# taz.de -- Linkspartei und Antisemitismus: Mehr als ein Streit um Worte
> Der Zentralrat der Juden wirft der Linkspartei vor, Antisemitismus zu
> befördern. Dabei ist die Jerusalemer Erklärung alles andere als das.
IMG Bild: DemonstrantInnen protestieren gegen die Repression gegen Palästina-AktivistInnen in München, 2024
Berlin taz | Joseph Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, griff zu
harten Worten. Die Linkspartei trage dazu bei, „Antisemitismus zu
verschweigen“. [1][Sie sei ignorant gegenüber der „jüdischen Gemeinschaft“
und „in ihrem radikalen Kern getrieben von Israelhass“]. Die Linkspartei
ist, folgt man dem Zentralrat, ein Sammelbecken von Antisemiten. In das
gleiche Horn bliesen der jüdische Verein WerteInitiative, der der
Linkspartei vorwarf „israelfeindliche Agitation unter dem Deckmantel der
Kritik“ zu befördern. Die Jüdische Studierenden-Union erklärte, die
Linkspartei habe sich damit als „Partner für Zusammenarbeit
disqualifiziert“.
Anlass für die harschen Reaktionen ist ein Beschluss, den die Linkspartei
am Ende ihres Parteitages in Chemnitz fasste. Die GenossInnen kritisieren
darin die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance
Alliance (IHRA), die einen Schwerpunkt auf „israelbezogenen Antisemitismus“
legt. Die IHRA-Formel, so die Kritik der Linkspartei, diene mittlerweile
als „repressives Instrument, um unliebsame Kritik und politischen Protest
zu verhindern“.
Die IHRA-Definition ist von vielen Staaten anerkannt. Aber sie ist auch
seit Jahren umstritten, weil sie benutzt wird, um drastisch vorgetragene
Kritik an der israelischen Politik als antisemitisch zu diffamieren. Dazu,
so die vielfach vorgetragene Kritik, trage die IHRA-Definition mit vagen
Formulierungen bei. Fakt ist, dass Raumverbote in Deutschland für
Organisationen, denen Nähe zu der Israel-Boykott-Bewegung BDS vorgeworfen
wurde, mit IHRA-Formel begründet wurden. Auch der Anti-BDS-Beschluss des
Bundestages 2019 und die Antisemitismus-Resolution argumentierten zentral
mit dem IHRA-Text.
[2][Die Jerusalemer Erklärung (JDA) ist 2020 als Reaktion auf diese Kritik
entstanden,] verfasst unter anderem von der Historikerin Aleida Assmann,
dem jüdischen Holocaust-Forscher Amos Goldberg und Stefanie
Schüler-Springorum, Leiterin des Berliner Zentrums für
Antisemitismus-Forschung. JDA ist bemüht, Kritik an Israel, Antizionismus
und Antisemitismus zu unterscheiden.
Demnach ist es antisemitisch, Israel das Recht abzusprechen, als jüdischer
Staat zu existieren. Gleichzeitig versucht die JDA Ideen eines binationalen
Staates, in dem Juden und Palästinenser gleiche Rechte hätten, sowie Kritik
am Zionismus davon auszunehmen. Schüler-Springorum wollte sich gegenüber
der taz nicht äußern und verwies auf einen Text der JDA-AutorInnen, der
Dienstag veröffentlicht werden soll.
Ein Unterschied zwischen den Texten ist der Umgang mit BDS. Laut der
Jerusalemer Erklärung ist Boykott gegen Israel und BDS, eine weltweite,
vielgestaltige, lose verbundene Organisation, nicht „per se“ antisemitisch.
Das sehen Anhänger der IHRA-Definition anders.
In der Linkspartei gibt es Kritik an dem Bekenntnis der Partei zu JDA, das
gegen den Willen der Parteispitze vom Parteitag beschlossen wurde. Man
solle die Definition von Antisemitismus der Wissenschaft überlassen, so
Bodo Ramelow, früher Ministerpräsident von Thüringen und jetzt
Vizepräsident des Bundestages. „Wer Israel auslöschen und Juden vernichten
oder vertreiben will, der ist Antisemit!“, twitterte Ramelow. Das
allerdings ist nach beiden Definitionen zweifellos antisemitisch.
Peter Ullrich, Antisemitismusforscher an der TU Berlin, [3][hält die
Verteidigung der „wissenschaftlich fragwürdigen“ IHRA-Formel für eine Art
„Sakralisierung.“] Sie würde so vehement geschützt, weil sie als Zeichen
„für die seit 20 Jahren wachsende Anerkennung von Antisemitismus und
israelbezogenem Antisemitismus“ gesehen wird. Die beiden Definitionen
würden „als konträre Symbole für den Streit um Nahost und Antisemitismus“
gebraucht. Dabei würde übersehen, dass die „Antisemitismus-Diagnosen der
beiden Definitionen zum großen Teil gleich“ seien. Allerdings sei „die
IHRA-Definition sehr leicht politisch instrumentalisierbar“.
Unterstützung bekommt die Linkspartei für ihren Beschluss von Hadash, einem
linkssozialistischen Parteienbündnis in Israel. Der Kampf gegen
Antisemitismus, so Hadash, sei „entscheidend“, dürfe aber nicht dazu
instrumentalisiert werden, „die nötige linke Kritik an der gewalttätigen
Politik Israels stumm zu stellen“.
12 May 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/ignoranz-der-linkspartei-gegenueber-der-juedischen-gemeinschaft/
DIR [2] https://www.jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/JDA-German.pdf
DIR [3] https://www.rosalux.de/publikation/id/41168/gutachten-zur-arbeitsdefinition-antisemitismus-der-ihra
## AUTOREN
DIR Stefan Reinecke
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