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       # taz.de -- Kubas frustrierte Jugend: Mangel im Paradies
       
       > Hinter der karibischen Postkartenkulisse verbirgt sich eine kaputte
       > Wirtschaft und eine restriktive Regierung. Junge Menschen wandern aus.
       
   IMG Bild: Eine junge Frau mit Smartphone am Strand. Freies Internet gibt es in Kuba nicht
       
       Havanna taz | Die Tankanzeige steht auf null. Dennoch rast das Auto mit
       hohem Tempo über die Asphaltstraße. Mit welcher Geschwindigkeit, kann man
       nur schätzen, denn auch die Tachonadel zeigt null. Lediglich Blinker und
       Stereoanlage funktionieren. Der Fahrer des lilafabenen Jeeps, der sein Geld
       hauptsächlich damit verdient, Tourist:innen von einer Stadt in die
       andere zu fahren, antwortet auf die Frage, woher er denn wisse, wann es
       Zeit zum Tanken sei, ein wenig erstaunt: Er verlasse sich eben auf sein
       Gehör – und sein Zeitgefühl.
       
       Sonnenstrahlen fallen auf die Landstraße, die Havanna und Trinidad
       verbindet. Es ist früh am Morgen eines Dezembertages, trotzdem beträgt die
       Außentemperatur schon jetzt über 20 Grad. Meilenweit schweift der Blick
       über Zuckerrohrplantagen, ab und zu steht ein einzelner Verkäufer am
       Straßenrand und bietet Obst und Gemüse an.
       
       Dass ein Auto in Kuba auch einfach mal liegen bleibt, wenn der Tank leer
       ist, das sehen sie hier häufiger – und der Grund sind nicht nur kaputte
       Tankanzeigen. Auf dem Inselstaat in der Karibik ist Benzin knapp. Grund ist
       ein US-Embargo, das im Jahr 1960 verhängt wurde und seither gilt – auch
       wenn es vor einigen Jahren Lockerungen bei den Handelsbeschränkungen gab,
       ist es dennoch das weltweit am längsten bestehende Wirtschaftsembargo. Auf
       der Insel mangelt es nicht nur an Benzin, sondern an allen möglichen Waren
       des täglichen Bedarfs.
       
       ## Ihre Worte sollen in der Zeitung stehen
       
       Silvana ist Anfang dreißig und arbeitet im Kulturbetrieb. Ihren richtigen
       Namen will sie wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der Regierung nicht
       in der Zeitung lesen. Aber reden will sie: Es ist ihr wichtig zu sagen,
       dass das Bild, das anderswo von Kuba vermarktet wird – das sonnige
       Touristenparadies –, nicht stimmt.
       
       Silvana sitzt draußen auf der Dachterrasse eines Veranstaltungsortes in
       Havanna, am Rande des „Festival Internacional de Música Electrónica“ –
       eines Festivals für elektronische Musik. Zur Eröffnung tritt eine Gruppe
       von Tänzer:innen auf die Bühne, sie performen Hiphop und Breakdance,
       avantgardistisch gekleidet in Kleider, die aus Stroh gefertigt sind.
       
       Silvana, die auf der Dachterrasse im ersten Stock sitzt, trägt eine helle
       Bluse mit Blumenmuster. In der einen Hand hält sie einen Drink, ihre
       knallrot geschminkten Lippen umschließen den Strohhalm. Die meisten ihrer
       Freunde, sagt sie, würden in die USA wollen. In Kuba halte sie wenig.
       
       Tatsächlich ist der Weg in die USA für Kubaner*innen etwas leichter als
       für Bürger anderer lateinamerikanischer Staaten. Seit der Cuban Adjustment
       Act am 2. November 1966 in Kraft getreten ist, genehmigen ihnen die
       Vereinigten Staaten einen dauerhaften Aufenthalt, wenn sie sich seit
       mindestens einem Jahr auf dem Boden der USA befinden.
       
       ## Asyl in Mexiko und USA
       
       1994 erklärten sich die USA zudem bereit, jährlich mindestens 20.000
       Kubaner:innen legal aufzunehmen. Mittlerweile gehen viele
       Kubaner:innen aber auch nach Mexiko, was dort zu einem Anstieg an
       Asylanträgen führte – allein [1][2022 beantragten dort über 2.000 Menschen
       aus Kuba Asyl, in 69 Prozent der Fälle werden sie genehmigt], wie die
       US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Wola darlegt.
       
       Anders in Deutschland: Im Jahr 2022 beantragten 187 Kubaner:innen Asyl,
       in 94 Fällen wurden Entscheidungen getroffen. Insgesamt wurden fünf
       Asylanträge genehmigt, zwei weitere wurden als Geflüchtete anerkannt. 55
       hingegen wurden abgelehnt, sagt die Statistik des Bundesamts für Migration
       und Flüchtlinge.
       
       Auch Silvana sagt, sie wolle früher oder später das Land verlassen, um sich
       irgendwo anders ein neues Leben aufzubauen. Doch jetzt haben sich die
       jungen Menschen erst mal im Westen der Hauptstadt versammelt, um das
       Wochenende zu feiern. Teil des Musikfestivals ist auch eine
       Kunstausstellung. Sie zeigt für kubanische Verhältnisse durchaus untypische
       Kunst.
       
       Eine Bilderreihe, die vom Stil an die Schablonen-Graffiti des britischen
       Streetart-Künstlers Banksy erinnert, zeigt nackte Männer; einer klammert
       sich an das Bein eines bekleideten Polizisten. Darüber stehen die Worte:
       „Oye Policia Pinga“, kubanischer Slang für „Fuck the Police“. Auf dem
       Oberarm des Nackten ist ein Tattoo mit dem Gesicht des legendären
       kubanischen Revolutionsführers Che Guevara abgebildet.
       
       ## Freiheit in der Kunst genauso beschränkt
       
       Diese Freizügigkeit ist deshalb ungewöhnlich, wie auch Silvana sagt, weil
       die kubanische Regierung unter der Führung des Staatspräsidenten Miguel
       Díaz-Canel durchaus restriktiv gegen kritische Meinungsäußerungen vorgeht –
       auch in der Kunst. Ende 2018 wurde das sogenannte Dekret 349 erlassen:
       Künstler:innen müssen sich in Kuba ihre Kunst vom Staat genehmigen
       lassen. „Die Regierung drang auch in die Häuser der Künstler ein und nahm
       Werke mit“, sagt Gabriele Stein von Amnesty International. „Viele Künstler
       haben dagegen protestiert. Es ist ja keine Meinungsfreiheit, wenn alles
       genehmigt werden muss.“
       
       Der letzte große Protest gegen diese restriktive Regierungspolitik liegt
       schon etwas zurück: [2][Am 11. Juli 2021 riefen Oppositionelle zu einer
       Demonstration auf]. Stein erklärt, dass der Aufstand damals auch mit Corona
       und der wirtschaftlichen Lage zu tun hatte: „Der Tourismus, eine der
       Haupteinnahmequellen für die Wirtschaft, brach weg.“
       
       Infolge der Proteste wurden 1.400 Menschen inhaftiert, darunter auch
       Jugendliche unter 18 Jahren. Die Menschen kämen auch nicht mehr nach
       einigen Tagen oder maximal einigen Monaten wieder auf freien Fuß, sagt die
       Menschenrechtsaktivistin. Die Regierung verhänge mittlerweile auch
       jahrelange Haftstrafen.
       
       „Das Einzige, das in diesem Land gut ist, ist das kostenlose
       Bildungssystem. Das nutzen alle aus, um dann später ins Ausland zu
       flüchten“, erklärt Silvana. „Dieses Land stirbt“, ist sie überzeugt. „Junge
       Menschen gehen, und es kommt kein Nachwuchs nach. Warum auch? Es gibt
       keinen Grund, Kinder zu bekommen. Kuba bietet ihnen keine Perspektive.“
       
       ## Die Geburtenrate beträgt 0,89 Prozent
       
       Tatsächlich ist Kuba mit mehr als elf Millionen Einwohnern der
       bevölkerungsreichste Staat in der Karibik. Doch die Geburtenrate geht
       stetig zurück: Lag sie 1961 bei 3,33 Prozent, betrug sie 2022 nur noch 0,89
       Prozent. [3][Gleichzeitig bleibt die Auswanderungsquote in die USA sowie in
       andere Staaten hoch]. Allein im Jahr 2021 sind laut Angaben des
       Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen 21.821 Menschen aus Kuba
       geflüchtet. Das hat viele Gründe: das US-Embargo, das praktisch keinen
       Handel zulässt, die fehlenden demokratischen Rechte und die mangelhafte
       Pressefreiheit. Auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen belegte der
       Inselstaat 2022 Platz 173 von insgesamt 180 Staaten – hinter Russland,
       Saudi-Arabien, Syrien und dem Irak.
       
       In der kubanischen Verfassung ist der Alleinherrschaftsanspruch der
       Kommunistischen Partei festgeschrieben; seine Legitimität beziehen Partei
       und Staat aus der Revolution im Jahr 1959 unter Fidel Castro. Ein Jahr
       später folgte das US-Handelsembargo – in der Erwartung, dass sich das
       kommunistische Regime unterwerfe. Lange Jahre wurde der Staat von der
       Sowjetunion unterstützt, doch mit Ende des Kalten Krieges brach Kubas
       Schutzmacht weg. Einzig auf sein kostenfreies Erziehungs-, Gesundheits- und
       Bildungssystem ist das Land stolz.
       
       „Das Geld kommt aus dem Staatshaushalt“, erklärt Bert Hoffmann,
       Politikwissenschaftler und Kuba-Experte. Von den Zuckerrohrbetrieben bis
       hin zu den staatlichen Hotels sei der Staat der größte wirtschaftliche
       Akteur. Doch nur ein kleiner Teil davon werde durch Steuereinnahmen
       gegenfinanziert. „Es kommt zu Medikamentenmangel, es gibt kaum
       Investitionen in die Sanierung von Gebäuden, und auch die Löhne sind nicht
       mehr so viel wert wie früher.“
       
       Die kostenlosen Schulen leiden unter Lehrkräftemangel. Viele Fachkräfte
       seien emigiriert und versuchten, in der besser zahlenden Privatwirtschaft
       einen Job zu bekommen, erklärt der Politikwissenschaftler. „Bildung und
       Gesundheit haben längst nicht mehr die Qualität, die sie vor 20 Jahren noch
       hatten.“
       
       Was Hoffmann positiv sieht mit Blick auf die zurückliegenden Pandemiejahre:
       „Kuba hat erfolgreich einen eigenen Corona-Impfstoff entwickelt, als eines
       der wenigen Länder überhaupt. Kuba hat auch eine beispielhafte Impfkampagne
       geschafft, und so eine Leistung muss auch anerkannt werden.“
       
       ## Palmen, Sonne, Strand gegen Wasser- und Strommangel
       
       Silvana sagt, auf der einen Seite gebe es das Bild Kubas, das wie aus einer
       Postkarte entsprungen scheint: fabelhafte Strände, Palmen, Sonne, Rum,
       Zigarren und bunte Oldtimer wie aus einem Hollywoodfilm. Es ist ein Bild
       Kubas, das exklusiv für Tourist:innen bestimmt ist.
       
       Auf der anderen Seite existiert das Kuba der Einheimischen: ohne Strom und
       Wasser, ohne Medikamente, mit stark eingeschränktem Zugang zum Internet,
       ohne freie Meinungsäußerung oder freie Presse – und mit einer Hauptstadt,
       in der es in den Läden mitunter nicht mal Toilettenpapier zu kaufen gibt.
       
       Hinzu kommt ein massives Inflationsproblem seit der Coronakrise, die in
       Kuba wegen des ausbleibenden Tourismus eben auch eine Wirtschaftskrise war:
       Lag der Wechselkurs des kubanischen Peso vor der Pandemie bei 1 Euro zu 25
       Pesos, liegt er heute bei 1 zu 130. Auf dem Schwarzmarkt ist der Euro sogar
       160 bis 170 Pesos wert.
       
       „Die Linken, die hier Urlaub machen und sagen, Kuba sei so ein tolles,
       kommunistisches Land, sollen erst mal nach kubanischem Standard leben. Dann
       werden sie schon sehen, ob sie es hier wirklich so toll finden“, sagt
       Roberto. Seine Stimme ist laut, Arme und Oberkörper schwingen beim
       Gestikulieren immer wieder wild durch die Luft.
       
       ## Im Lidl einkaufen zu können ist ein Luxus
       
       Ähnlich wie Silvana ist auch Roberto Anfang 30. Und auch er möchte nicht
       mit richtigem Namen in der Zeitung stehen. Er arbeitet in einem Hotel und
       hat viel mit ausländischen Gästen zu tun. An der Wand der Hotellobby hängen
       mehrere gerahmte Porträts von Menschen, die eine Grimasse ziehen. Auch
       Roberto zieht häufig eine Grimasse, insbesondere, wenn er über sein Land
       schimpft.
       
       „Ich wollte, dass meine Frau zwei Packungen Salz kauft!“, ruft er. „Das
       kann doch nicht so schwer sein, wir sind umgeben von Salzwasser. Es ist
       kein Hexenwerk, einfach ein bisschen Wasser zu nehmen und es in die Sonne
       zu legen. Von beidem haben wir genug!“ Doch Salz war praktisch nirgends zu
       finden – ähnlich wie alles andere, das es in Kuba nicht zu kaufen gibt.
       
       „Ihr könnt euch nicht vorstellen, was es für ein Luxus ist, in einen
       Supermarkt gehen zu können und diese ganze Warenvielfalt zu haben“, sagt
       Roberto. Er hat als Kind einige Jahre in Europa verbracht. „Es ist
       unglaublich. Die Regale sind voll, und du kriegst alles, was du brauchst.“
       
       Roberto spricht fließend Englisch, zusätzlich noch Französisch und Deutsch.
       Dabei sind Fremdsprachenkenntnisse nicht die Regel – die meisten
       Kubaner:innen sprechen nur kubanisches Spanisch. Roberto ist Fan des
       Fußball-Bundesliga-Clubs FC Bayern, in seiner Wohnung hängen mehrere Schals
       und eine Mütze mit den entsprechenden Logos.
       
       Am Fenster neben der Eingangstür hängt außerdem eine große
       Deutschlandflagge. „Das hab ich nicht aufgehängt“, versichert er, das sei
       seine Putzkraft gewesen. Aber auch sonst liegen Gegenstände wie
       Schlüsselanhänger oder selbstgebastelte Schatzkisten in Schwarz-Rot-Gold im
       Raum verteilt. Seine Liebe zum FC Bayern hat sich irgendwann offensichtlich
       auf das ganze Heimatland des Fußballclubs ausgeweitet.
       
       Robertos größter Traum ist es, in der Münchner Allianz-Arena ein Spiel der
       Bayern zu sehen, am liebsten mit einer Flasche deutschem Bier in der Hand,
       sagt er. Das Geld für einen Flug nach Deutschland habe er aber nicht
       beisammen, weshalb er bislang die Spiele nur im Fernsehen verfolgen konnte
       – und selbst das klappt nicht immer.
       
       ## Leere Regale, leere Teller
       
       Der Zugang zu Medien ist in Kuba regelmäßig durch Stromausfälle
       eingeschränkt. Auch fließendes Wasser ist keine Selbstverständlichkeit.
       Zusätzlich treffen auf Kuba wegen des Handelsembargos kaum Waren ein.
       Vereinzelt gibt es Geschäfte, die aussehen wie Supermärkte, doch bis auf
       Rum sind die Regale alle leer. Wird mal ein Produkt angeboten, ist gleich
       das ganze Regal damit befüllt – zum Beispiel mit Babywindeln oder
       Menstruationsartikeln. Dieser Warenmangel fühlt sich an wie die Situation
       in Deutschland kurz nach Beginn des Coronalockdowns 2020 – mit dem
       Unterschied, dass auf Kuba nicht nur Klopapier und Nudeln fehlen.
       
       2021 unternahm Kuba eine Wirtschaftsreform, die mehr kleine und
       mittelständische Privatunternehmen zuließ. Seitdem gibt es an vielen Ecken
       in Havanna kleine Mini-Supermärkte. Die Einheimischen wissen, wo sie ihre
       Besorgungen machen können, bei welchen Händler:innen es Saft, Schokolade
       oder Brot zu kaufen gibt.
       
       Der Mangel an Waren macht sich auch in Restaurants bemerkbar. In jedem
       Lokal bieten die Köche die gleichen Gerichte an, bestehend aus gebratenem
       Huhn oder Fisch mit Reis und ein wenig Gemüse – ohne Soße. Auch sonst
       existiert das meiste auf dem Menü lediglich auf dem Papier, auf Nachfrage
       bei der Servicekraft kommt stets nur eine Antwort zurück: „Das haben wir
       nicht da.“ Die Hoffnung auf ein wenig kulinarische Abwechslung schlägt
       fehl: Selbst in einem chinesischen Restaurant in der Chinatown Havannas
       sind das einzig Chinesische die Schriftzeichen auf der Speisekarte.
       
       Muscheln oder Oktopusse finden sich lediglich in Form von Graffiti an der
       Wand. Auf den Straßen sieht man viele Menschen, die im Müll nach
       Essensresten und anderen brauchbaren Gegenständen suchen. Wenn sich
       Kubaner:innen etwas gönnen wollen, bilden sie meterlange Schlangen vor
       Eisdielen, die meistens nur eine Sorte anbieten. Das Schokoladeneis
       schmeckt wässrig, von Kakao ist kaum etwas zu spüren.
       
       ## Nicht existierendes Internet selbst in Hotels
       
       Während es an vielen Lebensmitteln mangelt, spart man zu manchen
       Angelegenheiten dennoch nicht an Pomp: Zur Weihnachtszeit hängen überall
       Plastikdekorationen, viele kleine Einzelhändler haben einen Tannenbaum auf
       ihrem Tresen stehen. Selbst am heißen Strand stehen zwei aufgeblasene
       Schneemänner und winken dem Ozean zu. In einem Garten in Havanna steht ein
       zwei Meter großer Weihnachtsmann. Ein junger Kubaner stellt sich lässig vor
       die Luftpuppe und posiert, sein Freund macht ein Foto von ihm.
       
       Ob das Bild sofort in den sozialen Medien wie Instagram landet? Jedenfalls
       muss man in Kuba lange nach einer Internetverbindung suchen. Überall dort,
       wo man Internet vermuten könnte – in Privatwohnungen, Hotels, Cafés –
       existiert ein Leben ohne World Wide Web. Tagsüber tummeln sich Menschen in
       Parks, wo die Regierung eine gedrosselte Verbindung zur Verfügung stellt.
       
       Die andere Option, sich mit der Welt zu vernetzen, wären SIM-Karten – doch
       das Surfen ist auf zwei Gigabyte pro Monat begrenzt. Und die einzige Firma,
       die SIM-Karten verkauft, ist in staatlicher Hand. „Wir haben vermutlich das
       teuerste Internet weltweit“, sagt Silvana. Außerdem seien manche Webseiten
       blockiert und die Nutzung eines VPN, also eines virtuellen Netzwerks,
       erforderlich.
       
       Serien über Streamingdienste zu schauen oder Musik zu streamen ist daher
       unmöglich. Doch die Kubaner:innen kennen ihre Mittel und Wege, um
       trotzdem auf dem neusten Stand zu bleiben. Silvana bekommt einmal pro Woche
       eine Festplatte vom Schwarzmarkt, ein „Package“, also ein Paket, wie sie es
       nennt.
       
       Ein Mann liefert die Festplatte bis vor die Haustür und holt diese am
       nächsten Morgen wieder ab. Silvanas überschlagene Beine wippen leicht mit
       der Musik. „Wir haben alle Filme, Serien und Musik auf unserem Package.
       Netflix, Disney Plus, Amazon Prime – alles.“ Eine Nacht lang hat Silvana
       Zeit, die Daten von der Festplatte auf ihren eigenen PC zu laden. Am
       nächsten Morgen wird sie wieder abgeholt und in der darauffolgenden Woche
       wieder geliefert. Was die neueste amerikanische und europäische Popkultur
       angehe, sei sie daher bestens informiert.
       
       ## Kritiker:innen werden aus- oder eingesperrt
       
       Dasselbe gilt nicht für politische Nachrichten und Informationen. Laut
       Human Rights Watch baute Kuba seit 2017 Internetdienste für Haushalte aus
       und erlaubte die Einrichtung von privaten Wifi-Netzwerken. Doch als durch
       die sozialen Medien verstärkt über Missstände berichtet und Proteste
       organisiert wurden, blockierte die Regierung den Zugang zu vielen
       Webseiten und Blogs erneut. Anschließend kündigte Kuba am 17. August 2021
       an, die Nutzung der Telekommunikation zu regeln – mit einem Gesetzesdekret
       sollen das „Erbe der kubanischen Revolution“ verteidigt und
       regierungskritische Meinungen gesperrt werden.
       
       „Das soziale Netz wird regelmäßig durchforstet, es wird nach Kritik oder
       Beleidigung der Regierung gesucht“, erklärt auch Gabriele Stein von Amnesty
       International. Durch Verschärfungen im Strafgesetzbuch im Januar 2022 sei
       die Meinungsfreiheit im Internet noch mal verschärft worden, sagt Stein.
       „Leute müssen aufpassen, was sie auf Twitter, Instagram oder Facebook
       schreiben.“
       
       Um ihre Macht aufrechtzuerhalten, sperrt die Regierung allerdings ihre
       Kritiker:innen nicht nur digital aus, sondern auch ganz analog hinter
       Gittern ein. Amnesty International fordert den Präsidenten Díaz-Canel seit
       Längerem dazu auf, den Aktivisten Luis Manuel Otero Alcántara freizulassen.
       Alcántara war zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, weil er in einem Video
       angekündigt hatte, an der letzten großen Demonstration am 11. Juli 2021
       teilzunehmen. Noch ehe er sich am Protest beteiligen konnte, wurde er von
       den kubanischen Behörden festgenommen.
       
       In anderen Fällen treibt die Regierung kritische Leute ins Exil. „Die
       meisten Inhaftierungen, die wir im Moment sehen, sind die [4][in Bezug auf
       die Proteste am 11. Juli]“, erklärt der Politikwissenschaftler Hoffmann.
       Die Regierung ließ dabei viele Wortführer:innen ins Ausland flüchten,
       doch Hunderte wurden auch verhaftet. „Dabei ging es ganz klar um eine
       maximale Abschreckungswirkung, und das hat auch so gewirkt. Seitdem hat es
       keine größeren Straßenproteste mehr gegeben“, sagt Hoffmann, der am
       Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin lehrt.
       
       ## Zustände wie in der DDR
       
       Silvana ist überzeugt: Um zu wissen, was die Bevölkerung denkt, schleust
       die kubanische Regierung auch Spitzel unter die Bevölkerung. „Ich traue
       kaum jemandem“, erklärt sie. „Du weißt einfach nie, ob dein Gegenüber
       Freund oder Feind ist. Deswegen haben ja auch viele so große Angst, sich zu
       äußern.“
       
       Ob die Sorge vor Bespitzelung so stimmt? „Es gibt diese Komitees zur
       Verteidigung der Revolution, aber das ist keine geheime Bespitzelung,
       sondern eine offene Struktur“, erklärt der Kuba-Experte Hoffmann. „Alle
       kennen ihren lokalen Komitee-Vorsitzenden, der oder die schreibt keine
       Berichte unter Decknamen, sondern klopft bei dir an, wenn ihm oder ihr was
       verdächtig erscheint.“ Diese Komitees seien inzwischen aber keine starke
       Struktur mehr, erklärt er. Das sei früher anders gewesen.
       
       „Was es aber gibt, sind professionelle Sicherheitskräfte in Zivil“, sagt
       Hoffmann. „Die sind allerdings selektiv. Wenn du eine prominente Person
       bist, ein Blogger oder Oppositioneller, dann wird der Staat dich nicht
       völlig unbeobachtet lassen.“ Die einfache Bevölkerung betreffe dies aber
       nicht, erklärt er, zumindest nicht diese Art von Aufmerksamkeit. „Trotzdem
       können Leute das so erleben, da haben sich über die Jahre teilweise Ängste
       tief eingegraben.“
       
       ## Viele Kubaner:innen entscheiden sich für den Strand
       
       Stein von Amnesty International sieht die Lage kritischer: „Es gibt
       durchaus Leute, die ihre Nachbarn an die Regierung verpetzen“, sagt sie.
       „Diese bekommen dann eine Klage und werden inhaftiert oder verlieren ihren
       Job“, sagt Stein. Da es wenig private Wirtschaft in Kuba gibt und der Staat
       der mit Abstand größte Arbeitgeber ist, hat die Regierung da ein wirksames
       Druckmittel in der Hand.
       
       Dass ihr unbedingte Treue sehr wichtig ist, verheimlicht die Regierung
       nicht: An Häuserwänden und Plakaten stehen die Worte „Patria o muerte“
       geschrieben, zu Deutsch „Vaterland oder Tod“. Außerdem hängen dort Porträts
       der historischen Revolutionsführer Che Guevara und Fidel Castro. Die
       wenigen Postkarten, die es in Kuba zu kaufen gibt, zeigen, allgegenwärtig,
       entweder Ches Gesicht – oder aber den karibischen Strand.
       
       Viele junge Kubaner:innen entscheiden sich gegen Che und für den
       Strand: Sie setzen sich in Schlauchboote, um damit das Meer in Richtung USA
       zu überqueren, rund 180 Kilometer sind es bis zur Küste Floridas. Es ist
       die Hoffnung, aus dem vermeintlichen Paradies irgendwie wegzukommen.Der
       Text und die Recherche wurden von der taz Panter Stiftung finanziert.
       
       9 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.wola.org/analysis/cuban-migration-is-changing-us-must-note/
   DIR [2] /Verfahren-nach-Protesten-in-Kuba/!5826168
   DIR [3] /Auswanderungswelle-in-Kuba/!5869853
   DIR [4] /Ein-Jahr-nach-den-Protesten-in-Kuba/!5863914
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Shoko Bethke
       
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   DIR Wirtschaftskrise auf Kuba: Die Ökonomie der Insel vergreist
       
       Auf Kuba fehlen Grundnahrungsmittel, Energie und Benzin. Immer mehr junge
       Menschen wandern aus – und das hat negative Folgen fürs Land.
       
   DIR US-Invasion in Grenada vor 40 Jahren: Gespaltene Erinnerungen
       
       Mit der Besetzung Grenadas beendeten die USA eine linke Revolution, welche
       die Karibikinsel umkrempelte. Fünf Zeitzeugen erzählen.
       
   DIR Migranten an US-mexikanischer Grenze: Familien aufgegriffen in Rekordhöhe
       
       An der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze werden vermehrt Familien
       aufgegriffen. Im Wahlkampf, der gerade beginnt, ist Migration ein großes
       Thema.
       
   DIR LGBTQ-Demo in Havanna: „Ich bin schwul und Gott liebt mich“
       
       In Kubas Hauptstadt Havanna haben rund 200 Leute für LGBTQ-Rechte
       demonstriert. Die Tochter des ehemaligen Präsidenten Raúl Castro führte den
       Zug an.
       
   DIR Popstar Bad Bunny: Kardashians Latin Lover
       
       Der puertorikanische Reggaeton-Sänger Bad Bunny gehört zu den weltweit
       erfolgreichsten Popkünstlern, obwohl er auf Spanisch singt. Wie kann das
       sein?
       
   DIR Der Hausbesuch: Aus Kuba in die DDR
       
       Marcos Simpson kam 1979 als Vertragsarbeiter aus Kuba in die DDR. Nur vier
       Jahre sollte er bleiben, doch er verliebte sich. Das war nicht vorgesehen.
       
   DIR Migration aus Kuba: Hunderte Bootsflüchtlinge in den USA
       
       Die Anzahl an Personen, die mit dem Boot in den USA eingetroffen sind, hat
       stark zugenommen. Kuba erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise der letzten
       30 Jahren.
       
   DIR Demonstrationen in Kuba: Strom fordern ja, Freiheit nein
       
       In Kuba protestieren seit Tagen immer wieder Menschen, weil der Strom seit
       Hurrikan „Ian“ ständig ausfällt. 26 Protestierende wurden festgenommen.