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       # taz.de -- Lehrermangel an Schulen: Neuer Master und ein kürzeres Ref
       
       > Ein neues Gutachten macht Vorschläge, wie die
       > Bildungsminister:innen den Unterricht in Zukunft sichern können.
       > Was davon kommt, ist aber unklar.
       
   IMG Bild: Anfang Dezember in Hamburg: Warnstreik für bessere Arbeitsbedingungen an Schulen
       
       Berlin taz | Was für eine Woche für die Bildungsminister:innen der
       Republik: Am Dienstag stellte ihnen [1][die neue Pisa-Studie] das
       schlechteste Zeugnis in 22 Jahren aus. Zum Start in das Wochenende gab es
       dann die nächste Ohrfeige, wenn auch keine ganz so schallende.
       
       Am Freitag präsentierte die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK),
       die die Länder in Bildungsfragen berät, ihr neues Gutachten zur
       langfristigen Unterrichtssicherung. Eine von insgesamt elf Empfehlungen
       berührt einen wunden Punkt: Die Kultusministerkonferenz (KMK) soll künftig
       die Zahl der benötigten Lehrkräfte zuverlässiger voraussagen.
       
       „Wir wissen, dass sich die Prognose der KMK nicht immer mit anderen
       Prognosen deckt“, erklärte der Kieler Bildungsforscher und Co-Vorsitzende
       der Kommission, Olaf Köller. Vor allem zu Studienverläufen fehlten
       verlässliche Zahlen. Hier sollten die Länder künftig einheitlich und
       transparent vorgehen.
       
       Das ist höflich formuliert. Seit Jahren werfen Lehrerverbände und
       Gewerkschaften den Ministerien vor, [2][den Lehrkräftemangel
       schönzurechnen]. Sowohl der renommierte Essener Bildungsforscher Klaus
       Klemm als auch Expert:innen vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
       kommen auf deutlich höhere Bedarfe als die Ministerien. Der Unterschied
       kommt unter anderem daher, dass die KMK die Zahl der künftigen
       Lehramtsabsolvent:innen weit höher einschätzt, als es die
       Abbrecherquoten beim Lehramtsstudium erlauben würden. Für das Jahr 2025
       errechnete Klemm beispielsweise eine Lücke von 45.000 Lehrer:innen –
       mehr als doppelt so viele wie von den Kultusminister:innen
       prognostiziert.
       
       ## KMK reagiert auf Kritik
       
       Der Statistik-Rüffel änderte nichts an dem Wohlwollen, das die
       Kultusminister:innen ihrem 16-köpfigen Beratergremium
       entgegenbringen. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der im Namen der
       SPD-geführten Länder spricht, räumte ein, dass die SWK ihnen in Sachen
       Prognose zu Recht „die Leviten gelesen“ hätte, und stellte Besserung in
       Aussicht. Rabe lobte die „klaren Empfehlungen“ des [3][155 Seiten starken
       Papiers].
       
       Auch Hessens Bildungsminister Alexander Lorz, Koordinator der
       unionsgeführten Länder, bedankte sich für die „vielen Anhaltspunkte“, die
       Ausbildung und Gewinnung von Lehrkräften zu verbessern. Nach d[4][en
       umstrittenen „Notmaßnahmen“] gegen den akuten Lehrermangel, die die SWK im
       Januar vorgestellt hat, zielen die nun vorgestellten Empfehlungen auf
       längerfristige Maßnahmen. Überraschenderweise zählt das duale Studium, das
       mehrere Bundesländer anstreben oder bereits ausprobieren, nicht dazu.
       
       Stattdessen empfiehlt die SWK, einen neuen Masterstudiengang für
       Ein-Fach-Lehrkräfte einzuführen, das Referendariat auf zwölf Monate zu
       verkürzen (und zugleich Theorie und Praxis während des Studiums besser zu
       verzahnen) sowie einen neuen Bachelorstudiengang für Assistenzlehrkräfte,
       die bereits heute an vielen Schulen bei der Inklusion helfen, zu starten.
       
       ## Schnell umsetzbar?
       
       Vor allem die neuen Studiengänge hält die Co-Vorsitzende der SWK, Felicitas
       Thiel, von der Freien Universität Berlin für schnell umsetzbar. „Das kann
       man sofort machen an den Universitäten.“ Weiteren Handlungsbedarf sieht die
       SWK in der nach wie vor stiefmütterlichen Fortbildungspraxis an deutschen
       Schulen, gezielten Werbekampagnen für das Lehramtsstudium, den
       Zulassungsbeschränkungen für Lehramtsstudiengänge und der oft mangelnden
       Abstimmung zwischen Schulen und Universitäten während des Referendariats.
       
       Die SWK mahnte auch an, dass Studierende, die schon während des Studiums
       als Vertretungslehrkräfte arbeiten, besser begleitet werden müssten, damit
       sich keine „dysfunktionalen Handlungsroutinen“ einschlichen.
       
       Worauf die SWK in ihrem Gutachten Wert legt: Die Lehrkräftegewinnung darf
       nicht auf Kosten der Qualitätsstandards gehen. „Aus internationalen Studien
       wissen wir, dass die Kompetenzen der Lehrkräfte entscheidend sind für den
       Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Deshalb dürfen die Anforderungen
       an den Beruf nicht abgesenkt werden“, sagte die SWK-Co-Vorsitzende
       Felicitas Thiel. „Nicht jeder soll Lehrer werden, der nicht bei drei auf
       dem Baum ist.“
       
       Dieser Eindruck dürfe nicht entstehen, pflichtete KMK-Vorsitzende Katharina
       Günther-Wünsch (CDU) bei. Die Realität an Schulen sei, dass ein Unterricht
       ohne Quer- und Seiteneinsteiger heute vielerorts nicht möglich wäre – „zum
       Teil ohne Qualifikation“. Deshalb lobte Günther-Wünsch die SWK für die
       „klare Positionierung für hohe Qualitätsstandards“. Gleichzeitig sieht sie
       auch den Auftrag, mehr Akademiker:innen für den Schuldienst zu
       gewinnen. Der Ein-Fach-Master, mit dem Interessierte das berufsbegleitende
       Nachholen eines zweiten Unterrichtsfaches umgehen können, sei deshalb „eine
       Überlegung wert“, so Günther-Wünsch.
       
       Ob und wie schnell die SWK-Empfehlungen umgesetzt werden, ist offen. Denn
       selbst wenn sich die KMK auf eine gemeinsame Linie verständigt, wäre diese
       für die jeweiligen Länder unverbindlich. Vor allem bei der Idee, das
       Referendariat auf 12 Monate zu verkürzen, dürfte es Widerstand geben. So
       teilte der Lehrerverbandschef Stefan Düll auf taz-Anfrage mit, dass er
       „anders als die SWK“ auf ein spezifisches Lehramtsstudium mit Staatsexamen
       setze, wie es Hessen und Bayern noch anböten. „Dieses verkürzt die
       Studiendauer im Vergleich zum BA-/MA-Studium. Damit kann auch ein
       zweijähriges Referendariat angefügt werden“, so Düll. Bei der Idee des
       Ein-Fach-Masters bremst Hessens Bildungsminister Alexander Lorz die
       Erwartungen. Wenn, dann käme dies nur für Mangelfächer wie Mathe, Musik
       oder Kunst infrage, so Lorenz. „Einen Ein-Fach- Geschichtslehrer wird es
       nicht geben“.
       
       Dass die KMK schnell reagieren kann, zeigte sich am Freitagabend. Nur fünf
       Stunden nach Vorstellung der SWK-Empfehlungen veröffentlichte sie eine neue
       Modellrechnung zum Lehrkräftebedarf. Bis zum Jahr 2035 müsste die Lücke
       demnach bei 68.000 Lehrkräften liegen. In ihrer letzten Modellierung kam
       sie noch auf knapp 24.000 Lehrer:innen.
       
       10 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Pisa-Schock-fuer-deutsche-Schuelerinnen/!5974146
   DIR [2] /Massnahmen-gegen-Lehrkraeftemangel/!5918498
   DIR [3] https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2023/SWK-2023-Gutachten_Lehrkraeftebildung.pdf
   DIR [4] /Lehrkraeftemangel-in-Sachsen-Anhalt/!5911996
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
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