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       # taz.de -- Kritik an Berichterstattung: Jens Söring, ein Fall fürs TV
       
       > Ein verurteilter Mörder wird von deutschen Medien hofiert. Ob seine
       > Geschichte stimmt, beleuchten zwei neue Dokus auf ARD und Netflix.
       
   IMG Bild: Jens Söring spricht 2021 auf dem internationalen Festival der Philosophie über seine Geschichte
       
       Es gibt zwei unendliche Geschichten: die von Michael Ende und die von Jens
       Söring. Söring steht seit 30 Jahren im Rampenlicht, aber aktuell ist ihm
       wieder mediale Aufmerksamkeit sicher: in zwei neuen True-Crime-Dokus auf
       [1][ARD] („Mord. Macht. Medien – Der Fall Jens Söring“) und [2][Netflix]
       („Der Fall Jens Söring – Tödliche Leidenschaft“).
       
       Bekannt wurde der deutsche Diplomatensohn 1990, als man ihn wegen Mordes an
       den Eltern seiner Freundin Elisabeth Haysom zu zwei lebenslangen
       Haftstrafen verurteilte. Söring hatte die Morde zunächst gestanden,
       beharrte während des Prozesses aber auf seiner Unschuld. Er habe mit dem
       Geständnis bloß versucht, seine Freundin vor dem elektrischen Stuhl zu
       retten. Verurteilt wurde er trotzdem, Haysom erhielt wegen Anstiftung zum
       Mord 90 Jahre, 2019 kamen beide frühzeitig frei.
       
       Haysoms Geschichte ist an dem Punkt auserzählt, die von Söring fängt da
       erst richtig an. Denn er machte seine Story zum Business, und die entpuppte
       sich als Selbstläufer mit gewaltigem Output: acht Autobiografien, drei
       Dokus, zwei Podcasts, zwei Serien und Dutzende Zeitungsartikel, Interviews
       und Auftritte in deutschen Talkshows.
       
       Der Großteil davon übernimmt Sörings Version, in der er Opfer und Held ist.
       In dieser Doppelrolle präsentierte er sich seit seiner Freilassung 2019 in
       vielen Talkrunden von „Lanz“ bis „Kölner Treff“, in denen die
       Moderator:innen versuchten, aus der Bedeutungstiefe seiner tragischen
       Persona Lebensweisheiten zu schöpfen (zum Beispiel welche Allianzen
       schmieden, um die Welt zu retten?).
       
       Weitere Tipps verkauft Söring als Lebenscoach in Sachen Resilienz und
       toxische Beziehung. Sein „Unique Selling Point“: Wer jahrzehntelang im
       Gefängnis saß, weil er sich von seiner Freundin zu einem Mordgeständnis
       überreden ließ, muss es ja wissen. Diese unkritisch aufgenommene mediale
       Ausschlachtung seiner Geschichte hat ihm auch viel Kritik eingebracht, etwa
       von [3][Übermedien].
       
       Den Wahrheitsgehalt der Erzählung zweifeln nun auch die neuen Dokus an. Die
       ARD berichtet von der „bemerkenswerten Medienkarriere des verurteilten
       Doppelmörders“, Netflix spekuliert auf „tödliche Leidenschaft“.
       
       Schuldig oder nicht schuldig – es finden sich bestimmt noch genügend
       Plottwists für weitere True-Crime-Formate. Im nächsten Podcast erfahren wir
       vielleicht von Söring, wie die Unterhaltungsindustrie seine Geschichte
       verdrehte. Aber immerhin, und das ließe sich auch jetzt schon sagen, wird
       genügend darüber erzählt worden sein.
       
       27 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ndr.de/fernsehen/programm/epg/Mord-Macht-Medien,sendung1386904.html
   DIR [2] https://www.netflix.com/de/title/81445995
   DIR [3] https://uebermedien.de/68683/die-erstaunliche-medienkarriere-des-verurteilten-doppelmoerders-jens-soering/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lara Ritter
       
       ## TAGS
       
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