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       # taz.de -- Kronprinz verzichtet auf Scholz-Nachfolge: Der neue Mann
       
       > Andreas Dressel hat es von einem Nobody zum unbestrittenen Kandidaten als
       > Hamburger Bürgermeister gebracht – und dann verzichtet.
       
   IMG Bild: Familienmensch: der neue Finanzsenator Andreas Dressel
       
       Hamburg taz Einen Monat ist es her, dass die taz ein Foto von Olaf Scholz
       und seinem designierten Nachfolger Andreas Dressel zeigte, mit
       hineinmontierten Sprechblasen. Scholz: „Ich bin dann mal weg. Freu dich,
       Andi, du darfst regieren!“ Dressel: „Echt? Muss das sein?“
       
       Seit Jahren wird er als Scholz’ Kronprinz gehandelt, die Nachfolge des an
       die Seite von Kanzlerin Merkel wechselnden Scholz lief zwangsläufig auf
       Dressel zu. Seit Jahren weist er Fragen zu diesem Thema wortreich ab. Es
       ist auch glaubhaft, dass ihm dieser Schritt zu früh erschien, aber nun, da
       Scholz vorzeitig geht, musste Dressel springen – oder verzichten.
       
       Am Freitagnachmittag platzte die Bombe: Dressel verzichtet auf das höchste
       Amt im Stadtstaat, lässt Peter Tschentscher den Vortritt und beerbt diesen
       als Finanzsenator.
       
       ## Bürgermeister und Vaterpflichten – das passt nicht
       
       Immer wieder mal hatte der Mann, den Olaf Scholz über viele Jahre
       systematisch zu seinem Nachfolger aufgebaut hatte, hinter vorgehaltener
       Hand Zweifel daran geäußert, ob die Zeit reif wäre für ihn als
       Bürgermeister. Dennoch war sich das politische Hamburg bis gestern
       Nachmittag einig: Ein anderer Kandidat für das Amt des Ersten
       Bürgermeisters war nicht vorstellbar. Auch, weil Parteichef Scholz schwer
       beschädigt wäre, wenn er seinen Wunschkandidaten nicht durchbrächte.
       
       Nun hat der seinem Chef einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dressel
       ist erst vor zwei Monaten 43 Jahre alt geworden. Und er hat drei Kinder, im
       Alter von fünf, neun und zwölf Jahren. Das, so nun offenbar seine
       Entscheidung, wäre mit den Amtspflichten als Bürgermeister nicht vereinbar.
       Jedenfalls nicht, wenn man sie so interpretiert, wie der ebenso kinder- wie
       rastlose Olaf Scholz es vorgelebt hat.
       
       Und sicherlich hätte Dressel stilistisch wie inhaltlich fortsetzen wollen,
       was der 17 Jahre ältere Scholz 2011 begonnen hatte. Er hätte keine neuen
       Schulden gemacht, die Sanierung des Haushalts weiter betrieben und
       überhaupt, wie schon Scholz, versucht, „ordentlich zu regieren“. Das alles
       kann er nun als Finanzsenator ähnlich gut, nur ohne die lästigen
       Repräsentationspflichten.
       
       Mit der Querschnittsaufgabe Finanzen kann der bisherige Fraktionschef gut
       leben. Denn ein eigenes Thema hat der Mann aus den idyllischen Walddörfern
       am Oberlauf der Alster im Hamburger Nordosten nicht; mit einer Leitidee zu
       glänzen, liegt ihm fern. Dressel ist ein Politmanager, dem Ergebnisse
       natürlich wichtig sind, aber ohne die Prozesse gering zu schätzen, die
       dorthin führen. Er ist ein kommunikationsstarker Moderator, und er ist
       führungsstark zugleich. Dressel kann Menschen überzeugen, aber wenn es
       nicht anders geht, überredet er sie auch.
       
       ## Eine Wahl in zwei Jahren – eine Zumutung
       
       Als Bürgermeister indes hätte Dressel rasch aus dem Schatten von Olaf
       Scholz treten müssen: In zwei Jahren bereits steht die nächste
       Bürgerschaftswahl an. Dressel hätte die kommenden beiden Jahre quasi im
       Dauerwahlkampf verbringen müssen – einleuchtend, dass er seiner Familie das
       nicht zumuten wollte.
       
       Dabei hatte der Jurist seinen Aufstieg planmäßig konzipiert. 2004, mit 29
       Jahren, zog er erstmals in die Bürgerschaft ein und schnappte sich sofort
       den Posten des innenpolitischen Sprechers. Damals litt die Hamburger SPD
       nach 52 Jahren des Dauerregierens noch unter dem Verlust der Macht an
       CDU-Bürgermeister Ole von Beust und den gnadenlosen Richter Ronald Schill.
       Mit innerer Sicherheit könne die SPD Wahlen zwar nicht gewinnen, so die
       Überzeugung der Genossen damals, aber krachend verlieren, deshalb musste
       diese offene Flanke geschlossen werden.
       
       Neuling Dressel machte seinen Job und gab den harten Hund. Seine zahllosen
       detaillierten und spitz formulierten Anfragen an den allein regierenden
       CDU-Senat timte er so, dass er die Antworten zum Wochenende bekam und
       auswerten konnte. Und verlässlich traf am nachrichtenarmen Sonntag eine
       Mail von Dressel in den Redaktionen ein, in der er dem Senat ein ums andere
       Mal Fehler und Versäumnisse nachwies. „Unser’n sonntäglich Dressel gib’ uns
       heute“ wurde zum geflügelten Wort unter Hamburgs Politjournalisten. Sie
       hatten ihre Nachricht, und Dressel bekam seine Story. Und als Fraktionschef
       Michael Neumann 2011 Innensenator wurde, war Dressel dessen logischer
       Nachfolger.
       
       So wie jetzt bei Scholz – eigentlich. Das hängt auch damit zusammen, dass
       Dressel den Hamburger Rathausreportern als großer Kommunikator gilt. Der
       stets freundlich lächelnde Zwei-Meter-Hüne ist um keine Antwort verlegen,
       faktensicher und rhetorisch gewandt zugleich. Als Fraktionschef ist er
       notwendigerweise Generalist, und er ist es gerne. Wohl niemand in der
       Hamburger Politik, außer Olaf Scholz selbstredend, kann so detailliert und
       kenntnisreich über tatsächlich jedes Thema aus dem Stegreif erschöpfend
       Auskunft geben wie Dressel. Wobei das wörtlich zu nehmen ist: Notfalls
       redet er so lange in immer neuen Formulierungen immer dasselbe, bis der
       Gesprächspartner ermattet aufgibt.
       
       Zusammen mit dem grünen Fraktionschef Anjes Tjarks, mit dem ihn eine echte
       Freundschaft verbindet, hat Andreas Dressel bislang eine Nebenregierung
       gebildet, wegen der Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen in Anlehnung an eine
       US-Krimiserie „A-Team“ genannt. Schon mehrfach holten die beiden
       blitzgescheiten Alleskönner für die rot-grüne Koalition heiße Kohlen aus
       dem Feuer.
       
       Ihr Meisterstück lieferten die beiden 2016 ab, als sie eine Einigung mit
       einer Initiative erzielten, die einen Volksentscheid über die Unterbringung
       und Verteilung von Flüchtlingen durchsetzen wollte. Dieses Plebiszit
       verhindert zu haben, das eine enorme gesellschaftliche Sprengkraft gehabt
       hätte, stärkte beider Profil und Gewicht enorm – im Falle Dressels mit
       ausdrücklicher Billigung von Scholz, der seinen Trouble-Shooter mit
       außerordentlichem Wohlwollen betrachtete.
       
       Seit Langem baute er Dressel insgeheim als Nachfolger auf und gewährte ihm
       eine ungewöhnlich große Beinfreiheit. Dressel ist der einzige in der
       Hamburger SPD, der Scholz – hinter verschlossenen Türen, versteht sich –
       ungestraft widersprechen darf, und er hat dies bereits mehrfach getan.
       Dabei ist er immer loyal geblieben, und eben das weiß Scholz zu schätzen.
       
       In der Fraktion ist Dressel unumstritten, erst im Oktober wurde er mit 93
       Prozent als Vorsitzender im Amt bestätigt. Selbst hinter vorgehaltener Hand
       lästert kaum ein Abgeordneter über den Chef, stattdessen werden seine
       Fähigkeiten als Politmanager und Kommunikator gerühmt. Richtig biestig
       waren nur mal kurz zwei Senatsmitglieder, weil Dressel in der
       Flüchtlingskrise ohne deren Wissen direkt mit den Fachleuten in ihren
       Behörden kommunizierte. Selbst als Vorschläge getarnte Anordnungen soll er
       hinter dem Rücken der SPD-Senatoren erteilt haben. So was gefällt nicht
       jedem.
       
       Zugleich zeigt es aber, dass Dressel auch knallhart sein kann. Gezielt hat
       er den Vorsitz des größten Hamburger SPD-Kreises Wandsbek übernommen, der
       auf Parteitagen mit fast einem Viertel der Delegierten seine Hausmacht
       bildet. Gegen Wandsbek kann man in Hamburgs SPD kaum regieren, also auch
       nicht gegen Dressel.
       
       ## Keiner holte mehr Stimmen
       
       Der kann auch noch mit dem Persönlichkeitsbonus wuchern: Bei der
       Bürgerschaftswahl 2015 war er in seinem Wahlkreis Alstertal-Walddörfer mit
       über 83.000 Personenstimmen der Hamburger Politiker mit der weitaus größten
       Zustimmung, rund 30.000 Stimmen Vorsprung vor dem nächsten. Alle anderen
       Mandate gingen für meist weniger als 20.000 Stimmen weg.
       
       Dieser Erfolg zeigt, wie geerdet der Mann noch immer ist, der in Hamburg
       und Los Angeles studierte und über die Hamburger Volksgesetzgebung
       promovierte. Mit seiner Frau Birthe, ebenfalls Volljuristin, und den drei
       Kindern lebt er weiterhin im Alstertal, wo er aufwuchs und Mitglied in
       einem halben Dutzend Vereinen und Organisationen ist. Und wo er kürzlich
       feststellte, dass die Spielgeräte auf dem Spielplatz seiner Jüngsten noch
       aus seiner eigenen Jugend stammen. Die Konsequenz ließ nicht lange auf sich
       warten: Anfang Januar präsentierte Dressel zusammen mit seinem grünen
       Kompagnon Tjarks, ebenfalls Vater dreier Kinder, ein jährliches fünf
       Millionen-Euro-Programm zur Sanierung und Modernisierung der Hamburger
       Spielplätze.
       
       Andreas Dressel hat nicht vergessen, wo er herkommt. Und er weiß, wo er hin
       will. Doch den entscheidenden Schritt macht er erst später. In sieben
       Jahren, zur nächsten Wahl, ist er gerade 50. Im besten Bürgermeister-Alter.
       
       Den ganzen Schwerpunkt zur Scholz-Nachfolge in Hamburg lesen Sie in der
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       9 Mar 2018
       
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       ## AUTOREN
       
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