URI: 
       # taz.de -- Krieg in Äthiopien: In Tigray herrscht der Terror
       
       > Äthiopiens und Eritreas Armeen sollen in der Region Tigray plündern und
       > Massaker verüben. Millionen von Menschen sind von der Außenwelt
       > abgeschnitten.
       
   IMG Bild: 70 Prozent der Gesundheitseinrichtungen in Tigray sind geplündert worden, hier in der Stadt Sheraro
       
       Nairobi taz | Äthiopien behauptet zwar, dass der Konflikt in seiner
       Nordregion Tigray eine interne Angelegenheit sei, aber mittlerweile
       beschäftigt er [1][große Teile der internationalen Gemeinschaft.]
       
       Die USA verurteilten vor Kurzem „ethnische Säuberungen“ in der umkämpften
       Region und machen dafür Äthiopiens Regierung, Streitkräfte aus dem
       Nachbarland Eritrea und Milizen aus der an Tigray angrenzenden
       Amhara-Region verantwortlich. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach
       von möglichen Kriegsverbrechen in Tigray. Die Situation sei „außer
       Kontrolle geraten“, so die finnische Außenministers Pekka Haaviston nach
       einer Informationsreise nach Äthiopien im Auftrag der EU.
       
       Die UNO erklären sich zutiefst beunruhigt über Berichte über sexuelle
       Gewalt, außergerichtliche Tötungen, weitverbreitete Zerstörung und
       Plünderung durch alle Parteien. UN-Menschenrechtskommissarin Michelle
       Bachelet fügte hinzu: „Es gibt auch weiterhin glaubwürdige Informationen
       über schwerwiegende Verstöße aller Konfliktparteien in Tigray gegen die
       Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht.“
       
       USA, EU und UNO sind sich einig, dass die eritreischen Truppen sich
       zurückziehen müssen. Obwohl es überdeutliche Beweise gibt, dass
       [2][eritreische Militärs sich in Tigray befinden], verneint Äthiopiens
       Regierung das. Die US-Beschuldigungen von ethnischen Säuberungen nannte das
       Außenministerium zudem „völlig unbegründet und ein falsches Urteil über die
       äthiopische Regierung.“
       
       ## Erschreckende Berichte aus Tigray
       
       Der [3][Konflikt in Tigray hatte Anfang November 2020 begonnen], als
       Streitkräfte der in Tigray herrschenden TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront)
       eine Militärbasis der äthiopischen Armee angriffen und Äthiopiens Regierung
       daraufhin das Kriegsrecht verhängte und die TPLF-Regionalregierung
       absetzte. Äthiopiens Armee rückte in Tigray ein – begleitet von
       Amhara-Milizionären und unterstützt von Eritrea, sagen Oppositionelle – und
       Ende November erklärte die Regierung, sie habe Tigray unter Kontrolle und
       die Sicherheit sei wiederhergestellt.
       
       Aber das Gegenteil sei der Fall, sagen westliche Geheimdienste, die die
       Situation verfolgen. Sie meinen, dass die Intensität der Kämpfe zwischen
       der als Guerilla kämpfenden TPLF und ihren Gegner zunimmt, weil eine Reihe
       von Massakern gegen Tigray-Zivilisten einem wachsenden Aufstand angeheizt
       hat.
       
       Auch die Menschenrechtsorganisationen [4][Amnesty international] und
       [5][Human Rights Watch] (HRW) haben ausführliche Berichte auf Grundlage von
       Erklärungen von Augenzeugen veröffentlicht. Wenig ist zu überprüfen, weil
       die äthiopische Regierung Tigray von der Außenwelt abgeschnitten hat. Nur
       in den letzten Wochen wurden einige Journalisten und Hilfswerke
       hineingelassen – unter Aufsicht der Behörden. Aber nur Städte sind
       erreichbar. Was sich auf dem Land in den Bergen abspielt, bleibt für die
       Außenwelt unsichtbar.
       
       Die Berichte der Menschenrechtsorganisationen lesen sich wie ein
       Kriegsroman, [6][der mit jedem Kapitel grausiger wird]. So haben laut HRW
       Truppen aus Eritrea in der historischen Stadt Axum Hunderte Zivilisten
       massakriert, darunter auch Kinder. Überlebende, die HRW zitiert, berichten,
       wie am 19. November äthiopische und eritreische Truppen die uralte
       Klosterstadt beschossen. Eine Woche lang hätten sie öffentliche Gebäude und
       Privathäuser geplündert und Zivilisten getötet. „Nachdem Tigray-Milizen und
       Bewohner von Axum am 28. November die eritreischen Truppen angriffen,
       erschossen eritreische Kräfte offensichtlich in Vergeltung innerhalb von 24
       Stunden mehrere Hundert Bewohner, vor allem Männer und Jungs“, steht im
       HRW-Bericht zu lesen.
       
       ## Satellitenbilder von Gräbern
       
       Laetitia Bader, HRW-Direktorin für das Horn von Afrika, meint: „Die
       äthiopischen und eritreischen Behörden können sich nicht länger hinter
       einen Vorhang der Verleugnung verstecken.“ Die Anzahl der Toten in Axum ist
       nicht bekannt. HRW spricht von schätzungsweise 200 Toten an einem einzigen
       Tag. Amnesty International, das für seinen Bericht Tigray-Flüchtlinge in
       Sudan interviewt hat, sammelte Namen von 240 mutmaßlichen Todesopfern ein
       und schätzt, es gebe noch mehr.
       
       Der Amnesty-Bericht zitiert einen 21-jährigen männlichen Bewohner von Axum:
       „Ich habe viele Tote auf der Straße gesehen. Sogar die Familie meines
       Onkels. Sechs seiner Familienmitglieder wurden getötet.“ Die Massaker
       ereigneten sich kurz vor einem wichtigen äthiopisch-orthodoxen Feiertag.
       
       Amnesty berichtet weiter, dass hochauflösende Satellitenbilder vom 13.
       Dezember umgegrabene Erde bei verschiedenen Kirchen von Axum zeigen, was
       auf frische Gräber hindeuten könnte. „Es muss dringend eine UN-geführte
       Untersuchung der schwerwiegenden Menschenrechtsverstöße in Axum geben“,
       fordert Deprose Muchena, AI-Direktor für das südliche und östliche Afrika.
       
       Neben solchen Verbrechen nimmt auch die Sorge über die [7][Versorgungslage
       der Bevölkerung von Tigray] zu. Die UNO schätzen, dass 4 Millionen
       Menschen, zwei Drittel der Bevölkerung Tigrays, dringend
       Nahrungsmittelhilfe brauchen. Madiha Raza vom Hilfswerk IRC (International
       Rescue Committee) sagte nach einem Besuch in der Kleinstadt Shire: „Es gibt
       immer wieder Probleme mit dem Zugang zu Nahrungsmitteln. Eine Frau, die wir
       sprachen, erzählte, dass sie einen Monat lang nur Blätter aß, während sie
       sich im Wald versteckte. Es gibt jetzt zwar Nahrungsmittelhilfe, aber bei
       Weitem nicht ausreichend.“
       
       Auf dem Universitätscampus von Shire wohnen jetzt Hunderte von Menschen in
       ehemaligen Studentenwohnheimen und schlafen in Etagenbetten. Diejenigen,
       die keinen Platz in den Schlafsälen gefunden haben, wohnen in einem
       unfertigen Gebäude auf dem Campus, [8][meldet Ärzte ohne Grenzen (MSF)] und
       schlägt über den Gesundheitszustand der vielen Vertriebenen Alarm.
       
       „Infektionen der Atemwege sind die Hauptkrankheit. Ist es Covifd-19?
       Niemand weiß es genau. Es sind keine Tests verfügbar, und es gibt keine
       Möglichkeit für Personen, an den überfüllten Standorten einen sicheren
       Abstand voneinander zu halten; keine Möglichkeit, Masken zu kaufen oder
       sich häufig die Hände zu waschen. Im Vergleich zu den vielen anderen
       Problemen, mit denen Menschen konfrontiert sind, steht Covid-19 ganz unten
       auf der Liste“, schreibt die Organisation in einem Bericht.
       
       ## Soldaten besetzen Gesundheitseinrichtungen
       
       Das Gesundheitswesen in Tigray wurde laut MSF in den Kämpfen weitgehend
       zerstört. Von 106 Gesundheitseinrichtungen, die bis Anfang März besucht
       werden konnten, seien 70 Prozent geplündert und mehr als 30 Prozent
       beschädigt worden, heißt es in einer [9][neuen Erklärung]. Von
       „flächendeckenden Plünderungen und gezielten Angriffen“ ist die Rede.
       
       „Jede fünfte von den Teams besuchte Gesundheitseinrichtung war von Soldaten
       besetzt. In einigen Fällen war dies nur vorübergehend, in anderen dauert
       die Besetzung noch an. In Mugulat im Osten von Tigray nutzen eritreische
       Soldaten die Gesundheitseinrichtung weiterhin als Stützpunkt. Das
       Krankenhaus in Abiy Addi in Zentral-Tigray, das eine halbe Million
       Einwohner versorgt, war bis Anfang März von äthiopischen Truppen besetzt.“
       MSF versucht auch, Kliniken auf dem Lande zu erreichen, aber das ist
       schwierig. Es herrscht dort noch viel Unsicherheit und eine Erlaubnis der
       Behörden ist nur langsam zu bekommen.
       
       Vertriebene, die in Städten ankommen, melden, dass die Lage in den Bergen
       sehr schlecht ist. Aus den Dörfern Abeba und Tseada am Fluss Zamra im
       südlichen Tigray wird berichtet, dass eritreische und äthiopische Truppen
       die Mango-Obstgärten abgeholzt haben.
       
       Das ist keine Massaker und keine Massenvergewaltigung – aber, wie
       Regionalexperte [10][Alex de Waal in seinem Blog für die World Peace
       Foundation] schreibt: „Obstbäume sind die wesentliche Nahrungsquelle für
       die Landbevölkerung. Ihre Zerstörung ist eine besonders ungeheure Form des
       Hungerverbrechens, da die Genesung viele Jahre dauert. Die mutwillige
       Zerstörung der Obstgärten entlang des Flusses Zamra zeigt die Absicht der
       Armeen, die in Tigray wüten. Ihr Ziel ist es, die Tigrayer zu zermahlen,
       damit sie nie wieder aufstehen können.“
       
       16 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kein-Zugang-fuer-Helfer-nach-Tigray/!5739559
   DIR [2] /Krieg-in-Aethiopien/!5736994
   DIR [3] /Krieg-in-Aethiopien/!5726266
   DIR [4] https://www.amnesty.org/en/documents/afr25/3730/2021/en/
   DIR [5] https://www.hrw.org/news/2021/03/05/ethiopia-eritrean-forces-massacre-tigray-civilians
   DIR [6] /Hunger-in-Nordaethiopien/!5743554
   DIR [7] /Humanitaere-Lage-in-Region-Tigray/!5732128
   DIR [8] https://www.msf.org/people-tigray-ethiopia-are-lacking-medical-care
   DIR [9] https://www.msf.org/health-facilities-targeted-tigray-region-ethiopia
   DIR [10] https://sites.tufts.edu/reinventingpeace/2021/03/03/the-mango-orchards-of-zamra-tigray/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ilona Eveleens
       
       ## TAGS
       
   DIR Tigray
   DIR Äthiopien
   DIR Eritrea
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Krieg in Äthiopien: Sieg für die Tigray-Guerilla
       
       Äthiopiens Armee zieht sich geschlagen aus Tigrays Hauptstadt zurück. Dort
       feiern die Menschen – in Äthiopiens Hauptstadt sind sie fassungslos.
       
   DIR Vor der Parlamentswahl in Äthiopien: Noch eine Trophäe fürs Triple
       
       Äthiopiens Premier Abiy Ahmed ruft sein Land zu den Wahlurnen. Mitten im
       verheerenden Krieg in der Region Tigray will er seine Legitimation stärken.
       
   DIR Gescheiterte Familienzusammenführung: Langes Warten aufs Amt
       
       Amanuel Abraha lebt in Deutschland, doch seine Familie hat er seit 7 Jahren
       nicht gesehen. Denn wer aus Eritrea kommt, dem fehlen wichtige Papiere.
       
   DIR Eritreas Armee kämpft in Tigray: Äthiopien gibt es zu
       
       Vorwürfe wegen massiver Verbrechen in Tigray werden lauter. Nun gibt der
       äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Eritrea eine Mitschuld.
       
   DIR Bürgerkrieg in Äthiopien: Tigray kommt nicht zur Ruhe
       
       Wichtige Führer der einstigen Tigray-Guerilla TPLF sind nach äthiopischen
       Angaben in Haft oder tot. Die Kontroverse um Eritreas Eingriff eskaliert.
       
   DIR Krieg in Äthiopien: Heimliche Kriegspartei Eritrea
       
       Eritrea soll direkt in die Kämpfe um die Kontrolle der äthiopischen Region
       Tigray verwickelt sein. Das berichten immer mehr Quellen.
       
   DIR Tsedale Lemma über den Äthiopienkrieg: „Äthiopien droht zu zerfallen“
       
       Regierungschef Abiy Ahmed erhielt den Nobelpreis. Nun führt er Krieg, um
       seine Macht auszubauen, sagt die bekannte Journalistin Tsedale Lemma.