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       # taz.de -- Krieg in Libyen: Auf Söldner-Ticket
       
       > In Libyen verlassen sich die Kriegsparteien gerne auf ausländische
       > „Sicherheitsdienstleister“. Russland und die Türkei haben militärisch
       > Partei ergriffen.
       
   IMG Bild: Regierungstreue Kämpfer in Tripolis
       
       Moskau/Istanbul/Tunis/Berlin taz | In höchsten Tönen sprach der türkische
       Präsident jüngst über seine Leute in Libyen. „Diese Brüder“, sagte Recep
       Tayyip Erdoğan, „betrachten es als Ehre, dort an unserer Seite zu sein“.
       Mit den Brüdern bezog er sich nicht auf die wenigen türkischen Militärs,
       die er in das nordafrikanische Bürgerkriegsland geschickt hat. Gemeint
       waren junge Männer aus Syrien, erfahrene Kämpfer, die Ankara quer übers
       Mittelmeer in einen fremden Krieg ziehen lässt.
       
       Dass Erdoğan so offen von seinen syrischen Kämpfern in Libyen spricht, ist
       neu. Monatelang weigerte er sich, dahingehende Berichte zu kommentieren.
       Nun wird klar: Syrien dient der türkischen Führung nicht nur als
       Projektionsfläche für Regionalmachtansprüche, sondern auch als
       Rekrutierungsbecken.
       
       Dass Kämpfer gegen Bezahlung für ein fremdes Land in den Krieg ziehen, ist
       ein altes Phänomen, das bis heute blüht, auch wenn das Völkerrecht das
       traditionelle Söldnertum heute verbietet und zahlreiche Länder den Einsatz
       ihrer Bürger für fremde Regierungen unter Strafe stellen. Seit dem Ende des
       Kalten Krieges haben private Militär- und Sicherheitsfirmen das Geschäft
       mit der Gewalt für sich entdeckt.
       
       Nicht nur im [1][Libyenkrieg] tummeln sich heute ausländische Kämpfer.
       Algerische Islamisten sind bei Verbündeten in der Sahelzone aktiv, Kriege
       in Sudan und Tschad zogen Kämpfer aus anderen Ländern an. Aber meist wird
       das nicht von Regierungen organisiert.
       
       ## Auf beiden Seiten
       
       In Libyen kämpfen Syrer offenbar auf beiden Seiten. Während Erdoğans Syrer
       in Libyen die international anerkannte Regierung in Tripolis unterstützen,
       hat der aufständische General Chalifa Haftar, der aus Ostlibyen heraus auf
       Tripolis vorrückt, der französischen Zeitung Le Monde zufolge Syrer aus dem
       Lager des Assad-Regimes angeworben.
       
       Doch während die Anwesenheit der von der Türkei angeworbenen syrischen
       Söldner belegt ist, bleibt der Einsatz von aus regimetreuen syrischen
       Gebieten angeworbenen Kämpfern bisher nur ein Gerücht. Dass Haftars
       Parallelregierung und Armeeoffiziere mit dem syrischen Assad-Regime ein
       Bündnis eingegangen sind, ist aber spätestens nach dem Besuch einer
       ostlibyschen Delegation in Damaskus am 2. März klar.
       
       Der syrische Präsident unterschrieb dabei ein „Memorandum of Understanding“
       mit den Libyern. Mehrmals wöchentlich landen russische und syrische
       Militärmaschinen in Bengasi und auf Haftars Militärflughafen Al Khadim.
       
       Die wichtigsten ausländischen Kämpfer auf der Seite Haftars waren bisher
       die Mitarbeiter der privaten russischen Wagner-Gruppe, ein
       Sicherheitsdienstleister, der im Interesse des Kremls agiert, nach
       russischem Recht aber nicht existiert. Wagner tauchte namentlich erstmals
       2015 im Ukrainekrieg auf. Später wurden auch Aktivitäten in Syrien, in der
       Zentralafrikanischen Repubik und dem Sudan bekannt.
       
       ## Erinnerung an die Ukraine
       
       In Libyen sollen heute rund 1.400 Wagner-Leute aktiv sein. Der Einsatz
       zeigt die Vor- und Nachteile privat organisierter Kämpfer gegenüber
       regulären Soldaten: Immer wieder konnte Moskau abstreiten, Truppen nach
       Libyen entsandt zu haben. „Selbst wenn es dort russische Staatsbürger
       gibt“, sagte Präsident Wladimir Putin, „dann vertreten sie nicht die
       Interessen Russlands und bekommen kein Geld vom russischen Staat.“
       
       Das erinnert an die Ukraine: Auch bei der Besetzung der Ostukraine wollte
       Putin bloß „Traktorfahrer“ und „Kolchosbauern“ im Donbass erkannt haben.
       Der hybride Status der Privatsoldaten garantiert ihre Unangreifbarkeit.
       
       Einer, der die russischen Paramilitärs seit langem beobachtet, ist der
       Militärexperte Alexander Golts vom Internetportal Jeschedewnij Schurnal.
       Moskaus Söldnerpolitik, sagt er der taz, unterscheide sich von der
       westlicher Staaten. Den USA etwa ginge es beim Outsourcing von
       Kampfaktivitäten – etwa über die Firma Blackwater im Irak 2003 – vor allem
       um Geld: Söldner kosten den Staat weniger als eigene Soldaten. Moskau
       dagegen nutze Privatarmeen wie Wagner zu geheimen, abstreitbaren Einsätzen
       im Ausland.
       
       Unumstritten ist das auch in Russland nicht. Zwar ist die Mitgliedschaft
       als Vertragssoldat in einer Privateinheit seit 2017 nicht mehr strafbar,
       doch nach russischem Recht bleiben private Armeen verboten. Versuche, die
       Wagner-Einheit zu legalisieren, scheiterten am Einspruch des Militärs und
       des Geheimdienstes FSB.
       
       ## Rechtsfreier Raum
       
       Beide fürchteten, private Verbände könnten zur Destabilisierung im eigenen
       Land beitragen. Denn auch wenn die Vorgesetzten ausgebildete Militärs
       seien, sagt Goltz, so übten sie keine aktive Rolle mehr in der regulären
       Armee aus. Die niederen Ränge würden darüber hinaus oft aus „deklassierten
       Elementen“ rekrutiert.
       
       Dass sich Wagner im rechtsfreien Raum bewegt, hält Putin nicht davon ab,
       sich am „Tag der Tschekisten“ (Geheimdienstler) persönlich im Kreis
       verdienter Kämpfer zu zeigen. 2016 verlieh er dem ehemaligen Elitesoldaten
       und Gründer der Wagner-Truppe, Dmitri Utkin, sogar den Orden „Held
       Russlands“.
       
       Utkin trägt den Kampfnamen Wagner Berichten zufolge wegen seiner Vorliebe
       für den gleichnamigen deutschen Opernkomponisten. Finanzier der Gruppe soll
       Jewgeni Prigoschin sein, ein Geschäftsmann aus dem Umfeld Putins.
       
       ## 2.000 Dollar im Monat
       
       Auch die türkische Entsendung von Syrern nach Libyen bewegt sich in einer
       rechtlichen Grauzone. Erdoğan rechtfertigt sein Eingreifen in Libyen damit,
       dass er mit der legitimen Regierung in Tripolis im November ein Memorandum
       über Militärzusammenarbeit geschlossen hat. Von syrischen Milizionären ist
       da aber nicht die Rede.
       
       Die Libyenkämpfer wurden im nordsyrischen Afrin und Idlib angeworben, wo
       die Türkei eigene Truppen stationiert hat. Laut der Syrischen
       Beobachtungsstelle für Menschenrechte gibt es allein in Afrin vier
       Anwerbebüros. Wer sich für Libyen meldet, dem werden Berichten zufolge rund
       2.000 US-Dollar im Monat versprochen.
       
       „Es ist uns strikt verboten, von den Syrern Aufnahmen zu machen“, berichtet
       ein libyscher Journalist, der seinen Namen in diesem Zusammenhang nicht in
       der Zeitung lesen möchte. Er schildert, was er in Tripolis sah: „Ich traf
       eine Gruppe von Syrern, als sie in der Altstadt Geld tauschen wollten. Der
       Kommandeur der Söldner erzählte mir, dass sie in dem Stadtteil Salaheddine
       stationiert sind und von libyschen Offizieren Befehle empfangen.“
       
       Wie viele Syrer für die libysche Regierung kämpfen, lässt sich nur
       schätzen. Die Syrische Beobachtungsstelle spricht von 4.700. „Es sind knapp
       3.000“, sagt dagegen der Analyst Emadeddin Badi von der Europäischen
       Universität in Florenz. Die Syrer hätten meist „defensive Aufgaben bei der
       Verteidigung von Tripolis“. Die ersten Syrer habe Ankara im August
       geschickt.
       
       Der anfängliche Grund war ein simpler: Die libyschen Milizionäre, die
       Tripolis gegen Haftar verteidigen, konnten die gepanzerten Fahrzeuge, die
       Drohnen und die Artillerie, die die Türkei schickte, nicht selbst bedienen.
       Auch die Syrer auf der Gegenseite sollen zunächst als „Fixer“ für die
       Russen der Wagner-Gruppe entsandt worden sein: Syrische Regimekämpfer sind
       Zusammenarbeit mit Russen gewohnt.
       
       ## Mitglieder der turkmenischen Minderheit
       
       Viele der von der Türkei entsandten Syrer, sagt Badi, seien Mitglieder der
       turkmenischen Minderheit in Syrien. Auch der türkische Oppositionssender
       Oda TV berichtete, dass viele der Kämpfer einen ethnischen türkischen
       Hintergrund und sogar türkische Pässe hätten.
       
       So auch ein syrischer Kommandant, der sich in Tripolis von einem Reporter
       des New York Review of Books interviewen ließ. Der 44-jährige Turkmene
       gehört zur syrischen Sultan-Murad-Brigade, die die Türkei ursprünglich zur
       Unterstützung der türkischen Einmärsche in Nordsyrien bildete.
       
       Nach Informationen der taz kooperieren die Syrer in Libyen eng mit
       verbündeten libyschen Milizen, berichten aber direkt an türkische
       Offiziere, die die Abwehraktivitäten rund um Tripolis koordinieren.
       
       Manche gewinnen dem Umstand, dass die Konfliktparteien in Libyen auf
       ausländische Kämpfer setzen, auch positive Aspekte ab: „Beide Seiten haben
       Probleme, lokale Kämpfer zu finden“, sagt ein Aktivist aus Bengasi der taz.
       Der 43-jährige Familienvater hat in den Kämpfen um Bengasi viele Freunde
       verloren. „Libyen ist kriegsmüde“, sagt er.
       
       Das heißt aber auch: Die Söldner halten den Krieg am Leben. Ohne sie wären
       wohl beide Seiten schon längst zu ernsthaften Verhandlungen gezwungen. Nun
       ist an die Stelle einer politischen Lösung die Internationalisierung des
       Konflikts getreten.
       
       18 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Libyen-Konferenz-in-Berlin/!5654427
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
   DIR Jürgen Gottschlich
   DIR Jannis Hagmann
   DIR Mirco Keilberth
       
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