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       # taz.de -- Mangel an Soldaten in der Ukraine: Das Wort des Jahres: „Mobilmachung“
       
       > Der Ukraine fehlen Soldaten. Das Verteidigungsministerium setzt darauf,
       > dass sich ukrainische Männer im Ausland zum Dienst melden.
       
   IMG Bild: Das Verteidigungsministerium der Ukraine wirbt für den Armee-Dienst – unter anderem an der Straße Richtung Kuty in der Westukraine
       
       Luzk/Berlin taz | Neuerdings interessiert sich die ukrainische Regierung
       für Ukrainer, die ins Ausland gegangen sind – zumindest für Männer. Alle
       Männer zwischen 25 und 60 sollen eine Vorladung bekommen und sich bei einem
       Wehramt der ukrainischen Streitkräfte melden. Das sagte der ukrainische
       Verteidigungsminister Rustem Umjerow in einem Interview mit deutschen
       Journalisten. „Wir wollen Gerechtigkeit für alle, denn hier geht es um
       unser Land. Wir werden ihnen Vorladungen schicken. Sein Land verteidigen
       und ihm zu dienen ist keine Strafe. Es ist eine Ehre“, sagte Umjerow. Die
       Regierung berate noch darüber, was geschehen solle, wenn die Männer nicht
       freiwillig zurückkämen.
       
       Offene Fragen gibt es viele: Wie viele Männer [1][verstecken sich in Europa
       vor der Armee]? Wie kann das Verteidigungsministerium ihren Aufenthaltsort
       ausfindig machen? Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es?
       
       [2][In Deutschland] sind laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im
       Ausländerzentralregister bis Ende November rund 197.000 Männer im Alter
       zwischen 25 und 60 Jahren mit ukrainischer Staatsangehörigkeit registriert.
       Zu einer Ausreise aus Deutschland gezwungen werden können sie nicht. „Wie
       in der gesamten Europäischen Union wird Ukrainerinnen und Ukrainern in
       Deutschland aufgrund des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs
       vorübergehender Schutz gewährt“, sagte eine Sprecherin des
       Bundesinnenministeriums der taz. Die Aufenthaltserlaubnisse von
       Ukraine-Geflüchteten gälten aktuell bis zum 4. März 2025. Aus dem
       Bundesjustizministerium hieß es, dass man zu hypothetischen Szenarien keine
       Stellung nehme.
       
       Ein Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums versuchte zu
       erklären, was Minister Umjerow tatsächlich gesagt habe. Die deutschen
       Medien hätten die Aussagen des Ministers leicht missinterpretiert, sagte
       der Leiter der Abteilung für Presse und Information in einem Kommentar für
       das ukrainische Nachrichtenportal Babel. „Der Minister hat mit den
       Journalisten über Rekrutierungen gesprochen und über die Notwendigkeit,
       Ukrainern im Ausland zu vermitteln, wie wichtig es sei, dass sie sich den
       Streitkräften anschlössen. Eine Diskussion darüber, mit welchen Mitteln man
       Ukrainer im Ausland in die Armee einberufe, steht nicht auf der
       Tagesordnung“, heißt es in einer Erklärung des Verteidigungsministeriums.
       
       ## Der Mobilmachung entgehen
       
       Dass ukrainische Beamte jetzt solche Aussagen machen, ist leicht zu
       erklären. Das Thema, wie Menschen mit allen Mitteln versuchen, einer
       Mobilmachung zu entgehen, ist derzeit sehr aktuell in der Ukraine: Vor
       allem jetzt, wo durch [3][die russische Offensive] an allen fünf
       Frontabschnitten die Zahl der gefallenen ukrainischen Soldaten steigt.
       
       Die Menschen empören sich darüber, dass nur sie ihr Land verteidigen,
       während andere sich durch Tricksereien oder Korruption ins behagliche
       Europa absetzten, um dem Kriegseinsatz zu entkommen. Die
       Gerechtigkeitsfrage lässt sich leicht für politische Zwecke
       instrumentalisieren, zum Beispiel um das Ansehen von Präsident Wolodimir
       Selenski zu verbessern, dessen Umfragewerte 2023 ein wenig gesunken sind.
       
       Es ist leicht gesagt, dass „wir gerade auch diejenigen zum Dienst in der
       Armee zwingen müssen, die irgendwie nach Europa ausreisen konnten“. Aber
       das in die Praxis umzusetzen, dürfte sich schwierig gestalten.
       
       Nicht zum ersten Mal gibt die Regierung der Ukraine sich populistisch, wenn
       es um Mobilmachungen geht. Im August dieses Jahres wurden auf Anweisung von
       Präsident Selenski auf einen Schlag alle Wehramtsleiter entlassen. Anlass
       dafür war, dass sich einige dieser Männer durch Ausstellung von
       Ausreisegenehmigungen für Wehrpflichtige persönlich bereichert hatten.
       Dafür bestraft wurden aber demonstrativ alle Wehramtsleiter.
       
       Zufall oder nicht – im Herbst wurden dann in der Ukraine vermehrt
       Einberufungsbescheide auf der Straße, in Kinos und Fitnesscentern
       ausgegeben. Würde man in der Ukraine das Wort des Jahres 2023 wählen, wäre
       es höchstwahrscheinlich „Mobilmachung“. Meldungen zu diesem Thema sind
       täglich unter den Top-Nachrichten ukrainischer Medien.
       
       Auf seiner [4][Pressekonferenz zum Jahresende erklärte Wolodimir Selenski]
       am 19. Dezember, dass der Generalstab und Oberbefehlshaber Walerij
       Saluschnyj vorgeschlagen hätte, 450.000 bis 500.000 Ukrainer zusätzlich zu
       mobilisieren. Dies würde die Ukraine, so Selenskij, noch einmal 500
       Milliarden Hrywnja (etwa 12 Milliarden Euro) kosten.
       
       Gleichzeitig verlangte der Präsident von den Streitkräften aber auch
       konkrete Aussagen zum Fronturlaub, zum Rotationsprinzip von kämpfenden
       Soldaten und zur Demobilisierung. Selenski wandte sich auch an die
       Zivilbevölkerung. Er erklärte, dass ein Frontsoldat von sechs Steuerzahlern
       unterstützt werde. Damit machte er klar, dass die Mobilmachung auch ihre
       Grenzen habe.
       
       Um mehr jüngere Menschen für die Armee zu gewinnen, wird das
       Einberufungsalter wahrscheinlich von 27 auf 25 Jahre gesenkt. Der Präsident
       erklärte, er werde einer solchen Entscheidung zustimmen, wenn das
       entsprechende Gesetz auf Vorschlag des Militärs vom Parlament verabschiedet
       wird.
       
       Eine weitere wichtige Neuerung, die die Regierung aktuell vorbereitet, ist
       ein elektronisches Register für Wehrpflichtige. Wolodimir Fitio, ein
       Vertreter der Bodentruppen, erklärte, dass das elektronische Register
       „Oberig“, das derzeit in der Ukraine in Betrieb sei, nicht mit anderen
       staatlichen Registern synchronisiert werden könne. Sobald diese
       Synchronisierung möglich wird, sollen keine Vorladungsbescheide mehr auf
       Straßen und in Fitnesscentern ausgeteilt werden.
       
       Aus dem Ukrainischen Gaby Coldewey
       
       21 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Juri Konkewitsch
   DIR Tanja Tricarico
       
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