelj als
       EU-Gegner und Russlandfreund die Pro-EU-Strategie der jetzigen Regierung
       durchgesetzt werden kann, ist fraglich.
       
       31 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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