URI: 
       # taz.de -- Kritik in Polizei an Kassel-Einsatz: „Eine bittere Erfahrung“
       
       > In Kassel überrannten „Querdenker“ erneut die Polizei. Nun mehren sich
       > auch dort kritische Stimmen – und die Forderung nach mehr Konsequenz.
       
   IMG Bild: Hier hält die Polizeikette (vorerst) noch: Corona-Protestierende am Samstag in Kassel
       
       Kassel/Berlin taz | Armin Bohnert ist noch immer konsterniert. „Ich kann
       mir diese Bilder weiter nicht erklären“, sagt einer der Vorsitzenden von
       PolizeiGrün, einem Verein kritischer Polizist:innen. „Dass Marschierende,
       die nicht marschieren dürfen und die fast kollektiv den Infektionsschutz
       ignorieren, mit dieser Wucht die Straße freigeräumt bekommen, ist nicht zu
       verstehen. Und die Querdenker fühlen sich bestätigt, weil der Staat die
       Regeln nicht durchgesetzt hat.“
       
       Bohnert spricht über den Polizeieinsatz am Samstag in Kassel. Rund
       [1][20.000 Corona-Protestiere]r hatten dort eigenmächtig Demonstrationszüge
       durchgesetzt, obwohl ihnen Gerichte nur zwei Kundgebungen mit höchstens
       6.000 Teilnehmer:innen erlaubten. Beamte wurden überrannt, es kam zu
       Handgemengen. Dennoch kursierte das Foto einer Polizistin, die in Richtung
       der „Querdenker“ eine Herzgeste formte. Gegendemonstrierende drängte die
       Polizei derweil [2][rabiat von der Straße], als diese sich an Blockaden mit
       Fahrrädern versuchten.
       
       Auch am Montag verhallte die Kritik an der Polizei nicht. Die hessische SPD
       sprach von einem „absolut unverständlichen Zurückweichen des Staates“, die
       Linke von „unfassbaren Fehleinschätzungen“ der Polizei. Es sei
       unerklärlich, warum es nicht zu Zufahrtskontrollen und Absperrungen
       gekommen sei.
       
       Und auch in den Reihen der Polizei wird nun diskutiert: Wie weiter umgehen
       mit den „Querdenkern“ – die ja nicht zum ersten Mal machten, was sie
       wollen?
       
       ## Sympathiegesten „gehen gar nicht“
       
       Auch für PolizeiGrün-Chef Bohnert war das Auftreten der „Querdenker“
       absehbar. „Das zeigte sich ja auch schon an anderer Stelle.“ Man hätte
       daher probieren können, die Anreisenden besser zu steuern und bereits deren
       Losmarschieren zu verhindern. „Wobei das bei 20.000 Menschen zugegeben
       wahnsinnig schwierig ist.“ Sympathiegesten für die Protestierer gingen
       jedenfalls „bei diesem Thema gar nicht“. Und statt Gegendemonstranten
       wegzuzerren und wegzuschlagen, hätte man hier auf Kommunikation setzen
       müssen.
       
       Auf dem Blog „[3][Grundgesetz Ultras]“ wurde am Montag ein Polizist
       zitiert, der eine „chaotische“ Einsatzplanung beklagte. Es habe von Beginn
       an zu wenige Beamte gegeben. Auch sollten er und andere erst einschreiten,
       als die Lage schon „gekippt“ war. „Schadensbegrenzung war das einzige, was
       wir noch betreiben konnten.“
       
       Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der größten
       Polizeivertretung, ist ebenso unzufrieden. „Die Durchsetzung der
       Versammlungsfreiheit und das Einschreiten zur Einhaltung des
       Infektionsschutzes müssen von ausreichenden Einsatzkräfte gewährleistet
       werden“, betont er. Und findet ebenso, dass es Solidarisierungen mit den
       „Querdenkern“ „für Polizisten nicht geben kann“. „Das ist eine
       demokratiefeindliche Bewegung.“
       
       Die Polizei sei aber eine „lernende Organisation“, sagt Radek. Und er
       betont auch, dass die Beamten an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
       gebunden seien und stets die Folgen einer Versammlungsauflösung prüfen
       müssten – „auch wenn eine Entscheidung am Ende in der Öffentlichkeit ein
       problematisches Bild wirft“.
       
       Für Radek bleibt der Kassel-Aufzug „eine erneute, bittere Erfahrung“. „Den
       Querdenkern geht es nicht um eine demokratische Meinungsäußerung, sondern
       darum, den Staat zu provozieren. Das Friedliebende ist nur vorgetäuscht.“
       Radek sieht nun vor allem die Gerichte in der Verantwortung, die Proteste
       kritischer zu prüfen. Die Organisatoren hätten „wiederholt
       Unzuverlässigkeiten offengelegt“, darunter Übergriffe auf
       Gegendemonstranten und Polizeikräfte. „Die Anmelder wollen nicht
       deeskalieren und ihnen ist der Infektionsschutz egal. So riskieren sie auch
       die Gesundheit der Bevölkerung. Das muss Folgen haben.“
       
       ## Polizei Kassel wehrt sich
       
       Die Polizei Kassel hatte ihren Einsatz damit verteidigt, dass „die
       Anwendung von Zwangsmitteln zu einer nicht unerheblichen Anzahl Verletzten
       auf allen Seiten geführt hätte“. Auch seien die meisten Demonstrierenden
       „augenscheinlich überwiegend aus dem bürgerlichen Lager“ gekommen und
       hätten „eher keine erkennbare Tendenz zu gewalttätigen Aktionen“ gezeigt.
       Daher habe man sich, nach intensiven Beratungen, gegen eine Auflösung
       entschieden. Ein Polizeisprecher hatte dagegen eingeräumt, dass man mit
       einer derart hohen Zahl an Demonstrierenden nicht gerechnet hatte.
       
       Diese Zahl konnte indes nur wenig überraschen. Denn die „Querdenker“-Szene
       hatte auch nach dem Demonstrationsverbot weiter nach Kassel mobilisiert.
       Zudem hatte sich die Protestierer zuvor bereits in Berlin, Leipzig und erst
       vor einer Woche in Dresden [4][über Verbote hinweggesetzt] und
       Polizeikräfte überrannt. In Berlin hatte die Polizei darauf ihre Strategie
       geändert und bei einem Corona-Protest im November 2020 vorm Bundestag einen
       nicht genehmigten Aufzug [5][mit Wasserwerfern] aufgelöst.
       
       Kassels Bürgermeister Christian Geselle (SPD) nahm die Polizei dennoch in
       Schutz: Dieser sei „kein Vorwurf zu machen“. Die Deeskalationsstrategie sei
       aufgrund der zahlenmäßigen Unterlegenheit der Beamten und der unabsehbaren
       Folgen eines Einschreitens richtig gewesen. Es hätten sich ja auch ältere
       Menschen und Kinder unter den Demonstrierenden befunden. Den Protest selbst
       bezeichnet Geselle aber als unverantwortlich in Pandemiezeiten: Er sei „ein
       Schlag ins Gesicht derjenigen, die Leid und Entbehrungen in der Krise
       ertragen mussten“.
       
       ## Thema für Innenausschuss
       
       Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) kündigte derweil eine Nachbereitung
       des Polizeieinsatzes an. Am Donnerstag will sich damit auch der hessische
       Innenausschuss befassen. Der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD)
       kündigte ebenfalls eine Untersuchung an, nachdem vor allem Einsatzkräfte
       aus seinem Land mit aggressivem Aktionen auffielen.
       
       Für PolizeiGrün-Chef Armin Bohnert ist jetzt schon klar: „Wir müssen
       endlich ernst nehmen, dass die Querdenken-Demonstranten nicht nur
       bürgerlich und harmlos sind, sondern rabiat ihr Ding durchziehen. Dass sie
       mit dem Ignorieren des Infektionsschutzes ein Risiko für die Gesellschaft
       darstellen.“ Daher brauche es in den Polizeieinsätzen mehr Konsequenz: „Der
       Staat und die Polizei müssen klar zeigen, wo es Grenzen gibt. Und wenn es
       ein Versammlungsverbot gibt, muss das auch konsequent durchgesetzt werden.“
       
       22 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Demos-gegen-Anti-Corona-Massnahmen/!5759875
   DIR [2] /Eskalation-bei-Querdenken-in-Kassel/!5756907
   DIR [3] https://www.ggultras.de/k2003-frust-auch-bei-der-polizei/
   DIR [4] /Straftaten-auf-Coronaprotesten/!5754881
   DIR [5] /Proteste-gegen-Corona-Schutzmassnahmen/!5725575
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR Polizei
   DIR Kassel
   DIR GdP
   DIR GNS
   DIR IG
   DIR Nena
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR "Querdenken"-Bewegung
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nena bedankt sich bei Querdenker:innen: Mitgeschwurbelt
       
       Nena hat sich bei Corona-Demonstrant:innen und dem Verschwörungsideologen
       Xavier Naidoo bedankt. Überraschend kommt ihr Eso-Turn nicht.
       
   DIR Brandanschlag auf Rathaus Delmenhorst: Corona-Protest mit Brandsatz
       
       In Delmenhorst wirft ein Gegner der Corona-Maßnahmen Molotowcocktails ins
       Rathaus. Der Bürgermeister ist fassungslos.
       
   DIR Eskalation bei „Querdenken“ in Kassel: Der Kontrollverlust
       
       Die Ereignisse in Kassel am Samstag waren absehbar. Dass die Polizei nicht
       richtig eingriff, zeigt, wie mächtig die radikalisierte Bewegung wird.
       
   DIR „Querdenken“-Demo in Kassel: Polizeieinsatz in Kassel gewaltvoll
       
       Rund 20.000 Menschen protestierten gegen Corona-Maßnahmen. Videos zeigen,
       wie Polizei auch gegen Gegendemonstranten vorging.
       
   DIR Straftaten auf Coronaprotesten: Schluss mit friedlich
       
       Der Coronaprotest wird gewalttätiger. Die Länder zählen zahlreiche
       Straftaten. Der bayrische Verfassungsschutz nimmt die Bewegung ins Visier.