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       # taz.de -- Kommentar Seenotrettung im Mittelmeer: Immer dasselbe unwürdige Schauspiel
       
       > Erneut musste die „Aquarius“ tagelang warten, bis sie einen Hafen
       > ansteuern durfte. Die EU muss endlich eine Lösung für die Seenotrettung
       > finden.
       
   IMG Bild: Erschöpfter Flüchtling auf der Aquarius
       
       Es ist jetzt mindestens das sechste Mal in Folge, dass ein Rettungsschiff
       im Mittelmeer erst nach tagelangen Verhandlungen in einen Hafen einlaufen
       darf. Erst nachdem fünf EU-Staaten vorab garantiert hatten, Malta die 141
       Flüchtlinge der „Aquarius“ abzunehmen, wurde dem Schiff am Dienstag in
       Aussicht gestellt, in den Hafen von Valletta einlaufen zu dürfen – nach
       Tagen des Wartens.
       
       In den vorigen Fällen, etwa bei der Asso Ventotto, hatten die Geretteten
       Wochen auf dem Schiff ausharren müssen, unter unzumutbaren Umständen.
       Joseph Muscat, Regierungschef von Malta, lobte die „Aquarius“-Einigung am
       Dienstag als „konkretes Beispiel für europäische Führung und Solidarität“.
       Sein spanischer Amtskollege Pedro Sánchez sprach von einem „bahnbrechenden
       Abkommen“.
       
       Das Gegenteil ist der Fall: Es ist eine Absurdität sondergleichen. Die
       Hängepartien belegen, dass es „europäische Führung und Solidarität“ eben
       gerade nicht gibt. Denn sonst gäbe es längst ein standardisiertes
       Verfahren, wie mit den Flüchtlingen umzugehen ist.
       
       Stattdessen musste sich die EU-Kommission einschalten. Und wie schon bei
       der letzten „Aquarius“-Fahrt und jener des Rettungsschiffs „Lifeline“ im
       Juni konferieren Regierungschefs oder Minister einiger der größten Staaten
       Europas und schachern darüber, wer jetzt noch die letzten fünf Flüchtlinge
       von den Booten nimmt. Es ist ein unwürdiges Schauspiel.
       
       ## Die Leidtragende sind die Flüchtlinge auf den Booten
       
       Sie entscheiden auf Einzelfallbasis, immer wieder aufs Neue. Das ist das
       Gegenteil dessen, was auf europäischer Ebene seit Jahren nicht gelingt:
       Einen Verteilmodus für die Flüchtlinge zu finden. So kann es nicht
       weitergehen.
       
       Bis die extrem rechte Lega-Regierung im Juni in Rom an die Macht kam,
       konnte die EU das Problem umgehen, weil die Flüchtlinge letztlich doch
       jedes Mal in Italien landeten. Die berechtigten Klagen und auch die
       Drohungen der alten italienischen Regierung wurden ignoriert. Auch deshalb
       gewann die Lega um den neuen Innenminister Matteo Salvini die Wahlen. Jetzt
       sind die Häfen dort dicht und es gibt kein Konzept, was nun geschehen soll.
       
       Stattdessen wird versucht, die Seeretter in Malta an die Kette zu legen.
       Wenn das nicht gelingt und der politische Druck nach einer Rettungsaktion
       zu groß wird, werden mit großer Geste Verhandlungen geführt. Und am Ende
       wird getan, als sei nun eine humanitäre Großtat geglückt. Den Geretteten
       einen sicheren Hafen zur Verfügung zu stellen, ist kein Gnadenakt, der
       jedes Mal neu herbei verhandelt werden müsste, sondern eine
       Selbstverständlichkeit.
       
       ## Die EU muss ein Konzept vorlegen
       
       Ausbaden müssen dieses aufwändige Prozedere die Flüchtlinge: Zum einen
       kommt die Verhandlungsmaschinerie grundsätzlich erst dann in Gang, wenn
       nach mehreren Tagen auf den überfüllten Schiffen ein gewisser Leidensdruck
       aufgebaut ist. Die Verhandlungen ziehen sich tagelang hin, die Geflüchteten
       können sich nie darauf verlassen, tatsächlich aufgenommen zu werden. Die
       noch aktiven Seerettungs-NGOs sind jedes Mal auf Tage blockiert, ihre
       UnterstützerInnen immer wieder gezwungen, maximalen öffentlichen Druck
       aufzubauen, damit die Politik sich bewegt. Es ist absehbar, dass dies auf
       Dauer nicht funktioniert.
       
       Die EU wird nicht daran vorbei kommen, sich auf ein Verfahren zu einigen,
       dass die Realitäten anerkennt: Italien und Osteuropa fallen für die
       Flüchtlingsaufnahme zunächst aus. Die übrigen Staaten müssen dennoch einen
       Weg finden, um den Zugang für Gerettete nach Europa offen zu halten und die
       Lasten aufzuteilen. Sie können dabei auf die enorme Hilfsbereitschaft
       vieler Städte und Regionen zählen, die sich in den letzten Tagen und Wochen
       als Zufluchtsorte angeboten haben.
       
       15 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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