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       # taz.de -- Kulturszene in Riga: Neue Poetik des Krieges
       
       > Ein kleiner lettischer Buchladen vertreibt russische Bücher. Neue wie
       > alte Bewohner:innen der Stadt kommen gerne dorthin – zum Lesen und
       > Zuhören.
       
   IMG Bild: Überblick über die Altstadt von Riga
       
       Sehr bald nach meiner Ankunft in der lettischen Hauptstadt hörte ich von
       dem Buchladen „Neues Riga“. Dort gab es neben Kaffee, Plakaten und Büchern
       in russischer Sprache eine große Auswahl an anspruchsvollen Sachbüchern und
       Belletristik. Ich war überrascht.
       
       Und dachte dann: Und wenn da meine Bücher verkauft würden? 2020 erschien in
       Moskau mein Buch über tolerante Sprache „So sprechen wir. Beleidigende
       Wörter und wie man sie vermeidet“. Vergangenen Herbst habe ich mit Julia,
       mit der ich nach Riga gekommen bin, das Buch „Poetik des Feminismus“ über
       russischsprachige feministische Lyrik herausgebracht.
       
       Bei Facebook habe ich später gesehen, dass der Buchladen „Neues Riga“
       regelmäßig Veranstaltungen macht. Der Filmkritiker Anton Dolin war
       eingeladen so wie auch der frühere Medienmanager Demjan Kudrjawzew, der
       seinen Gedichtband vorstellte. Auch in Russland gab es in Buchläden
       interessante Veranstaltungen, auf denen man Gleichgesinnte treffen konnte.
       Ich realisierte, wie sehr ich dieses literarische Leben vermisste, und
       schrieb an Natalia, die Mitinhaberin des Ladens.
       
       Bald darauf trafen wir uns. Natalia erzählte mir, wie sie beschlossen
       hatten, das Buchgeschäft zu eröffnen, und was sich seit Kriegsbeginn im
       Februar dort geändert hatte. Und zwar eine ganze Menge: Auf der einen Seite
       sind Bücher teurer und die Beschaffungslogistik komplizierter geworden. Auf
       der anderen passierten aber auch viele erfreuliche Dinge: Zahlreiche
       bekannte Intellektuelle kamen nach Riga. Und während Buchhändlerin Natalia
       früher nicht einmal davon hätte träumen können, Schriftsteller aus Russland
       einzuladen – ist das heute plötzlich kein Problem mehr.
       
       Im Verlauf des Gespräches vereinbarten wir, dass auch ich mein Buch über
       die „Poetik des Feminismus“ bei ihnen vorstellen würde, sobald eine neue
       Lieferung unserer Bücher aus Moskau einträfe. Später war ich dann
       überrascht, wie dankbar alle waren, die zu meiner Lesung kamen. Fast schien
       es so, als ob es die russischsprachigen Rigenser nach solchen
       Veranstaltungen dürstete. Viele Gäste erzählten, dass es in Riga nichts
       Vergleichbares gebe, also überhaupt keine öffentlichen Diskussionen über
       Feminismus. „Wir wollen mehr davon!“, riefen die Besucher unisono.
       
       Natalia will weitere solcher Veranstaltungen ins Programm aufnehmen. Sie
       hat realisiert, dass es davon offenbar bislang zu wenige in der Stadt gibt
       und auch wie groß die Nachfrage ist – etwa bei denen, die schon lange in
       Riga leben, genauso wie bei anderen, die erst vor Kurzem aus größeren
       Städten zugezogen sind und dort ein pulsierendes Kulturleben kannten.
       
       So entwickelt sich jetzt – ganz unerwartet und quasi als Nebeneffekt des
       Krieges – eine kulturelle Szene rund um einen kleinen russischsprachigen
       Buchladen in Riga.
       
       Aus dem Russischen von [1][Gaby Coldewey]
       
       Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung. Einen Sammelband
       mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA im September
       heraus.
       
       23 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gaby-Coldewey/!a23976/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maria Bobyleva
       
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