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       # taz.de -- LGBT-Aktivistin in Ungarn: „Wir sind nicht allein“
       
       > In Ungarn werden trans Menschen alle Rechte genommen. Doch
       > LGBT-Aktivistin Blanka Vay kann dem neuen Gesetz auch positive Effekte
       > abgewinnen.
       
   IMG Bild: Gay Pride in Budapest 2018. Viktor Orbán vertritt eine ultrakonservative Familienpolitik
       
       taz: Frau Vay, trans Menschen in Ungarn werden [1][mit einem neuen Gesetz]
       alle Rechte genommen. Kam diese Initiative aus heiterem Himmel? 
       
       Blanka Vay: Das Timing war überraschend, da der Entwurf ohne jegliche
       Debatte plötzlich dem Parlament vorgelegt wurde. Der Inhalt war aber so
       erwartet worden. Wir kennen ja das Weltbild dieser Regierung. Weniger
       verstehen wir, warum wir belogen wurden.
       
       Inwiefern belogen? 
       
       Die Anträge auf eine amtliche Geschlechtsänderung lagen seit zwei Jahren
       auf Eis. Das begründete die Regierung mit dem Versprechen, sie werde eine
       transparente neue Regelung erarbeiten. Aber das war nicht der Fall.
       
       Wie war das Verfahren bislang? 
       
       Unwürdig und undurchsichtig. Nur mit zwei psychiatrischen Gutachten konnte
       man das Geschlecht in den Dokumenten den Tatsachen anpassen. Jetzt aber ist
       klar, was die Regierung unter einer transparenten Regelung versteht. Es
       wird der Begriff des Geschlechts von Geburt an rechtlich eingeführt. Dieses
       wird anhand von Chromosomen und den äußeren Geschlechtsmerkmalen
       festgestellt. Die Regierung argumentiert, diese biologischen Eigenschaften
       könnten nicht gänzlich geändert werden. So bleiben alle Menschen für immer
       an das Geschlecht gebunden, das bei ihrer Geburt festgestellt wird. Diese
       Regelung brandmarkt trans Menschen. Intersexuellen verbaut sie den Weg, das
       von den Ärzten irrtümlich eingetragene Geschlecht später korrigieren zu
       können.
       
       Welche alltäglichen Probleme bereitet trans Menschen dieses Gesetz? 
       
       Da Vornamen auch offiziell einem Geschlecht zugeordnet sind, bekommen trans
       Menschen jedes Mal Probleme, wenn sie sich ausweisen müssen. Auf der
       EC-Carte steht ein Name, der mit der äußeren Erscheinung der Person nicht
       im Einklang ist. Es wird dann gefragt, ob das Konto dem Ehemann oder der
       Ehefrau gehört. Und dann wird die Zahlung verweigert. Auch Schaffnern
       gegenüber muss man sich outen, da auf Monatskarten der Name ebenfalls
       eingetragen ist. Dieses Gesetz macht Ärger ohne Ende, von den psychischen
       Folgen mal ganz abgesehen.
       
       Wird man in Ungarn auch angefeindet, wenn man den falschen Vornamen angibt? 
       
       Das hängt stark von der jeweiligen Person ab. Ein Schaffner kann beim Blick
       auf den Ausweis und dann in dein Gesicht verständnisvoll nicken. Er kann
       aber auch andere Kollegen herbei rufen und sich dann mit ihnen über die
       Person lustig machen. Richtig problematisch wird es bei der Jobsuche.
       Selbst wenn ein Arbeitgeber offen ist, wird am Ende gesagt, es könne nicht
       riskiert werden, dass die Belegschaft durch einen Trans-Menschen im
       Kollegenkreis gespalten wird.
       
       Wird mit dem neuen Gesetz auch eine aggressive Stimmung in der Bevölkerung
       bedient? 
       
       Eine repräsentative Umfrage hat ergeben, dass 71 Prozent der Ungarn und
       Ungarinnen nichts gegen eine eingetragene Geschlechtsänderung haben.
       Trotzdem spielt die Regierung in Budapest mit Ressentiments, die in der
       Gesellschaft verbreitet sind. So war es mit den Flüchtlingen, so ist es mit
       der Minderheit der Roma und jetzt geht es verstärkt gegen trans Menschen.
       
       Was könnten die Folgen sein? 
       
       Ich kann mir vorstellen, dass dieser Angriff auf die ganze LGBT-Community
       ausgeweitet wird. Die Politik der Orbán-Partei setzt ja gerade darauf,
       existierende Spannungen anzuheizen. Damit können Orbán und seine Partei
       Fidesz auch ihre christlich-konservative Erzählung untermauern. In diesem
       Kontext ist ein Aufschrei der internationalen Gemeinschaft geradezu
       willkommen.
       
       Wie übersteht man solche staatlichen Attacken? 
       
       Es gibt auch gute Nachrichten. Alle Oppositionsparteien haben sich gegen
       das Gesetz gestemmt, sogar die früher rechtsradikale Jobbik-Partei hat
       einen Änderungsantrag mitgetragen. Auch die LGBT-Community steht enger
       zusammen, als das normalerweise der Fall ist. Trans Menschen werden
       manchmal als Hindernis in dieser Gruppe angesehen. Sie seien ja die
       Seltsamen und Provozierenden, die einem Ausgleich mit der
       Mehrheitsgesellschaft im Wege stehen. Auch davon ist jetzt keine Rede mehr.
       
       Also können Sie dem neuen Gesetz auch etwas Positives abgewinnen? 
       
       Unbedingt. Denn wir fühlen uns nicht mehr allein. Und wir sind es auch
       nicht. Jeder versteht nämlich, das so eine Blitzentscheidung auch ihn oder
       sie treffen kann. Und dann gibt es noch einen interessanten Aspekt. Die
       Entscheidung der Regierung, die amtliche Anerkennung von trans Menschen
       zunächst für zwei Jahre auszusetzen, hatte einen Nebeneffekt. Viele wagten
       sich an die Öffentlichkeit, sie sprachen über ihr Leben auf YouTube. Das
       neue Gesetz kann diesen Trend noch verstärken.
       
       22 May 2020
       
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