# taz.de -- Kriminalität in Österreich: Kadyrows langer Arm
> Ein Exiltschetschene und Kritiker von Tschetscheniens Präsidenten Ramsan
> Kadyrow wird in Österreich erschossen. Ein weiterer Auftragsmord?
IMG Bild: Tatort Gerasdorf bei Wien: Hier wurde Mamichan U. Opfer eines Mordanschlags
Wien taz | Nach dem Mord an dem Exiltschetschenen Mamichan U. am
vergangenem Samstag in einem Vorort von Wien konzentrieren sich die
österreichischen Ermittler auf die mutmaßlichen Täter und deren Motiv. Wie
das Opfer sind sie russische Staatsbürger tschetschenischen Ursprungs und
anerkannte Flüchtlinge. Zumindest gegen den mutmaßlichen Schützen läuft
aber ein Asylaberkennungsverfahren.
Eine vom tschetschenischen Kulturverein Itschkeria für Dienstag Nachmittag
einberufene Demonstration vor der Russischen Botschaft in Wien blieb
überschaubar. Nur 15 bis 30 Teilnehmer*innen waren angemeldet worden.
Itschkeria-Gründer Hussein Ischanow glaubt, dass seine Landsleute den
langen Arm von [1][Ramsan Kadyrow] fürchten. Kadyrow, der 2007 von Wladimir
Putin als Statthalter in der autonomen Republik Tschetschenien eingesetzt
worden war, soll hinter mehren Mordanschlägen im Ausland stecken.
Mamichan U., der sich in Österreich Martin B. nannte, wurde am Samstagabend
vor einer Einfahrt zu einer Baufirma im niederösterreichischen Gerasdorf
mit fünf gezielten Schüssen getötet. Noch in der Nacht stellte die Polizei
den mutmaßlichen Schützen in der Nähe von Linz. Der 47-jährige Sar Ali A.
ließ sich widerstandslos festnehmen.
Wenig später wurde auch der 37-jährige Salman M. verhaftet. Er hatte sich
als Leibwächter des Opfers ausgegeben und war ursprünglich als Zeuge
vernommen worden. Beide schweigen, wie die Polizei bekannt gab. Sie sind
aber keine unbeschriebenen Blätter. Ihre Vorstrafenregister beinhalten
Diebstahl, Betrug und Körperverletzung.
## Auf Bewährung frei
Auch Mamichan U., der 2007 als Konventionsflüchtling anerkannt wurde, war
nur auf Bewährung frei. Er wurde wegen Schlepperei und falscher
Zeugenaussage verurteilt und vor knapp einem Jahr vorzeitig entlassen.
Daher schließen die Ermittlungsbehörden auch einen mafiösen Hintergrund für
das Verbrechen nicht aus.
In der tschetschenischen Community geht man aber davon aus, dass der
Getötete Opfer eines Auftragsmordes ist. Unter dem Namen Anzor von Wien
pflegte er in seinem Video-Blog, der über 12.900 Abonnenten hat, Kadyrow
und selbst dessen Mutter deftig zu beschimpfen.
Der Verfassungsschutz will ihm deswegen vor einiger Zeit Personenschutz
angeboten haben. Den habe U. aber abgelehnt. Dass er sich doch nicht so
sicher fühlte, beweist die Bestellung einer kugelsicheren Weste, für die er
einen ukrainischen Expolitiker um Vermittlung bat.
Die pensionierte Journalistin Susanne Scholl, die lange Jahre für den ORF
aus Moskau berichtet hatte, hält es in einem TV-Interview für „sehr
realistisch“, dass Kadyrow auf den Blogger ein Kopfgeld ausgesetzt hat:
„Der Arm des Herrn Kadyrow ist sehr lang.“ Sie erinnerte an die Ermordung
der russischen Journalistin Anna Politkowskaja in Moskau 2006 und den Mord
am Exiltschetschenen Umar Israilow in Wien 2009.
## Schützende Hand des Kreml
Mamichan U. kam aus demselben tschetschenischen Dorf wie Israilow und galt
seit dem [2][Auftragsmord] als gefährdet. Im Prozess gegen die Killer wurde
Kadyrow ausdrücklich als Hintermann genannt. Scholl ist überzeugt, dass
Kadyrow ohne die schützende Hand des Kreml nicht so straflos agieren
könnte. Putis Deal mit ihm laute: „Du hältst den Kaukasus ruhig und darfst
machen, was du willst.“
In Österreich leben rund 30.000 Personen tschetschenischer Abstammung, die
Hälfte von ihnen in Wien. Die meisten sind nach den Tschetschenienkriegen
in den 90er Jahren gekommen, viele sind aber auch vor der Verfolgung durch
das Kadyrow-Regime geflüchtet.
Die mehrheitlich muslimische Community gilt als problematisch, weil sie oft
in Schlägereien mit Afghanen verwickelt ist. Die meisten der Dschihadisten,
die aus Österreich in den Krieg für den IS zogen, waren tschetschenischer
Herkunft.
7 Jul 2020
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## AUTOREN
DIR Ralf Leonhard
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