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       # taz.de -- Kriegsgefahr in Europa: Begrabt den letzten Sommer in Frieden
       
       > Die Angriffe auf den Nato-Luftraum fühlen sich an, als würden wir nicht
       > nur die warmen Sonnenstrahlen verabschieden. Provokationen werden Alltag.
       
   IMG Bild: Ein Sicherheitsmann an der polnisch-belarussischen Grenze bei Ozierany Male, Ostpolen am 4. Juli 2025
       
       Dieser Sommer war der des Frauenfußballs, des Regens, der [1][Labubus]. War
       2025 auch der letzte Sommer in Frieden? [2][19 russische Drohnen] verletzen
       Anfang September den polnischen Luftraum. Zu diesem Zeitpunkt ist es der
       schwerwiegendste Vorfall dieser Art seit dem Beginn von Russlands
       Angriffskrieg in der Ukraine. Beunruhigt? Es geht noch weiter:
       
       [3][Drohnensichtungen] im Donaudelta in Rumänien an der ukrainischen
       Grenze, über Regierungsgebäuden in Warschau, den Flughäfen in Oslo und
       Kopenhagen [4][und weiteren Flughäfen Dänemarks]. Dazu kommen drei
       russische Jets, [5][die in den estnischen Luftraum eindringen.]
       
       Polen und Estland suchen Unterstützung: Zweimal kommt die Nato zu
       Beratungen nach Artikel 4 zusammen, wo über weitere Schritte der
       Bündnispartner beraten wird. Das letzte Mal ist das kurz nach dem Beginn
       der Vollinvasion der Ukraine im Februar 2022 passiert. Insgesamt neunmal
       kam es seit der Gründung 1949 zu Beratungen. Das passiert, wenn die
       „Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die
       Sicherheit einer der Parteien bedroht“ ist. Das war zweimal in den
       vergangenen zwei Wochen der Fall.
       
       Kein Wunder, dass das mindestens ein mulmiges Gefühl, wenn nicht Angst
       auslöst. Wie werden sich die russischen Provokationen in den kommenden
       Tagen bis Monaten entwickeln, und was bedeutet es für uns? Klar ist: Nach
       dem Ausruf der Scholz’schen Zeitenwende hat sich im Jahr 2025 die
       Sicherheitslage massiv verschärft. Und doch sind Prophezeiungen, wann denn
       der Frieden in Europa enden würde, fehl am Platz. Denn der Frieden endet
       nicht mit der Schwimmbadsaison.
       
       ## Wir waren gewarnt
       
       Doch woher kommt die Angst vor dem letzten unbeschwerten Sommer? Geprägt
       hat die Schwarzmalerei [6][der Militärhistoriker Sönke Neitzel] in einer
       [7][Diskussionsrunde Anfang März]. Für viele Sicherheitsexperten waren die
       zwei folgenden Faktoren ausschlaggebend für einen alarmierenden Blick auf
       die Sicherheitslage in Europa: Zum einen machte die neue US-Regierung unter
       Präsident Donald Trump klar, dass die Zeit der engen Zusammenarbeit
       zwischen den USA und Europa vorbei ist. Die Weltordnung, wie wir sie
       kannten, veränderte sich mit der Rede des US-Vizepräsidenten J. D. Vance
       auf der Münchener [8][Sicherheitskonferenz], in der es nicht um die
       anhaltenden Krieg in der Ukraine ging, sondern Vance die angeblich fehlende
       Meinungsfreiheit in Westeuropa beklagte.
       
       Dazu kam die [9][öffentliche Bloßstellung] des ukrainischen Präsidenten
       Wolodymyr Selenskyj bei seinem Besuch im Weißen Haus Ende Februar.
       Ausschlaggebend für die „Letzter Sommer“-Panik war auch das angekündigte
       Militärmanöver von Belarus und Russland im Herbst 2025. Vor vier Jahren
       nutzte Russland [10][das Manöver „Zapad]“ – russisch für Westen –, um
       Truppen an der ukrainischen Grenze zu stationieren und ein halbes Jahr
       später anzugreifen. Auch Selenskyj warnte im Februar in München vor der
       Militärübung. „Vielleicht sind die Truppen in Belarus für uns bestimmt,
       vielleicht auch für euch.“ Das solche Warnungen das Kriegs-Kopfkino
       anschmeißen, ist menschlich. Denn Angst ist menschlich.
       
       Nicht alle gehen damit gleich um. Auf Tiktok und Instagram fragen Memes, ob
       deine neuen trendy Puma-Ballerinasneaker auch für den Schützengraben
       taugen. Neitzel versuchte die Angst zu transformieren: Er habe mit seiner
       Aussage damals „einen Weckruf“ leisten wollen, sagte er. Doch wach müssten
       wir bereits seit Februar 2022 sein. Denn wer denkt, Europa verabschiede
       noch müde die letzten Sommerstrahlen und den Frieden, nimmt eine
       egoistische mittel- und südeuropäische Haltung ein. Egal ob an die Ukraine
       grenzend oder nicht: Der Krieg hat Europa erreicht und die Bedrohungslage
       verschärft.
       
       Ein Krieg beginnt nicht erst mit dem ersten Panzer, der über die
       Landesgrenze rollt. Die Gefahren durch russische Spionage, Sabotage und
       Desinformation sind mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022 stark
       gestiegen. Dänemark warnt nach den vergangenen Drohnensichtungen vor einem
       „hybriden Angriff“. „Das sagt etwas darüber aus, in was für einer Zeit wir
       leben und worauf wir als Gesellschaft vorbereitet sein müssen“, so die
       dänische Regierungschefin.
       
       Auch in Deutschland komme es immer wieder zu Drohnensichtungen und
       Versuchen russischer Einflussnahme, warnte der [11][Verfassungsschutz] im
       Mai 2025. Bereits im November 2024 informierte das Amt über fremde Staaten,
       die die Bundestagswahl beeinflussen wollten. [12][Laut
       Correctiv-Recherchen] versuchte Russland während des Wahlkampfs durch eine
       russische Einflussoperation mit dem Namen „Storm-1516“, Desinformation und
       Deepfakes auf Fake-Nachrichtenseiten zu streuen.
       
       ## Low-Level-Agenten
       
       Darunter: Missbrauchsvorwürfe gegen Robert Habeck, Korruptionsvorwürfe
       gegen Annalena Baerbock und Nachrichten über Militäreinsätze der Bundeswehr
       in Osteuropa. Wir erinnern uns auch an die [13][Spiegel-Recherche] zu
       sogenannten Low-Level-Agenten, die, getarnt als Klimaaktivist*innen, Autos
       mit grünen Stickern beklebten und Bauschaum in Auspuffe sprühten.
       
       Nun töten Desinformationskampagnen normalerweise keine Menschen, doch sie
       verbreiten Misstrauen unter der Bevölkerung und gefährden die Demokratie.
       Erst in dieser Woche gab eine Bertelsmann-Studie bekannt, dass mehr als 70
       Prozent der Befragten von 15 bis 27 Jahren sich über soziale Medien
       informieren: die kommenden Generationen also, die sich mit einer neuen
       Weltordnung und multipolaren Krisen auseinandersetzen müssen.
       
       Besonders die Nutzung von Wegwerfagenten ist noch relativ neu und wird seit
       dem Beginn der Vollinvasion häufiger beobachtet. Der wohl bisher
       bekannteste Fall war der missglückte [14][Anschlag vergangenen Sommer am
       Flughafen Leipzig/Halle]. Das brennende Paket geht in der Welle der
       besorgniserregenden Nachrichten fast schon unter. Doch nur eine zufällige
       Verspätung verhinderte damals laut Verfassungsschutz einen Flugzeugabsturz.
       
       Was also tun mit der aktuellen Bedrohungslage? Angst und Panik sind die
       schlechtesten Gefährten. Es braucht mehr Aufklärung, ein Bewusstsein dafür,
       dass Angriffe auf die Demokratie in Deutschland und Europa nun zu unserem
       Alltag gehören. In den baltischen und skandinavischen Staaten [15][weiß man
       das schon.] Begrabt also den Sommer in Frieden, ruft lieber den Herbst des
       Katastrophenschutzes aus, der kritischen Infrastruktur, der
       Cybersicherheit. Das ist zwar weniger catchy und romantisch, doch bringt
       uns weiter.
       
       27 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Social-Media-Hype/!6103786
   DIR [2] /Drohnen-ueber-Polen/!6109336
   DIR [3] /Nato-Strategien-gegen-Putin/!6110167
   DIR [4] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/daenemark-aalborg-drohnen-100.html
   DIR [5] /Russische-Jets-ueber-Estland/!6111321
   DIR [6] /Militaerhistoriker-ueber-Kriegstuechtigkeit/!6087358
   DIR [7] https://www.ardaudiothek.de/episode/urn:ard:episode:fab92159796522c5/
   DIR [8] /Denkwuerdige-Sicherheitskonferenz/!6066772
   DIR [9] /Nach-dem-Eklat-im-Weissen-Haus/!6072974
   DIR [10] /Militaerexperte-ueber-Zapad-Manoever/!6108889
   DIR [11] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/spionage-und-proliferationsabwehr/2025-05-gefaehrdungen-durch-russische-spionage-sabotage-und-desinformation.pdf?__blob=publicationFile&v=5
   DIR [12] https://correctiv.org/faktencheck/russische-desinformation/2025/01/23/angriff-aus-russland-auf-bundestagswahl-deepfake-ki/
   DIR [13] /Fake-News-ueber-beschaedigte-Autos/!6067635
   DIR [14] /Brandsaetze-in-Luftfracht/!6083801
   DIR [15] /Schweden-preppt-fuer-den-Ernstfall/!6031305
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anastasia Zejneli
       
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