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       # taz.de -- Macron auf Staatsbesuch in Deutschland: Es gibt viel zu besprechen
       
       > Am Sonntag trifft Frankreichs Präsident Macron zum Staatsbesuch in Berlin
       > ein. Bei der Ukraine und anderen europäischen Fragen knirscht es.
       
   IMG Bild: Ein etwas verkrampftes Verhältnis: Macron und Scholz bei einem Arbeitstreffen im Kanzleramt im November 2023
       
       Schon vor einem Jahr wurde Emmanuel Macron in Deutschland erwartet. Vom 2.
       bis 4. Juli 2023 war er für einen Staatsbesuch angekündigt. Doch damals
       musste er seine Reise kurzfristig verschieben: der Tod eines Jugendlichen
       im Pariser Vorort Nanterre hatte schwere Unruhen ausgelöst. Ein Polizist
       hatte den 17-jährigen Nahel unter ungeklärten Umständen erschossen. Das
       führe zu einer Welle von Krawallen in zahlreichen Städten und Vorstädten –
       der Präsident wurde zu Hause als Krisenmanager gebraucht.
       
       Auch heute hätte er guten Grund, seinen Besuch noch einmal zu vertagen.
       Statt nach Berlin zu fliegen, könnte er seinen wenig erfolgreichen
       [1][Kurzbesuch in Neukaledonien] verlängern. Dort hatte er versucht, die
       schwere innenpolitische Krise beizulegen, die er selber mit einer
       ungelegenen Wahlrechtsreform für den Archipel im Südpazifik provoziert
       hatte.
       
       Doch Nouméa ist nicht Nanterre, es ist nicht nur geografisch weiter von der
       französischen Hauptstadt entfernt. Oder aber, Macron ist nach einer
       fruchtlosen Gesprächsrunde in Neukaledonien ernüchtert. Seine Chancen,
       zusätzlich etwas zu Beruhigung im französischen Überseegebiet beitragen zu
       können, dürften eher gering sein. Am Samstag hat Frankreich wegen der
       anhaltenden schweren Unruhen in dem Überseegebiet damit begonnen,
       französische Touristen zu evakuieren.
       
       ## Mit Jetlag und Sorgen aus Neukaledonien
       
       Die Gastgeber in Berlin, Dresden, Münster und Meseberg müssen sich deshalb
       nicht wundern, wenn Macron im Verlauf der kommenden Tagen auf seinem Handy
       Fernanrufe aus dem 17'000 Kilometer entfernten Krisenherd erhält. Wegen
       demografischen Spätfolgen des Kolonialismus steht Neukaledonien am Rand
       eines Bürgerkriegs zwischen der minoritär gewordenen indigenen Bevölkerung,
       den Kanak, und den später aus Europa zugereisten „Caldoches“. Wenn Macron
       am Sonntagnachmittag in Begleitung seiner Ehefrau Brigitte in Berlin
       landet, bringt er, der eben noch auf dem langen Rückflug aus Nouméa war,
       nicht nur zusätzliche Sorgenfalten wegen der andauernden Krise auf der
       anderen Seite des Erdballs mit – sondern auch einen gehörigen Jetlag.
       
       Die Europapolitik und die Partnerschaft mit Deutschland haben jedoch eine
       absolute Priorität, so dass sie sich nicht ein zweites Mal aus
       innenpolitischen Erwägungen hintan stellen lassen. Die kommenden Wahlen des
       EU-Parlaments diktieren zudem die Aktualität in der Agenda des französische
       Staatspräsidenten. Zunächst wird er in Berlin von seinem Amtskollegen
       Frank-Walter Steinmeier empfangen und absolviert ein Besuchtsprogramm in
       der Hauptstadt. In Berlin werden beide Staatsoberhäupter den
       deutsch-französischen Sportsommer einläuten, der von der Fußball-EM in
       Deutschland und den Olympischen Spielen in Paris geprägt ist.
       
       Erst am dritten Tag trifft er in Meseberg vor einer gemeinsamen
       Ministerratssitzung am Mittwochabend Bundeskanzler Olaf Scholz. Dazwischen
       macht er in Dresden und Münster Station. In Dresden will Macron vor der
       Frauenkirche eine weitere europapolitische Rede halten, an die Jugend
       gerichtet – möglicherweise aber auch an die osteuropäischen Partner
       Tschechien und Polen. Sie sorgen sich, die nächsten Opfer der
       Expansionspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin werden könnten.
       In Münster soll Macron der Internationale Preis des Westfälischen Friedens
       verliehen werde. Dabei wird Steinmeier die Laudatio halten.
       
       ## Ernste Diskussionen erst am Dienstag
       
       An den ersten beiden Tagen seines Staatsbesuchts kann Macron die
       historische Freundschaft mit Deutschland feiern. Dann stehen für ihn mit
       Scholz ernste Diskussionen über echte Meinungsverschiedenheiten an. Denn in
       der Analyse laufender Konflikte, in der Strategie der transatlantischen
       Beziehungen oder auch wegen der Rolle der Kernenergie in der Energiewende
       gibt es Differenzen.
       
       Im Ukraine-Konflikt überraschte Macron zuletzt mit Überlegungen,
       Bodentruppen zu entsenden – ein Gedanke, den Scholz kategorisch ablehnt.
       [2][Scholz lehnt es auch ab, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu
       liefern], während Frankreich schon länger Scalp-Raketen bereit stellt.
       Dafür zahlt Deutschland den weitaus größeren Anteil der Ukraine-Hilfe.
       Macron möchte die Wirtschaft stärker vor Konkurrenz aus China und den USA
       schützen. Scholz dagegen hält an Deutschlands wichtigen Handelspartner
       China fest. [3][Chinas Präsident Xi Jinping besuchte auf seiner großen
       Europa-Reise im Mai diesen Jahres allerdings Paris] – und nicht Berlin.
       
       Im April, kurz zuvor, hielt Macron an der in der Pariser
       Sorbonne-Universität seine zweite Grundsatzrede zur „Souveränität Europas“.
       Mit der ersten Rede am gleichen Ort hatte er 2017 für Aufsehen gesorgt.
       Seitdem hat sich das politische Umfeld durch den Krieg in der Ukraine
       drastisch verändert. Doch noch immer erhofft sich Macron von Deutschland
       mehr Unterstützung für sein [4][Konzept einer verstärkten europäischen
       Eigenständigkeit] in der Verteidigungspolitik, inklusive atomarem
       Schutzschild, und gemeinsamen Investitionen in die Rüstung und in andere
       Industriesektoren von strategischer Bedeutung, etwa Energie, Pharmazeutik
       und Nahrung. In Paris hatte man den Eindruck, dass diese drängenden
       Vorschläge in Berlin eher auf höfliches Desinteresse gestoßen sind – die
       Deutschen haben Angst, ihre nordamerikanischen Schutzherren zu verdrießen,
       glaubt man.
       
       ## Dramatische Wortwahl
       
       Macron wird im Rahmen seines Besuch sicher nachlegen wollen – wenn nötig
       mit jener Dramatik, die er im April an der Sorbonne an den Tage legte.
       „Unser Europa kann sterben“ – dieser Satz aus seiner Rede wurde am meisten
       zitiert. [5][„Europa ist nicht unsterblich!]“, das sagte er dort. In
       Deutschland dürfte er hinzufügen, dass angesichts einer drohenden Rückkehr
       von Donald Trump ins Weiße Haus auch der Schutzschirm der NATO, und
       insbesondere der USA, für Europa nicht auf ewig garantiert ist.
       
       Jacques Chirac war der letzte französische Präsident, der zu einem
       dreitägigen Staatsbesuch nach Deutschland kam, er traf dort den damaligen
       Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das war vor 24 Jahren. Anders als bei den
       üblichen Arbeitsbesuchen, zu denen auch Macron schon öfters in Berlin war,
       gelten bei einem Staatsbesuch andere protokollarische Regeln.
       
       ## Scholz und Macron brauchen sich
       
       Doch nicht nur die historische und politische Lage war damals anders,
       sondern auch die Stimmung die Ambiance. Vor der offiziellen Visite trafen
       sich die beiden Ehepaare Chirac und Schröder zu einem freundschaftlichen
       Privatbesuch. Jacques Chirac und Gerhard Schröder bildeten das letzte
       deutsch-französische Tandem, nach dem Vorbild der fast legendär gewordenen
       Gespanne Adenauer & De Gaulle, Giscard d’Estaing & Schmidt und Mitterrand &
       Kohl.
       
       Marcrons Verhältnis zu Merkel verbesserte sich im Laufe der Zeit: zum
       Abschied bereitete er ihr einen herzlichen Abschied, mit Umarmungen,
       Jubelparaden im Burgund und dem Großkreuz der Ehrenlegion, dem höchsten
       Preis Frankreichs zog er alle Register seines Charmes. Mit Scholz pflegt
       Macron einen kumpelhaften Umgangston. Dieser täuscht aber nicht darüber
       hinweg, dass er von der spröden Herzlichkeit – und erst recht von der
       mangelnden Begeisterung des deutschen Kanzlers für seine Vision der Zukunft
       Europas – enttäuscht ist.
       
       Der sehr formelle Rahmen eines Staatsbesuchs erlaubt es vielleicht, dies zu
       überspielen und die Differenzen und bilateralen Fragen mit der nötigen
       nüchternen Sachlichkeit anzugehen. Die ist auch angesagt, denn Scholz und
       Macron brauchen sich: wie die Zeitung Le Monde erwähnt, treffen sich mit
       Macron und Scholz zwei Politiker, die in ihren eigenen Länder jeweils
       geschwächt dastehen. Gemeinsam wollen sie nun versuchen, den „Motor“ der EU
       wieder in Gang zu bringen – und sich selbst dabei ein bisschen
       gegenseitigen Auftrieb zu geben. (Mitarbeit Daniel Bax)
       
       26 May 2024
       
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