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       # taz.de -- Long Covid bei Kindern: Sie kann nicht mehr alleine stehen
       
       > Die ehemals kerngesunde, geimpfte Tochter unserer Autorin erholt sich
       > nicht nach einer relativ milden Covid-19-Erkrankung. Hilfe gibt es keine.
       
   IMG Bild: So sehen Radtouren mit der Tochter der Autorin gerade aus
       
       Es gibt Ereignisse, da fällt es einem schwer, an etwas anderes zu denken.
       Krieg in Europa: Häuser werden zerbombt, Menschen sind auf der Flucht.
       
       Trotzdem sind meine Gedanken woanders. Vor zehn Wochen ist meine Familie an
       Covid-19 erkrankt. Alle waren voll geimpft, keiner hatte einen schweren
       Verlauf. Um meine Eltern hatte ich mir am meisten Sorgen gemacht. Und um
       unseren Sohn Willi, der aufgrund seiner Behinderung zur Risikogruppe zählt.
       Zwei Jahre seines Lebens konnte er nur durch einen Luftröhrenschnitt atmen.
       
       Sie alle haben die Infektion problemlos überstanden. Nur unsere bis dahin
       kerngesunde 13-jährige Tochter [1][erholt sich nicht]. Sie, die sonst bei
       diesem Wetter mit ihren Pfadfinderinnen draußen schlafen würde, kann kaum
       auf ihren Beinen stehen. Die Treppe schleppt sie sich auf allen Vieren hoch
       und muss sich dann ausruhen. Ihr Herz rast, nur durch die Anstrengung, sich
       im Bett aufzusetzen.
       
       Dazu kommen Schwindel und Schmerzen und langsam, aber sicher Traurigkeit
       und Angst. Angst, dass ihr niemand helfen kann. Angst, dass dieser Zustand
       nicht wieder weggeht. Und während andere meinen, das Mädel bräuchte bloß
       Bewegung oder Ablenkung, erleben wir: Die geringste Belastung führt dazu,
       dass es ihr tagelang noch schlechter geht.
       
       ## Ich habe Angst um mein Kind
       
       Erklären kann – oder will – uns das keiner. Wir sollen abwarten.
       Eigentlich ist das bei Krankheiten genau meine Devise. Aber Woche um Woche
       zuzusehen, wie es dem Kind immer schlechter geht? Ich schaffe das nicht.
       Plötzlich haben wir ein schwer krankes Kind. Und wir haben auch noch Willi.
       Ich habe Angst.
       
       Ich habe wochenlang die Worte „[2][Long-Covid] Kinder“ nicht gegoogelt. Ich
       habe sogar, bevor ich auf „Suchen“ getippt habe, noch einmal beim
       Kinderarzt angerufen und mir wieder sagen lassen, ich solle in zwei Wochen
       wieder anrufen. Natürlich haben wir die Praxis gewechselt. Und natürlich
       habe ich irgendwann gegoogelt.
       
       Der häufigste Eintrag war gleichzeitig der nutzloseste: Kinder erkranken
       nur sehr selten an Long-Covid. Seitdem ich Selbsthilfe-Foren betroffener
       Familien lese, bin ich mir nicht sicher, ob das stimmt. Wahrscheinlich
       tauchen viele Kinder in der Statistik nicht auf, weil sie in die Psychoecke
       geschoben werden. Ich persönlich bin dort schon angekommen.
       
       Wer sich mit dem Thema Long-Covid auseinandersetzt, wird unweigerlich auf
       das Postvirale und das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) stoßen.
       Wenigstens verstehe ich jetzt den Kinderarzt. Diese Erkrankungen sind so
       schwerwiegend, ihre Ursachen und Therapien weitestgehend unerforscht und
       die Prognosen so deprimierend, dass ich darüber auch mit keiner Mutter
       sprechen wollen würde. Und auch sonst kann ich mit niemandem sprechen. Denn
       man soll ja positiv denken, sonst ist man selber schuld.
       
       Aber wenn ich nachts aufwache, denke ich nicht positiv und auch nicht
       zuerst an den Krieg. Ich denke an meine kranke Tochter. Und ich denke an
       die Kinder in der Ukraine, die auch an Long-Covid erkrankt sind oder
       schwere Behinderungen haben und an ihre Familien, die unter diesen
       Umständen im Krieg leben müssen oder auf der Flucht sind. Unvorstellbar –
       und ich weine für sie mit.
       
       15 Mar 2022
       
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