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       # taz.de -- Konflikt in Westsahara: Am Sandwall
       
       > In der Westsahara schlagen Menschenrechtler Alarm: Seit Beginn des Kriegs
       > zwischen Marokko und Polisario hat sich die Lage deutlich verschlechtert.
       
   IMG Bild: Mitglieder der Unabhängigkeitsbewegung Polisario im Saharawi-Flüchtlingscamp in Rabouni, Algerien
       
       Madrid taz | Die Menschenrechtslage in der seit 1976 von Marokko besetzten
       Westsahara hat sich erheblich verschlechtert, seit Marokko im November den
       Waffenstillstand mit der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario gebrochen
       hat und diese daraufhin den [1][Kriegszustand erklärte].
       
       „Noch am gleichen Tag durchsuchten die Besatzungskräfte Häuser und
       Wohnungen von sahrauischen Familien in der Hauptstadt El Aaiún“, sagt
       Hassan Duihi, stellvertretender Vorsitzender der Liga zum Schutz der
       sahrauischen Gefangenen, einer lokalen Menschenrechtsorganisationen in der
       ehemaligen spanischen Kolonie.
       
       Über zwei Drittel des Gebiets in der Größe der alten Bundesrepublik sind
       von Marokko besetzt, der Rest ist in der Hand der Polisario und der
       Exilregierung der sogenannten Demokratischen Arabischen Republik Sahara
       (DARS), die in den sahrauischen Flüchtlingscamps im benachbarten Algerien
       sitzt.
       
       Die Polisario hatte die Kriegshandlungen im November wieder aufgenommen,
       nachdem marokkanische Truppen eine friedliche Straßenblockade an der Grenze
       zwischen der Westsahara und Mauretanien gewaltsam geräumt und den
       Grenzübergang Guerguerat geöffnet hatten.
       
       Fast täglich beschießt sie seither marokkanische Stellungen entlang eines
       2.700 Kilometer langen Sandwalls, den Marokko errichtet hat, um die
       besetzten Gebiete von denen unter Kontrolle der Polisario zu trennen. Der
       Grenzübergang Guerguerat liegt auf entmilitarisiertem Gebiet und dürfte gar
       nicht bestehen, da es ihn bei Unterzeichnung des UN-vermittelten
       Waffenstillstands 1991 noch nicht gab.
       
       ## Engmaschige Überwachung
       
       „Seit Kriegsbeginn werden Menschenrechtsaktivisten rund um die Uhr
       überwacht“, berichtet Duihi per Whatsapp der taz. Fast täglich komme es
       auch zu Einschüchterungen gegen ihn. Die Überwachung ist engmaschig, denn
       von den mehr als eine halbe Million Einwohnern der besetzten Gebiete sind
       heute weniger als 100.000 Sahrauis. Der Rest sind übergesiedelte
       Marokkaner. Rund 170.000 weitere Sahrauis leben in den Flüchtlingslagern in
       Algerien.
       
       Ein Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara, das 1991 vereinbart
       wurde, hat bis heute nicht stattgefunden. Die dazu nötige Erfassung der
       Wahlberechtigten scheiterte an der marokkanischen Regierung. Sie wollte
       Stämme in den Zensus aufnehmen lassen, die an der Grenze zur Westsahara
       leben, allerdings nicht im fraglichen Gebiet. Die Polisario lehnte deshalb
       das Referendum ab.
       
       „Die Städte der Westsahara gleichen einem großen Kommissariat“, sagt Duihi.
       Immer mehr Truppen und Polizeieinheiten würden in die urbanen Zentren
       verlegt, spontane Proteste brutal niedergeschlagen, junge Menschen
       willkürlich angehalten. Wer eine DARS-Flagge oder Fotos von Protesten oder
       der Polisario auf dem Handy habe, werde mitgenommen.
       
       „Am unmenschlichsten ist der Fall der 12-jährigen Hayat Daya“, berichtet
       Duihi. Das Mädchen sei am 16. November, drei Tage nach Kriegsbeginn, mit
       einer Militärhose und einem T-Shirt mit DARS-Fahne zur Schule gegangen,
       woraufhin Lehrer die marokkanische Polizei verständigt hätten. „Sie wurde
       verhaftet, geschlagen und gefoltert. Ihr wurde mit Vergewaltigung gedroht.
       Seit ihrer Freilassung steht sie unter ständiger Überwachung.“
       
       ## UNO hat Menschenrechte nicht im Blick
       
       Auch die politischen Gefangenen leiden unter der sich zuspitzenden Lage,
       etwa 19 Häftlinge eines 2010 gewaltsam aufgelösten Protestcamps unweit von
       El Aaiún. „Sie bekommen keine Post mehr und dürfen nur noch 5 Minuten pro
       Woche statt bisher 15 Minuten von einem Familienangehörigen angerufen
       werden“, berichtet Claude Mangin, deren Ehemann, der Menschenrechtsaktivist
       und Wirtschaftswissenschaftler Enaama Asfari, eine 30-jährige Haftstrafe im
       marokkanischen Kenitra absitzt. Die Französin darf nicht einreisen, um ihn
       zu besuchen.
       
       „Mit der zunehmenden Konfrontation steigt der Druck auf
       Menschenrechtsaktivisten und Unterstützer der Selbstbestimmung der
       Sahrauis“, heißt es in einem [2][Bericht], den Amnesty International
       vergangene Woche veröffentlichte.
       
       Während die sahrauische Armee von schweren Schäden und gar von Toten auf
       gegnerischer Seite berichtet, spielt Marokko die Vorfälle herunter. Alles
       sei normal, heißt es in der spanischen Presse unter Berufung auf „Quellen
       aus der Regierung“.
       
       Duihi berichtet, die marokkanische Armee habe Nomaden aus Gebieten entlang
       der Trennlinie vertrieben. Auf der Seite der Polisario wurden sie laut
       spanischer Presse in die Flüchtlingslager gebracht. Objektive Berichte über
       das Kriegsgeschehen und über die Menschenrechtslage vor Ort gibt es jedoch
       keine.
       
       Auch die UN-Mission zur Überwachung des Waffenstillstands in der
       Westsahara, Minurso, ist keine Hilfe. Anders als sonst bei UN-Missionen
       üblich hat die Blauhelm-Mission nicht das Mandat, über Menschenrechte zu
       wachen – obwohl dies immer wieder gefordert worden ist.
       
       10 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-Streit-um-Verkehr-nach-Mauretanien/!5725144
   DIR [2] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/11/human-rights-monitoring-needed-more-than-ever-in-western-sahara/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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