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       # taz.de -- Krieg in der Ukraine: Der Kaiser ist nackt
       
       > Die russischen Angriffe ändern nichts daran, dass Putin schwächelt.
       > Außerdem dürfen Verhandlungen nicht über den Kopf der Ukraine hinweg
       > geführt werden.
       
   IMG Bild: Der russische Präsident Putin am Freitag in Astana, Kasachstan
       
       Tote und Verletzte, dazu zerstörte Kraftwerke, Schulen, Wohn- und
       Krankenhäuser: Mit massiven Luftangriffen auf Dutzende Städte hat Russlands
       brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine in dieser Woche eine neue
       Eskalationsstufe erreicht. Leidtragende sind vor allem erneut
       Zivilist*innen, die jetzt auch an bisher sicher geglaubten Orten im Westen
       des Landes in Angst und Schrecken versetzt werden.
       
       Doch diese brutale Demonstration der Stärke vermag nicht zu
       verschleiern, was schon länger offensichtlich ist: dass Moskau zusehends
       auf verlorenem Posten kämpft und Staatschef Wladimir Putin die Hosen immer
       weiter herunterlassen muss. Nach fast acht Monaten Krieg hat der Kreml
       militärisch nicht einmal seine Minimalvorgaben erreicht. Anstatt den
       Dombass komplett zu besetzen, machen die ukrainischen Streitkräfte dort
       wieder Boden gut.
       
       Russlands Annexion von vier Gebieten der Ukraine, die die
       [1][UN-Vollversammlung] am Mittwoch mit überragender Mehrheit als
       völkerrechtswidrig verurteilt hat, soll Fakten schaffen. Mit der Realität
       hat das wenig zu tun. So wurde auch die Stadt Saporischschja in den
       vergangenen Tagen wiederholt Ziel von Luftangriffen – nach dem Motto: Wenn
       sich die Menschen nicht freiwillig „befreien“ lassen wollen, muss ihnen der
       Wunsch nach Anschluss an den großen Bruder eben in die Köpfe gebombt
       werden.
       
       Die [2][Explosion auf der Krim-Brücke], wer auch immer die Urheberschaft
       für diese Aktion für sich beanspruchen darf, enthält eine für Moskau
       bittere Erkenntnis. Sie lautet: Die russische Armee ist nicht einmal in der
       Lage, „ihr“ Territorium zu schützen. Mit der Teilmobilisierung läuft es
       ebenfalls nicht rund. Die machen Tausende russische Männer zu einer
       Abstimmung mit den Füßen über das Regime, indem sie fluchtartig das Land
       verlassen.
       
       ## Warum sich in einem sinnlosen Krieg verheizen lassen?
       
       Zu Putins letztem Aufgebot gehören übrigens auch Strafgefangene, die nach
       einem heroischen Einsatz an der Front auf Freilassung hoffen dürfen – so
       sie denn überleben. Zu all dem passt das Säbelrasseln von Putins
       Verbündetem, dem belarussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko.
       
       Dessen abstruse Behauptungen, Länder wie Polen oder Litauen planten einen
       Angriff auf sein Land, verbunden mit der Ankündigung, [3][mit Russland
       gemeinsame Bodentruppen] aufstellen zu wollen, könnten auf Belarus’
       baldigen offiziellen Eintritt in den Krieg an der Seite Russlands
       hindeuten. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass Lukaschenko genau dies
       zu verhindern versucht. Die Kampfmoral seiner Truppen ist überschaubar.
       Warum sich in einem sinnlosen Krieg, der nicht zu gewinnen ist, verheizen
       lassen?
       
       Auch die Mehrheit der Belaruss*innen steht Moskaus „Spezialoperation“
       ablehnend gegenüber. Unruhen und Aufruhr beim Nachbarn jedoch, wie während
       der wochenlangen Massenproteste nach der gefälschten Präsidentenwahl 2020,
       kann Putin jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Wenn der Kreml glaubt, durch
       wahllose Angriffe die Ukrainer*innen in die Knie zu zwingen, dürfte sich
       auch das erneut als krasse Fehleinschätzung erweisen.
       
       Jede Rakete, die auf die Ukraine niedergeht, schweißt die Menschen nur noch
       enger zusammen. Auch der Plan, den kriegslüsternen „kollektiven Westen“
       auseinanderzudividieren, geht nicht auf. Aufhorchen lassen die vor allem
       an die USA adressierten Bemühungen von [4][Außenminister Sergei Lawrow],
       mit dem Feind doch wieder ins Gespräch zu kommen. Doch sollte sich niemand
       blenden lassen.
       
       Das Ziel Moskaus ist unverändert: Die Ukraine, die keine
       Existenzberechtigung hat, als Staat von der Landkarte zu löschen. Genau aus
       diesem Grund darf es eine Einigung mit Washington über die Köpfe der
       Ukrainer*innen hinweg nicht geben, genauso wenig wie Verhandlungen zu
       Russlands Bedingungen. Wie weiter? Gewissheiten, zumal im Krieg, gibt es
       nicht. Dennoch scheint sich abzuzeichnen, dass sich nicht nur die
       Ukrainer*innen auf einen langen Kampf einstellen müssen.
       
       Deutlich wird auch, dass der Anfang vom [5][Ende der Putin’schen
       Herrschaft] eingeläutet ist. Ob dieser Machttransfer erfolgt und was er
       bedeutet – wer weiß das schon. Doch dann würden die Karten vielleicht neu
       gemischt.
       
       14 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.tagesschau.de/ausland/un-vollversammlung-annexionen-101.html
   DIR [2] /Angriff-auf-die-Krim-Bruecke/!5884421
   DIR [3] /Belarus-im-Ukraine-Krieg/!5883721
   DIR [4] https://www.sueddeutsche.de/panorama/lawrow-russland-zu-verhandlungen-mit-den-usa-bereit-1.5673026
   DIR [5] /Nach-dem-Krieg-in-der-Ukraine/!5873032
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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