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       # taz.de -- Konflikte in Frankreichs Banlieue: Kontrollen verschärfen Spannungen
       
       > Seit dem Wochenende kommt es in Vororten von Paris zu
       > Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Jugendlichen. Behörden sind in
       > Alarmbereitschaft.
       
   IMG Bild: In Villeneuve-la-Garenne setzten Jugendliche Feuerwerk ein
       
       Paris taz | „Es war ungewöhnlich still in den Straßen, so ruhig wie noch
       nie seit dem Beginn des Lockdowns“, berichtet der junge Journalist Ilyes
       Ramdani. Er war für das Onlinemagazin Bondy Blog in den nördlichen Pariser
       Vorort Villeneuve-la-Garenne gekommen, wo es seit Sonntag jede Nacht bei
       Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei kracht.
       
       Es ist kurz vor Mitternacht, als die Ruhe endet: „Ein lautes Bum, ein
       grelles Licht, und rund zwanzig Jugendliche mit vermummtem Gesicht, die aus
       dem Nirgendwo auftauchen.“ Ilyes Ramdani beschreibt, wie sie die
       Konfrontation mit den Polizeibeamten suchen. Feuerwerkskörper explodieren,
       ein paar Mülleimer brennen lichterloh. Andernorts im Pariser Vorortsgürtel,
       wie in Aulnay-sous-Bois und Gennevilliers, werden auch Autos angezündet.
       
       Die Spannungen hatten sich an einem Vorfall am Samstagabend entzündet: In
       Villeneuve-la-Garenne war ein 30-Jähriger ohne Helm auf seinem
       Motocrossmotorrad auf der Straße unterwegs, als er von Beamten in einem
       schwarzen Pkw, der nicht als Streifenwagen erkennbar war, bemerkt wurde.
       Als der Motorradfahrer das Fahrzeug der Polizisten überholen wollte,
       öffnete einer von ihnen seine Beifahrertür. Der 30-Jährige wurde gegen
       einen Pfosten am Straßenrand geschleudert und erlitt dabei eine schwere
       offene Oberschenkelfraktur.
       
       Via Anwalt hat der Mann eine Klage eingereicht. Denn er ist überzeugt, dass
       die Autotüre nicht aus Versehen geöffnet wurde, sondern aus böser Absicht,
       um ihn rücksichtslos zu stoppen. Davon sind auch seine Freunde im Quartier
       überzeugt. Die Polizeiinspektion IGPN hat dazu eine Untersuchung
       eingeleitet.Dessen ungeachtet hat der Vorfall in einem bereits sehr
       angespannten Klima eine Reihe von Wutreaktionen in der Banlieue von Paris,
       Straßburg, Lyon und Toulouse ausgelöst.
       
       ## Krise verstärkt soziale Ungleichheit
       
       Ähnlich gewaltsame Zusammenstöße sind in Frankreich nicht selten, doch im
       Kontext mit der Corona-Epidemie sind Behörden und Medien in
       Alarmbereitschaft. Vor allem im Departement Seine-Saint-Denis, in dem
       Villeneuve-la-Garenne liegt, fühlt sich die Bevölkerung ohnehin
       [1][exponiert und benachteiligt]. Nicht umsonst bedeutet Banlieue
       ursprünglich die „Bannmeile“ zur Ausgrenzung. Und die Coronakrise verstärkt
       die soziale Ungleichheit in allen Bereichen. Hier leben viele der Menschen,
       die trotz Ansteckungsrisiken weiterhin arbeiten und öffentliche
       Verkehrsmittel benutzen müssen.
       
       Spätestens seit den landesweiten „Banlieue-Unruhen“ von 2005 weiß man in
       Frankreich: Es braucht nur einen Anlass als Funken am „Pulverfass“, um
       einen Flächenbrand in den spannungsgeladenen Vorstädten auszulösen. Die
       Coronarestriktionen haben die Stimmung angeheizt. Jeder Übereifer oder
       Machtmissbrauch der ebenfalls gestressten Ordnungshüter wird in dieser
       Situation zur Brandstiftung.
       
       „Die Revolte liegt in der Luft. In diesen Zonen häufen sich die sozialen
       Probleme und die Armut. Die Covid-Epidemie ist wie eine Lupe, welche die
       Ungleichheiten in diesen Quartieren vergrößert“, erklärt in der Zeitung
       [2][Libération Michel Kokoreff], der sich als Soziologieprofessor an der
       Universität Vincennes-Saint-Denis seit 30 Jahren mit der
       Banlieue-Problematik befasst.
       
       Er bedauert, dass seit 2005 zu wenig getan wurde, um dieses „Pulverfass“ zu
       entschärfen. „Statt jedes Mal das rote Tuch der Unruhen von 2005 zu
       schwenken, sollte man sich Fragen zu den Versäumnissen der Politik
       stellen.“ Zu den strukturellen und konjunkturellen Schwierigkeiten komme
       hinzu, dass sich in die Polizei in manchen Quartieren wie eine koloniale
       Reservearmee benehme. Mit dem Covidlockdown werde das erst recht deutlich.
       
       22 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Debatte-Franzoesischer-Wahlkampf/!5400891&s=Banlieue/
   DIR [2] https://www.liberation.fr/france/2020/04/21/ces-territoires-jouent-le-role-de-boucs-emissaires_1785978
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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