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       # taz.de -- Kritik an Reform des Jagdrechtes: Jagdgesetz unter Beschuss
       
       > Nach 45 Jahren will die Bundesregierung zum ersten Mal grundlegend das
       > Jagdrecht reformieren. Laut Kritikern verfehlt sie dabei ihre eigenen
       > Ziele.
       
   IMG Bild: Brandenburgische Jäger haben an diesem Morgen in Templin bei ihrer Treibjagd großen Erfolg
       
       Berlin taz | Muss das neue Jagdgesetz den Wald vor Rehen und Hirschen
       schützen? Oder eher Wildtiere vor Jäger:innen? Oder Jäger:innen vor den
       Interessen der Waldbesitzer:innen? Die Ansprüche an die [1][erste große
       Novelle des Bundesjagdrechts seit 45 Jahren] sind groß und vielfältig, die
       Kritik am Entwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) entsprechend
       auch. Am Mittwoch wird er in erster Lesung im Bundestag diskutiert.
       
       Zugrunde gelegt hat das BMEL dem Gesetz das Prinzip „Wald vor Wild“.
       [2][Der wegen des Klimawandels „notwendige Waldumbau“] solle „möglichst
       ohne Schutzmaßnahmen durchgeführt werden“, schreibt das Ministerium. Soll
       heißen: Die Bestände an Schalenwild – also Paarhufern wie Rehen, Rot- und
       Damhirschen – sollen so weit dezimiert werden, dass junge Bäume auch ohne
       Schutzzäune oder Plastikhäubchen ungefährdet aufwachsen können.
       
       Dafür sollen sich Jäger und Waldbesitzer künftig darauf einigen, wie viele
       Tiere mindestens erlegt werden müssen; Obergrenzen sind nicht vorgesehen.
       Bisher erstellen in den meisten Bundesländern die Behörden Abschusspläne.
       
       Der Gesetzentwurf erlaubt den Jäger:innen zusätzliche Möglichkeiten,
       beispielsweise Nachtsichtgeräte einzusetzen, um auch im Dunkeln jagen zu
       können. Des Weiteren sieht er vor, die seit Langem umstrittene Bleimunition
       „zu minimieren“ und die Ausbildung der Jäger:innen zu reformieren.
       
       ## Der Klimawandel verschärft das Problem
       
       Wolfgang Kornder, 1. Vorsitzender des Ökologischen Jagdverbandes Bayern,
       hält die Gesetzesnovelle für vollkommen unzureichend. „Sie wird der
       Tatsache nicht gerecht, dass wir gerade ein Waldsterben 2.0 erleben“, sagt
       Kornder, „und dass der Klimawandel manche Tierarten massiv begünstigt, den
       Wald aber ebenso massiv schädigt“.
       
       Harte Winter, die Rehe und Hirsche früher dezimiert hätten, blieben aus;
       Wildschweine fänden auf den Mais- und Gerstenfeldern der industriellen
       Landwirtschaft ein überreiches Futterangebot.
       
       Rund 300.000 Hektar Forstflächen sind in den vergangenen drei Trockenjahren
       verloren gegangen. Sie müssen entweder neu mit Setzlingen bepflanzt oder
       der Naturverjüngung überlassen werden. In diesem Fall warten die
       Waldbesitzer darauf, dass sich neuer, an den Standort angepasster Wald auf
       den kahlen Flächen ansiedelt.
       
       Beide Methoden, anpflanzen oder sprießen lassen, leiden stark unter dem
       Verbiss durch Wild. Weil Reh, Hirsch oder Damwild gern junge, saftige
       Triebe fressen, kann kein neuer Wald entstehen. Angeknabberte Bäumchen
       gehen entweder ein oder entwickeln sich zu Büschen.
       
       Wie viel Reh- und Rotwild durch deutsche Forste und Felder streifen, lässt
       sich nur anhand der von den Jägern gemeldeten Strecke, also der Zahl der
       geschossenen Tiere, abschätzen. Systematisch zählen lassen sich die
       Versteckkünstler kaum.
       
       Laut dem Deutschen Jagdverband sind im Jagdjahr 2019/2020 rund 77.000
       Hirsche, 880.000 Wildschweine und 1,2 Millionen Rehe erlegt worden,
       deutlich mehr als zehn Jahre zuvor.
       
       Der Biologe Oliver Krone vom Leibniz-Institut für Zoo- und
       Wildtierforschung (IZW) in Berlin geht davon aus, dass in Deutschland
       jährlich maximal die Hälfte des Bestands dieser Arten geschossen wird.
       Demnach gibt es in Deutschland mehr als 2,5 Millionen Rehe und 160.000
       Hirsche. Wolfgang Kornder vom Ökologischen Jagdverband hält diese Zahlen
       für zu niedrig und geht von deutlich mehr Tieren aus.
       
       „Auf jeden Fall sind es viel zu viele“, sagt Martin Häusling,
       Europa-Abgeordneter der Grünen und Biobauer in Nordhessen. Daran werde auch
       das neue Jagdgesetz nichts ändern, denn die vorgeschlagene Methode – die
       Einigung von Jäger:innen und Waldbesitzer:innen – sei unzureichend.
       
       ## Wildbestände künstlich hochgehalten
       
       „Wenn diese beiden Interessengruppen verhandeln, werden die Waldbesitzer
       regelmäßig über den Tisch gezogen“, sagt Häusling. Schließlich seien die
       Einnahmen aus der Jagdpacht in Zeiten fallender Holzpreise häufig
       existenziell wichtig für die Waldbesitzer.
       
       Häusling, dessen Biohof am Rande des nordhessischen Kellerwaldes liegt,
       kennt das aus eigener Erfahrung. Seit Jahren führt er einen Kleinkrieg mit
       dem örtlichen Jagdpächter.
       
       Damit dieser Hirsche mit prächtigen Geweihen erlegen könne, erhalte er
       künstlich einen viel zu hohen Bestand an Rotwild in seinem Revier. Dieses
       schäle tagsüber die jungen Buchen des Kellerwaldes – und fresse nachts die
       Felder kahl, auf denen Häusling Futterpflanzen wie Luzerne anbaut. Der
       Jagdpächter bestreitet die Vorwürfe.
       
       Dieser Konflikt ist vielerorts typisch für das Verhältnis der Jägerschaft
       mit Landwirten und Waldbesitzern. Entsprechend unzufrieden sind deren
       Wirtschaftsverbände mit dem neuen Jagdrecht. Der „vorliegende
       Referentenentwurf zur Novelle des BJG bleibt deutlich hinter dem Anspruch,
       klimaresiliente Mischwälder aufzubauen, zurück“, teilte etwa die
       Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände mit.
       
       Die Lösung sehen die Kritiker in „Vegetations-“ oder „Verbiss-Gutachten“.
       Fachleute wie Förster untersuchen darin den Zustand der Forste und legen
       auf Basis der gesammelten Erkenntnisse fest, wie hoch der Abschuss an
       Schalentieren darin sein soll.
       
       In Bayern werde dies schon seit 1986 sehr erfolgreich von den staatlichen
       Förstern durchgeführt, sagt Kornder vom Ökologischen Jagdverband Bayern.
       Dies sei auch bundesweit ein guter Weg, meint Jörg Müller, Vorsitzender der
       Bundesvertretung Forstwirtschaft in der IG Bau. Allerdings gebe es dafür
       viel zu wenig Personal in den Forstverwaltungen.
       
       ## Schutz für Tiere oder Jäger?
       
       Derzeit fehlten zirka 11.000 Stellen im Forstbereich. „Hier sind Bund und
       Länder zukünftig deutlich stärker gefordert“, meint Müller. Dem
       Europapolitiker Häusling schwebt deshalb vor, dass die Jagdpächter die
       Verbissgutachten zahlen, „das sind schließlich keine armen Leute“.
       
       Die Juristin Christina Patt empört diese Debatte. Sie hält das Prinzip
       „Wald vor Wild“ für verfassungswidrig und fordert eine tierschutzgerechte
       Bejagung von Reh und Hirsch – also etwa deutlich kürzere Jagdzeiten. „Das
       Tierschutzrecht hat sich in den vergangenen 40 Jahren ganz grundlegend
       weiterentwickelt“, sagt das Vorstandsmitglied der Deutschen Juristischen
       Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT).
       
       Die Organisation ist eine von 28 Tierschutzorganisationen, die das neue
       Bundesjagdrecht in einer gemeinsamen Stellungnahme gänzlich ablehnen.
       Wirbeltiere dürften nur wegen eines „vernünftigen Grundes“ getötet werden,
       und Tierschutz ist Staatsziel.
       
       Das Jagdrecht aber habe diese Entwicklung nicht mitvollzogen. „Es gibt nur
       wenige vernünftige Gründe, Rehe oder Hirsche zu schießen“, sagt Patt, „zum
       Beispiel, wenn sie der Ernährung dienen“. Bestände regulieren könne man
       durch die Jagd sowieso nicht. Schließlich gebe es in Deutschland ein
       ausgedehntes Jagdrecht, sagt Patt, „und trotzdem gibt es erhöhte Bestände“.
       Nicht die Zahl der Tiere sei ausschlaggebend für den Zustand des Waldes.
       
       Die Juristin geht davon aus, dass sie sich deshalb vermehrt in den Wald
       zurückziehen und dort Schaden anrichten, weil sie sich aufgrund des hohen
       Jagddrucks, aber auch durch die vielen Spaziergänger und Radfahrer in der
       Natur bedroht fühlen. „Werden sie weniger gestört und wird ihr natürlicher
       Lebensrhythmus beachtet, haben sie auch nicht einen so hohen
       Nahrungsbedarf“, sagt Patt.
       
       Untersuchungen des IZW zeigen tatsächlich, dass Wildtiere Jagdzeiten und
       Schonfristen registrieren. Während der Jagdzeiten erhöhen sie etwa ihre
       Fluchtdistanz und verstecken sich im Wald.
       
       Trotzdem hält Wildtiermediziner Krone eine verstärkte Jagd auf Rotwild und
       Rehe für unabdingbar. „Wir leben in einer vom Menschen geschaffenen
       Kulturlandschaft“, sagt Krone, „in der wir zwischen den gesellschaftlichen
       Interessen der Land- und Forstwirtschaft und dem Tierschutz abwägen
       müssen.“
       
       Allerdings: Auch für die Jagdbefürworter Kornder, Häusling und Krone spielt
       der Tierschutz eine zu geringe Rolle im Gesetzentwurf des BMEL, die
       Handschrift des Deutschen Jagdverbands sei allzu deutlich lesbar: So sei
       die Zahl von rund 100 jagdbaren Arten, denen Jäger:innen hierzulande
       nachstellen dürfen, viel zu hoch.
       
       Die Bestände von Raubtieren wie Füchsen oder Greifvögeln werden durch die
       Zahl der Beutetiere reguliert – hier ist Jagd nicht nötig. Krone sieht
       höchstens 25 Tiere auf der Liste der jagdbaren Tiere, Umweltverbände wie
       der Nabu gar nur 12.
       
       Mit dem Ziel, die „Bleimunition zu vermindern“, springe die Bundesregierung
       zu kurz. Sie müsse, fordert Martin Häusling, in einem „Diskussionspapier
       zur Jagdrechtsreform, „in allen Jagdarten verboten werden“.
       
       Bleivergiftungen durch verseuchtes Aas sei nicht nur die häufigste
       Todesursache für Seeadler, sondern auch für Menschen, die häufig
       Wildfleisch essen. Der Jagdverband begründet seine Ablehnung eines Verbots
       bleihaltiger Munition mit dem Tierschutz durch deren erhöhte
       Tötungswirkung.
       
       Einen schnellen, schmerzlosen Tod garantiere vielmehr eine bessere Aus- und
       Fortbildung der Jäger, sagt Ökojäger Kornder. Bislang sehe die
       Gesetzesnovelle lediglich vor, dass Jäger:innen ihre Fertigkeiten mit der
       Waffe durch das Üben auf Schießständen belegen. Notwendig seien aber auch
       Nachweise über regelmäßige erfolgreiche Schießübungen. Auch hier dient der
       Gesetzentwurf den Interessen der konventionellen Jägerschaft.
       
       27 Jan 2021
       
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