# taz.de -- Marilyn-Monroe-Biopic „Blond“ auf Netflix: Ihr Kampf mit den Monstern
> Auf sich selbst aufzupassen, das gelingt Marilyn in Andrew Dominiks Film
> „Blond“ nicht. Er erzählt von den vielen Wunschbildern der
> Schauspielerin.
IMG Bild: Die Fans von Marilyn (Ana de Armas) können sich kaum an sich halten
Als [1][Joyce Carol Oates] 2000 ihren Roman „Blond“ veröffentlichte,
beschrieb sie ihre Herangehensweise an Marilyn Monroes Leben im Vorwort als
„synekdochisch“. Sie habe zwar die Faktenlage gekannt, die vielen
Pflegefamilien, die missbräuchlichen Erlebnisse, die Liebhaber,
destruktiven Verhaltensweisen und Krisen. Auch Marilyns Tagebücher habe sie
zu Rate gezogen. Dennoch sei das Buch „keinesfalls als Lebenszeugnis zu
verstehen“.
Die von [2][Andrew Dominik inszenierte] filmische Adaption ist somit
ebenfalls keine Biografie. Denn eigentlich ist „Blond“ ein Horrorfilm – bei
dem das „Final Girl“, die genretypisch weibliche Figur, die am Ende das
oder die Monster um die Ecke bringt, leider nicht überlebt.
Die Monster, mit denen Marilyn im Film zu kämpfen hat, zeigen sich früh:
Die von einer mentalen Krankheit ihrer Mutter Gladys geprägte
Mutter-Tochter-Beziehung endet für die junge Norma Jeane, wie Marilyn
eigentlich hieß, fast tödlich.
Nach einem Brand – vielleicht das „Griffith Park Fire“ von 1933 – während
dem sich Gladys unverantwortlich verhält, beginnt für Norma die Odyssee:
Sie sucht jemanden, der sie liebt. Dieser schlichte, aber lebensnotwendige
Wunsch nach Liebe und Anerkennung, den Billy Wilder ihr viel später
ignorant in dem ikonischen Song „I Wanna Be Loved By You“ als sexuelle
Unersättlichkeit überstülpt, ist Monroes Begleiter.
Immer wieder spiegelt Dominik Marilyns Wünsche mit dem, was sich
(männliche) Prädatoren wünschen: Bei einem Vorsprechen für ihre erste echte
Hauptrolle in dem Psycho-Kammerspiel „Don’t Bother to Knock“, in dem sie
einen mental instabilen Babysitter spielt, sitzt Marilyn (Ana de Armas)
drei Männern gegenüber; in der schwarz-weißen Szene leuchten ihre hellen
Haare.
Nachdem sie ihre Zeilen – passend zum Inhalt – unter Tränen vorgebracht
hat, verlässt sie das Studio. „Schrecklich“, sagt der kurz zuvor noch
angefasste Anspielpartner, „das ist keine Technik, das ist krank.“ „Echte
Schauspieler können zwischen sich selbst und ihrer Rolle unterscheiden“,
sagt der Autor. Der Regisseur steht derweil rauchend und hustend an der
Studiotür und beobachtet, wie Marilyn in ihrer karierten Dreiviertelhose
über das Gelände geht. „Sweet Jesus“, sagt er, „guckt euch den Arsch von
der Kleinen an.“ Die Rolle hat sie bekommen.
Der Regisseur zeigt Marilyn in einer Art Schwebezustand – shaky war sie
immer. Mit zunehmendem Drogenkonsum und dem Verschwinden der Person Norma
Jeane hinter der toxischen Blondine verschwimmen die Bilder, die Ebenen,
die innovativen Kameraperspektiven von Chayse Irvin; schwarz-weiße und
Farbszenen wechseln sich ab, genau wie die Männer.
## Der Schritt und als vermeintliches Eigentum
Mit Charlie Chaplin jr. (Xavier Samuel) und Edward G. Robinson jr. (Evan
Williams) hat sie eine zwischen Offenheit und Ausnutzen mäandernde
Dreiecksbeziehung; Bobby Cannavale als Ehemann Joe DiMaggio bestraft sie
dafür, ihren Schritt und damit sein vermeintliches Eigentum in „Das
verflixte siebente Jahr“ der Öffentlichkeit zu präsentieren; Adrien Brody
als Ehemann Arthur Miller kann sie nach einer Fehlgeburt nicht halten.
Und in einer verstörenden Szene wird Marilyn in Kennedys Hotelzimmer
geleitet – um dort den wie ein braungebrannter Faun auf seinem Hotelbett
fläzenden Präsidenten (Caspar Phillipson) zunächst zu masturbieren, und ihn
dann, während er das Ohr nicht vom Telefonhörer nimmt, zu fellatieren. „Nur
nicht würgen“, hört man Marilyns Kopfstimme. Man könnte die humor- und
gnadenlose Genderdarstellung als „Victimizing“ misinterpretieren – aber die
Zeit war nicht gut zu nichtresilienten Menschen, erst recht nicht zu
Frauen.
Durch den Albtraum aus Pillen, Make-up und (wie in Soundgardens „Black Hole
Sun“-Video) mit surreal aufgerissenen Mündern schreienden Fans bewegt sich
Ana de Amas mit Hingabe. Ihre hauchende Stimme bricht, ihre fahrigen
Bewegungen, die – denn so war es bei Marilyn – nie die Anmut verlieren,
unterstreichen die Verletzlichkeit.
## Dialog mit ihrem ungeborenen Baby
Die von Nick Cave und Warren Ellis komponierte, mal klavier-, mal
analogsynthielastige Musik streift, wie Cave oft selbst, den Kitschrand –
aber die [3][Person Nick Cave], die man mitdenkt, passt dazu. Die
Authentizität der kopierten Originalfilmszene ist zudem verblüffend, am Set
von „Some Like It Hot“ kann man Chris Lemmon erleben, der seinem Vater Jack
wie ein Zwilling gleicht.
Zum (Body-)Horror des Films gehört auch ein kurzer Dialog Marilyns mit
ihrem ungeborenen Baby, das sie mit gruseliger Babystimme bittet, es nicht
„noch einmal“ zu töten – eine inszenatorische Idee, die US-amerikanische
Abtreibungsrechtler:innen auf die Palme brachte. Dabei geht es
Dominik nicht um eine Stellungnahme gegen „My body my choice“. Im Gegenteil
zeigt er, was passiert, wenn eine Frau nicht die Wahl hat, über den eigenen
Körper zu bestimmen.
„Nimm dich in Acht vor blonden Frauen“, heißt es in Marlene Dietrichs
Gassenhauer. Zu Marilyn Monroe passt das nicht: Sie hätte sich eher selbst
in Acht nehmen müssen.
27 Sep 2022
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## AUTOREN
DIR Jenni Zylka
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