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       # taz.de -- Lehrkräftemangel an deutschen Schulen: Immer mehr Quereinsteiger
       
       > Der Anteil der Lehrer:innen ohne abgeschlossenes Staatsexamen steigt.
       > Bildungsexpert:innen sehen das kritisch, doch der Bedarf nimmt zu.
       
   IMG Bild: Lehre ohne festen Grund: Die Zahl der Quer- und Seiteneinsteiger an Schulen steigt
       
       BERLIN taz | Ohne Quer- und Seiteneinsteiger:innen würde der
       Schulbetrieb in Deutschland vielerorts wohl zusammenbrechen. Denn
       mittlerweile hat rund jede zehnte Lehrkraft an allgemeinbildenden Schulen
       keine klassische Lehramtsausbildung mehr. [1][Wie das Statistische
       Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden mitteilte], lag die Quote im Schuljahr
       2022/23 bei 9,8 Prozent.
       
       Das entspricht 71.100 der bundesweit 724.800 Lehrkräfte. Zehn Jahre zuvor
       lag der Anteil noch bei 5,6 Prozent. Besonders viele Quer- und
       Seiteneinsteiger:innen gibt es in Berufsschulen: Dort hat heute mehr
       als jede:r fünfte Lehrer:in kein Lehramtsstudium abgeschlossen.
       
       Seit einigen Jahren greifen die Ministerien [2][wegen des anhaltenden
       Personalmangels] verstärkt auf Lehrkräfte zurück, die ohne Lehramtsstudium
       ein Referendariat beginnen (Quereinstieg) oder ganz ohne Referendariat an
       der Schule unterrichten (Seiteneinstieg).
       
       Manche Länder wie Sachsen-Anhalt oder Brandenburg haben die Anforderungen
       für den Quer- und Seiteneinstieg zuletzt gelockert, um ihre Bedarfe besser
       decken zu können. In Sachsen-Anhalt beispielsweise waren im vergangenen
       Jahr 53 Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte allein
       Seiteneinsteiger:innen. Ähnlich hoch sind die Quoten sonst nur in
       Brandenburg und Berlin.
       
       Für das neue Schuljahr liegen den meisten Ministerien noch keine Zahlen
       vor. Klar ist aber: Auch mit noch mehr Quer- und
       Seiteneinsteiger:innen wird es schwer, alle offenen Stellen zu
       besetzen. „Die Unterrichtsabsicherung bleibt auch im neuen Schuljahr eine
       Herausforderung“, sagte etwa Sachsens Bildungsminister Christian Piwarz
       (CDU) zum Schulstart Anfang August.
       
       Von den 1.000 neu eingestellten Lehrkräften im Freistaat sind 140
       Seiteneinsteiger:innen. In Sachsen-Anhalt, wo die Schule ebenfalls
       bereits wieder läuft, bewerben sich nach Angaben eines
       Ministeriumssprechers mittlerweile „zwischen 50 und 70 Prozent
       Seiteneinsteiger“ auf ausgeschriebene Stellen. „Das hat sich schon
       stark verändert.“
       
       Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und
       Wissenschaft (GEW), beobachtet die Entwicklung mit Sorge.
       „Quereinsteiger:innen können eine Bereicherung für die Schulen sein“, sagt
       Bensinger-Stolze der taz. Allerdings müssten die neuen Kolleg:innen dann
       gut ausgebildet und begleitet werden.
       
       Aus ihrer Wahrnehmung sei das aber nicht überall sichergestellt. „Wir
       wissen von unseren Landesverbänden, dass ein gewisser Teil der
       Quereinsteiger:innen wieder hinschmeißt. Das ist natürlich dramatisch,
       da wir die Kräfte eigentlich dringend brauchen.“
       
       ## Gewerkschaft fordert Umdenken
       
       Wie hoch die Abbrecherzahlen liegen, wird nicht systematisch erfasst.
       Mehrere Ministerien beziffern gegenüber der taz die Drop-out-Quote auf rund
       30 Prozent. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), die die Länder
       in Bildungsfragen berät, hatte in einem Gutachten zum Lehrkräftemangel
       kritisiert, wie unterschiedlich die diesbezüglichen Regelungen in den
       Ländern seien und dass nicht überall die Standards der Lehrerbildung
       eingehalten würden.
       
       [3][Die Kultusministerkonferenz] (KMK) hat dennoch im März beschlossen, den
       Quer- und Seiteneinstieg weiter zu öffnen. Unter anderem soll dafür ein
       Master für Ein-Fach-Lehrkräfte und duale Studiengänge geschaffen werden.
       Die KMK geht davon aus, dass bis zum Jahr 2035 mindestens 68.000 Lehrkräfte
       fehlen. Bildungsforscher:innen gehen von deutlich höheren Zahlen aus.
       
       GEW-Vorstand Bensinger-Stolze fordert ein Umdenken. Anstatt allein auf
       Notlösungen zu setzen, sollten die politisch Verantwortlichen den
       Lehrerberuf wieder attraktiver machen. Als Beispiel nennt sie die
       Entlastung von Lehrkräften von bürokratischen Aufgaben sowie die Einführung
       einer Arbeitszeiterfassung.
       
       21 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/08/PD24_N041_21.html
   DIR [2] /Massnahmen-gegen-Lehrkraeftemangel/!5918498
   DIR [3] /Kultusministerkonferenz/!6017058
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
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