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       # taz.de -- Kundgebungen in Solingen: Ein Tag zwischen Trauer und Demos
       
       > Dutzende Rechte demonstrieren in Solingen nach dem Anschlag. Doch die
       > Zivilgesellschaft hält zusammen und stellt sich den Extremisten entgegen.
       
   IMG Bild: Den Opfern gedenken, sowohl rechte Hetze als auch islamistischen Fundamentalismus verurteilen: das Motto der Anständigen
       
       Nach dem verheerenden Anschlag in Solingen sind die Straßen in der Nähe des
       Tatorts am Sonntag leergefegt. Während rechte Gruppen, darunter die Junge
       Alternative, die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD),
       zu einer Versammlung in der Nähe des Tatorts aufriefen, formierten [1][sich
       Gegendemonstrationen,] organisiert von zivilgesellschaftlichen Initiativen
       aus Wuppertal und Solingen.
       
       Die AfD steht seit dem Anschlag massiv in der Kritik, den Anschlag für ihre
       Wahlerfolge in Thüringen und Sachsen zu instrumentalisieren und
       rassistische Hetze zu verbreiten. So legen am Sonntagnachmittag auf dem
       Kirchplatz vor der evangelischen Stadtkirche in Solingen, in der Nähe des
       Tatorts, AfD-Kreisverbände sowie Landtagsabgeordnete der AfD Blumen nieder
       und gedenken der Opfer. Dutzende weitere Menschen sind da, legen Blumen und
       Kerzen nieder, darunter auch der 67-jährige Rentner Matthias Marsch, der
       mit seinem „FCK AFD“-T-Shirt gekommen ist. „Der Anschlag hier macht mich
       sehr betroffen“, sagt der Wuppertaler. „Aber die AfD missbraucht diese
       Situation, um alle Ausländer in eine Schublade zu stecken, und das dürfen
       wir nicht zulassen.“
       
       ## Angst, Wut und Trauer
       
       Nur 50 Meter vom Tatort entfernt finden parallel zwei Gegendemonstrationen
       statt, unter anderem organisiert von der Initiative „Wuppertal stellt sich
       quer“. Hier mischen sich die Gefühle: Trauer, Wut und Angst. Die Sprecherin
       der Initiative spricht von einem „schwierigen Spagat“: an die Opfer zu
       denken und sich „gegen diejenigen zu stellen, die diese schreckliche Tat
       für ihre menschenverachtenden Zwecke missbrauchen“. Es ist kein leichter
       Tag für die Menschen hier in Solingen: Immer wieder liegen sich die
       Demonstrierenden in den Armen, viele haben Tränen in den Augen.
       
       Auch Daniela Tobias vom Bündnis „Solingen ist Bunt statt Braun“ ist
       erschüttert: „Fast jeder hier kennt jemanden, der bei dem Anschlag in der
       Nähe war oder betroffen ist.“ Besonders erschreckend findet sie, wie
       schnell nach Bekanntwerden der Tat in den sozialen Medien Begriffe wie
       Vielfalt und Buntheit angegriffen wurden. „Das macht mir Angst“, sagt sie.
       Wie viele andere erinnert sich Tobias an den Brandanschlag in Solingen
       1993. Die Angst vor ähnlichen Vorfällen oder Ausschreitungen ist an diesem
       Sonntag in Solingen groß. Rund 100 Menschen formieren sich deshalb vor
       einer Flüchtlingsunterkunft in der Nähe des Tatorts. Dort war der
       mutmaßliche Täter am Samstagabend festgenommen worden. „Wir bleiben hier,
       solange wir glauben, dass wir gebraucht werden“, sagt eine Demonstrantin.
       Die Polizei, die am Sonntagabend mit mehreren Hundertschaften im Einsatz
       war, geht allerdings nicht von einer Gefährdung der Flüchtlingsunterkunft
       aus.
       
       Wenige Meter entfernt, vor der Kundgebung der „Jungen Alternative“, stehen
       zwei junge Männer vor einem Döner-Imbiss. Hier arbeiten sie. „Uns geht es
       leider nicht so gut, wir fühlen uns hier nicht mehr sicher“, sagt einer von
       ihnen. Seit dem Anschlag habe sich vieles verändert, insbesondere, wie die
       Menschen sie ansehen. „Es wurde in den Medien berichtet, dass der Täter ein
       arabisch aussehender junger Mann war. Das trifft auch auf einige Leute hier
       in Solingen, auch auf uns, zu. Deswegen haben wir Angst“, erklärt er.
       
       ## 30 Teilnehmende der Jungen Alternative
       
       So treffen sich gegen 18 Uhr die Mitglieder der Jungen Alternative und ihre
       Sympathisanten. Im Vergleich zu den hunderten Gegendemonstrant:innen
       kommen nur etwa 30 Teilnehmende zur Kundgebung, deutlich weniger als die
       erwarteten 50. Skandiert wird Parolen wie „Vielfalt tötet“ und „Deutschland
       durch Remigration retten“. Mit dabei ist auch der Bundestagsabgeordnete
       Matthias Helferich, der Mitglied des AfD-Landesvorstandes NRW ist. Die
       nordrhein-westfälische AfD strebt gegen ihn ein
       [2][Parteiausschlussverfahren] an, da er „schwerwiegend“ gegen das
       Grundgesetz verstoßen haben soll. Hier spricht Helferich vor einer Wand mit
       einem Graffiti „Gegen Nazis“, jedoch kaum zu hören, da die Rufe der
       hunderten Gegendemonstrant:innen lauter werden.
       
       Daniela Tobias macht sich Sorgen, ob der zivilgesellschaftliche
       Zusammenhalt wie nach dem [3][Brandanschlag von 1993] wiederhergestellt
       werden kann. Zumindest am Sonntagabend scheint es gelungen zu sein. „Keine
       besonderen Vorkommnisse“, meldete auch der Polizeisprecher.
       
       Auch für den Montagabend sind in Solingen Kundgebungen des sogenannten
       „Solinger Widerstands“ – ein Sammelbecken für Impfgegner und Rechtsextreme
       – sowie Gegendemonstrationen angekündigt. Am frühen Morgen wird zudem ein
       Besuch von Kanzler Olaf Scholz erwartet.
       
       25 Aug 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Yağmur Ekim Çay
       
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