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       # taz.de -- Krise bei Volkswagen: Deutsche Wirtschaft auf Crash-Kurs
       
       > Während Kanzler und Finanzminister die deutsche Wirtschaft zu separaten
       > Treffen einladen, spitzt sich die Lage bei VW zu. Drei Werke sollen
       > schließen.
       
   IMG Bild: Mitarbeiter im VW-Stammwerk in Wolfsburg bei einer Informationsveranstaltung des Gesamtbetriebsrates am 28. Oktober
       
       BERLIN taz | Daniela Cavallo ließ in Wolfsburg die Katze aus dem Sack: „Der
       Vorstand will in Deutschland mindestens drei VW-Werke dichtmachen. Er
       behauptet: Ohne einen solchen Einschnitt geht es nicht“, erklärte die
       Betriebsratschefin am Montag im Stammwerk des Autobauers vor rund 25.000
       Beschäftigten. Zehntausende Arbeitsplätze stünden hierzulande auf dem
       Spiel. Gleichzeitig drohten der verbliebenen Belegschaft empfindliche
       Gehaltseinbußen. Diese könnten sich laut Betriebsrat auf 18 Prozent
       summieren.
       
       Nicht nur in Wolfsburg sprachen Betriebsratsvertreter*innen am Montag vor
       der Belegschaft. In allen zehn deutschen VW-Standorten gaben sie an die
       Werktätigen weiter, was sie zuvor von der Unternehmensspitze erfahren
       haben. Denn kein Werk soll laut den Plänen des Managements verschont
       bleiben. Die, die nicht geschlossen werden, sollen kleiner, schlanker,
       profitabler werden.
       
       Über die Pläne berichtete zunächst das Handelsblatt. Dass nicht die
       Konzernführung, sondern der Betriebsrat vor die Belegschaft trat, zeigt die
       angespannte Lage bei VW. So mahnte Cavallo: „Es ist der Vorstand, der hier
       alles angezündet hat. Und dann weggelaufen ist.“ Gleichzeitig lasse das
       Management „noch immer nicht den Hauch eines Zukunftsplans“ erkennen.
       
       [1][Bereits im September hatte der Autobauer wichtige Tarifverträge wie die
       seit drei Jahrzehnten bestehende Beschäftigungssicherung gekündigt.] Auch
       Betriebsschließungen brachte er ins Spiel. Schon diese Ankündigung glich
       einem kleinen Erdbeben. Denn keine andere Marke steht für die deutsche
       Industrie wie VW. Mit einem weltweiten Umsatz von rund 322 Milliarden Euro
       und rund 120.000 Beschäftigten allein in Deutschland ist der Gesamtkonzern
       das größte Industrieunternehmen des Landes. Auch ist VW die beliebteste
       Automarke Deutschlands. Knapp 39.000 Fahrzeuge der Marke wurden allein im
       September neu zugelassen.
       
       ## Problemkind E-Auto
       
       Doch sind das 7,4 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Der Konzern spürt,
       dass die Menschen weniger neue Autos kaufen. [2][Vor allem das Geschäft mit
       den Elektroautos schwächelt], auch weil es an günstigen Modellen fehlt.
       Erst ab 2027 soll ein Modell in der Preisklasse um 20.000 Euro produziert
       werden.
       
       Die Unternehmensführung spricht deshalb von rund 500.000 Autos, die VW zu
       wenig verkauft. „Nur wer erfolgreich wirtschaftet, kann auch sichere
       Arbeitsplätze anbieten“, verteidigt Finanzvorstand von Volkswagen Pkw,
       David Powels, die Kürzungspläne. „Um die dafür notwendigen Investitionen zu
       ermöglichen, muss allein die Marke Volkswagen Pkw im Jahr 2026 eine Rendite
       von 6,5 Prozent erwirtschaften.“
       
       Die Krise des Autobauers wird vermutlich auch Thema bei den Gipfeltreffen
       sein, die diesen Dienstag in Berlin stattfinden. [3][Kanzler Olaf Scholz
       und Finanzminister Christian Lindner haben dazu separat
       Industrievertreter*innen eingeladen.] Während sich Scholz mit
       Vertretern von Industrie und Gewerkschaften trifft, empfängt Lindner unter
       anderem die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu einem eigenen
       Mittelstandsgipfel.
       
       Die Lobbyisten werden dabei vor allem günstigere Energie fordern. „Eine
       zentrale Aufgabe für die Politik besteht darin, für die Breite der
       Unternehmen eine dauerhaft stabile wie wettbewerbsfähige Energieversorgung
       zu sichern“, sagte etwa DIHK-Präsident Peter Adrian der Rheinischen Post.
       BDI-Chef Siegfried Russwurm fordert schon länger eine Senkung von
       Stromsteuer und Netzentgelten.
       
       Für beides offen zeigte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
       (Grüne) in seinem vergangene Woche vorgestellten Eckpunktepapier zur
       Stärkung der Wirtschaft. Denn neben wachsendem Protektionismus und
       verstärkter Konkurrenz aus China beklagt die exportorientierte Industrie
       vor allem auch im internationalen Vergleich zu hohe Energiepreise.
       
       ## Arbeitskämpfe allerorten
       
       Wirtschaftsexperten glauben jedoch kaum, dass von den kursierenden
       Vorschlägen noch etwas umgesetzt wird: „Ein bisschen ratlos macht einen die
       Flut an Wirtschaftsrettungs- und Wachstumsinitiativen, Wummsen oder Turbos
       schon – zumal Scholz’ Treffen sogleich vom Gegengipfel seines
       Finanzministers konterkariert wird“, sagt der Direktor des Instituts der
       deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Denn mit der Umsetzung auch nur
       irgendeiner dieser Ideen sei in dieser Legislatur kaum zu rechnen, weil
       über entscheidende Fragen kein Konsens herrsche.
       
       Derweil gehen am Mittwoch die Tarifgespräche bei Volkswagen weiter. „Wir
       wollen Standorte, Auslastung und Beschäftigung langfristig absichern. Wenn
       die Chefetage den Abgesang Deutschlands einläuten will, muss sie mit einem
       Widerstand rechnen, den sie sich so nicht ausmalen kann“, kommentierte
       IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger.
       
       Dabei ist VW zwar das größte Industrieunternehmen, in dem die
       Tarifgespräche von Kämpfen um den Erhalt von Arbeitsplätzen überschatten
       sind, aber bei Weitem nicht das einzige. In weiten Teilen der Metall- und
       Elektroindustrie ist die Stimmung schlecht.
       
       Auf die Forderung nach 7 Prozent mehr Gehalt einigte sich die
       Tarifkommission der IG Metall für die derzeit laufenden
       Flächentarifgespräche in der Branche – diese Hausmarke strebt die
       Gewerkschaft eigentlich auch bei VW an. Bei einer Umfrage der Gewerkschaft
       sprachen sich rund ein Drittel der befragten Branchenbeschäftigten für eine
       Forderung von 8 Prozent und mehr aus. Doch jede*r Zehnte hielt angesichts
       der offenbar prekären Lage maximal 4 Prozent für gerechtfertigt.
       
       28 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Simon Poelchau
       
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