URI: 
       # taz.de -- Kommentar Klimaschutz: Nur die Bäume wissen, wie's geht
       
       > Fotosynthese können Menschen nicht nachahmen. Umso wichtiger ist es, den
       > Klimaschutz voranzutreiben. Zum Beispiel, indem man Bäume pflanzt.
       
   IMG Bild: Der kann was, was Menschen nicht können – nämlich Fotosynthese
       
       Flüge zum Mars soll es bald geben, und an der menschlichen DNA wird
       herumgeschraubt. Die Antimaterie wurde gefunden, Sexroboter mit künstlicher
       Intelligenz drängen auf den Markt, und „Organschweine“ auch – Tiere also,
       gezüchtet, um mit ihren Organen menschliche Organe zu ersetzen. Nur das,
       was Bäume können – das kann der Mensch nicht wirklich, zumindest nicht im
       großen Stil: Kohlendioxid mit Hilfe von Sonnenlicht in Glucose und
       Sauerstoff umwandeln. Der Prozess heißt Fotosynthese. Durch ihn wurde Leben
       auf der Erde erst möglich.
       
       So eine Fotosynthese in großem Stil wäre jetzt aber nötig. Denn dass zu
       viel Kohlendioxid da ist, und dass das Schlimmes anrichten kann – Dürren,
       Überflutungen, Feuersbrünste, Orkane, Fischsterben –, das müsste inzwischen
       selbst den „Klimaskeptikern“ im Land klar sein. Selbst sie schwitzen und
       hoffen auf Kühlung. Dass der Klimawandel zudem Hungersnöte und
       untergegangene Inseln, abschmelzende Polkappen und Gletscher, Versteppungen
       und soziale Verwüstungen im Angebot hat, mag die Leute, die sich nur ums
       Eigene kümmern, weniger stören. Warum? Weil das anderswo stattfindet.
       Glauben sie.
       
       Neben aller Erkenntnis, die dieser Sommer bietet, hat die Dürre
       möglicherweise einen positiven Zug: Nun nämlich sind auch Leute dem
       [1][Extremwetter ausgeliefert], die sich sonst einen Dreck um Jahreszeiten
       und Niederschlagsmengen scheren. War es ihnen zu kalt, sind sie ins Warme
       geflogen. Ist es ihnen jetzt zu warm, werden sie erst Island
       massentouristisch erobern, dann den Südpol.
       
       Aber Zynismus nutzt nichts, denn wer um die Zusammenhänge weiß, ist einem
       Gefühl der Ohnmacht ausgesetzt. Nur wird das lieber abgewehrt. Die
       Besorgten werden Vegetarier und [2][verzichten vielleicht fortan aufs
       Auto]. „Kleinkram, das bringt doch nichts“, meinen hingegen die anderen –
       und verzichten auf nichts. So sehr die Verantwortungslosigkeit Letzterer zu
       kritisieren ist, da ist auch was dran an dem, was sie sagen.
       
       ## Das Gefühl der Ohnmacht steigt ins Unermessliche
       
       Denn das Problem ist mittlerweile immens, aber die industrielle
       Fotosynthese in großem Stil, die das Kohlendioxid umwandeln könnte, gibt es
       nicht. Nur die Bäume wissen, wie’s geht. Diese aber werden eher abgeholzt,
       weil sie im Weg stehen oder für den Profit gebraucht werden. Wer das
       unmöglich findet, macht in seiner Ohnmacht drei Eimer Wasser voll und
       [3][gießt den nächsten Straßenbaum].
       
       Jetzt haben Wissenschaftler diesen Sommer [4][auch wieder betont], was sie
       schon seit Jahren vermuten, dass selbst eine Erwärmung um 2 Grad, wie im
       Pariser Klimaabkommen 2015 als Höchstwert vereinbart, unkontrollierbare
       Kettenreaktionen auslösen könnte, die das Auftauen der Permafrostböden und
       das Abschmelzen der Pole nicht stoppt. Selbst einen Meeresspiegelanstieg
       von bis zu 60 Metern halten Wissenschaftler in den schlimmsten Szenarien
       nicht für unmöglich. Nachrichten, die das Gefühl der Ohnmacht ins
       Unermessliche steigern.
       
       Denn Stand der Dinge ist: Das, was den Klimakollaps durch eine technische
       Lösung verhindern könnte, ist nicht bekannt oder technisch nicht möglich.
       Sonnensegel vor die Sonne hängen, künstlich Aerosole in die Atmosphäre
       pumpen – das sind Ideen, die mit so vielen Nachteilen verbunden sind, dass
       Forscher und Forscherinnen warnen, man solle die Finger davon lassen.
       
       Sofortmaßnahmen aber, die die Klimaerwärmung verlangsamen könnten, werden
       von der Politik nicht umgesetzt. Sofort etwa müsste damit aufgehört werden,
       [5][Kohle zu verstromen]. Sofort müssten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf
       allen Straßen gelten. Sofort müssten [6][Inlandsflüge verboten] werden,
       müsste Kerosin- und Mehrwertsteuer auf Auslandsflüge erhoben werden. Sofort
       müsste die Industrie für ihren CO2-Ausstoß stärker zur Kasse gebeten
       werden. Sofort müsste die Landwirtschaft auf umweltverträgliche
       Bewirtschaftung umschwenken.
       
       Allein, die Bundesregierung unternimmt nichts. Lobbyismus der Flugbranche,
       der Kohle-, Auto- und Agroindustrie verhindern es. Immerhin, ein
       Lichtblick, die Ökonomen sind besorgt. Die Rückversicherer wollen
       Kohlekraftwerke nicht mehr versichern. Selbst im Risikobericht des
       Weltwirtschaftsforums steht, dass Wetterextreme neuerdings das größte
       ökonomische Risiko seien.
       
       ## Aggression wäre angesagt
       
       Dass aber nicht getan wird, was sofort getan werden muss, lässt die
       Klimabesorgten erst recht ihre Hilflosigkeit spüren. Denn die Verantwortung
       für die Zerstörung des Planeten bleibt damit individualisiert.
       Möglicherweise essen die Leute, die es unverantwortlich finden, wie mit der
       Erde umgegangen wird, deshalb noch weniger. Sie gehen in die Regression, wo
       Aggression angesagt wäre.
       
       Großes Problem, große Aktion – so müsste die Devise heißen. Über das
       Machbare hinaus muss gedacht werden, damit das Machbare gemacht wird. Die
       Untätigkeit der Bundesregierung monierte neulich etwa auch Ramona Pop von
       den Grünen, Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe von Berlin. In
       Berlin werde nun immerhin [7][Wasser auf die Straßen geschüttet], das
       kühle, sagt sie im Tagesspiegel. Das ist jetzt zugespitzt, aber deutlich
       wird bei ihrem Statement, dass alle anderen Maßnahmen gegen den Klimawandel
       in der politbürokratischen Schleife hängen.
       
       In Berlin – wie auch in anderen Kommunen – wäre jedoch mehr möglich, außer
       der Förderung von Fahrradwegen, von effizienterem Wassermanagement und
       Appellen an den Bund, auch Mieter an Solarprogrammen zu beteiligen. So wäre
       ein Zulassungsstopp für Wagen mit Verbrennungsmotor denkbar. 1,2 Millionen
       Autos sind in Berlin laut Kraftfahrt-Bundesamt zugelassen – die meisten
       fahren mit Benzin oder Diesel. Jedes Jahr nimmt ihre Zahl zu anstatt ab.
       Und selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass es für jedes Fahrzeug
       jederzeit einen Parkplatz in der Stadt gibt.
       
       Warum legen Kommunen keine Obergrenze für Zulassungen fest? Warum sagen sie
       nicht, dass etwa nicht mehr Autos zugelassen werden als beispielsweise ein
       Drittel der Bevölkerung.
       
       ## Zulassungsbegrenzung per Volksentscheid
       
       Nun, keine Regierung wird das tun. Der Aufschrei. Konsumfreiheit,
       Bewegungsfreiheit und alle möglichen anderen Freiheiten seien in Gefahr.
       Wie aber wäre es dann, diese Forderung nach Zulassungsbegrenzung per
       Volksentscheid zu stellen? Könnte sein, dass ein breites Bündnis dafür ist,
       die meisten haben doch ihr Auto schon.
       
       Die Politiker wären aus dem Schneider, die Menschen, die sich der
       Tatenlosigkeit der Politik ausgesetzt sehen, könnten handeln. Selbst wenn
       sich eine Mehrheit gegen die Begrenzung ausspricht, wäre eine breite
       Diskussion angestoßen. Das ist jetzt noch nicht sehr groß gedacht. Aber
       schon größer als bisher, wo die Verantwortung für den Klimawandel
       weitestgehend bei jeden Einzelnen hängen bleibt.
       
       Noch weit größer zu denken, ist ebenfalls möglich. So etwa: Weil es die
       technische Fotosynthese in großem Stil nicht gibt, muss es die Natur
       richten. Bäume müssen gepflanzt, [8][die Wüsten müssen begrünt werden].
       Wie? Mit entsalztem Wasser der steigenden Meeresspiegel. Dass das ginge und
       viel fürs Klima brächte, wären die Sahara und die australische Wüste
       bewaldet, haben Wissenschaftler des Earth Institute der Columbia University
       und des Goddard Institute der Nasa schon vor zehn Jahren berechnet.
       
       Auch das allein würde das Problem nicht lösen, aber so würde der Atmosphäre
       zumindest zu einem größeren Teil als bisher das CO2 entzogen, das die
       Menschen derzeit produzieren. Dass es praktisch möglich ist, Wüstengebiete
       zu bewalden, hat Israel in den 70 Jahren seines Bestehens vorgemacht. Los
       also, an die Arbeit! Die Zukunft beginnt jetzt.
       
       24 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Skandinavien-leidet-unter-Klimawandel/!5524357
   DIR [2] /In-der-Hitzewelle-steckt-eine-Chance/!5526856
   DIR [3] /Stadtbaeume-vor-dem-Vertrocknen-retten/!5526741
   DIR [4] /Alarmierende-Klima-Studie/!5521267
   DIR [5] /Kohle--und-Atomkraftwerke-gedrosselt/!5524732
   DIR [6] /Kommentar-Vielfliegerei/!5524099
   DIR [7] /Kachelmann-ueber-Sommer-Aktion/!5524313
   DIR [8] /Debatte-Hitze-und-Gerechtigkeit/!5526884
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Wald
   DIR Emissionen
   DIR Klima
   DIR Naturschutz
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Meeresverschmutzung
   DIR Landwirtschaft
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Klima
   DIR Migration
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR „11-Punkte-Plan“ zum Baumschutz: Bäume bald noch grüner
       
       Die Grünen starten eine Offensive zum Schutz von Straßenbäumen. Mittel pro
       Baum sollen verdoppelt, über Fällungen transparenter informiert werden
       
   DIR Kolumne Behelfsetikett: Feinster Zuckersand, zehn Zentimeter
       
       Während unser Autor diese Kolumne schreibt, verabschiedet sich der Sommer
       endgültig aus der Stadt. Hallo, Herbstblues!
       
   DIR Tipps, um den Klimawandel zu stoppen: Das können Sie tun
       
       Nicht nur die Politik muss tätig werden, um die Erderwärmung aufzuhalten.
       Fünf Klimaschutz-Tipps für den Heimgebrauch.
       
   DIR 15-jährige Aktivistin aus Schweden: Greta schwänzt die Schule – fürs Klima
       
       Auch in Schweden gilt Schulpflicht. Eine Stockholmerin hat derzeit
       allerdings Wichtigeres zu tun: Sie ermahnt Politiker, die Klimafrage
       ernstzunehmen.
       
   DIR Kommentar Dürrehilfen: Staatsgeld für Turbobauern
       
       Die Dürrehilfen belohnen extrem wachstumsorientierte Unternehmen. Diese
       verdrängen kleine Familienbetriebe – und rechnen sich jetzt künstlich arm.
       
   DIR Anton Hofreiter zum Klimaschutz: „Die größte Aufgabe der Menschheit“
       
       Die Grünen wollen Klimaschutz in der Verfassung verankern. Fraktionschef
       Anton Hofreiter erklärt, was das ändern würde.
       
   DIR Kolumne Liebeserklärung: Heißzeit
       
       Klimaforscher hatten mal Glück mit dem Wording: Ihre neue Studie prägt
       einen Begriff für das, worüber alle gerade reden.
       
   DIR Debatte Hitze und Gerechtigkeit: Im postkolonialen Treibhaus
       
       Die Erderwärmung ist ein Gerechtigkeitsthema – die Täterschaft ist weiß.
       Wir brauchen unbedingt eine Vision vom Teilen im globalen Maßstab.