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       # taz.de -- Maskengegner aus Idar-Oberstein: Lebenslang für Tankstellenmord
       
       > Mario N. erschoss in Idar-Oberstein einen Tankstellenwart, nun muss er
       > lebenslang in Haft. Das Opfer sei ein Symbol gewesen, sagt das Gericht.
       
   IMG Bild: Die Mutter des Opfers spricht nach der Urteilsverkündung mit Journalisten
       
       Bad Kreuznach taz | Lebenslange Haft wegen Mordes und mehrfachen Verstoßes
       gegen die Waffengesetze, so lautet das Urteil des Landgericht Bad Kreuznach
       gegen den Todesschützen von Idar-Oberstein, Mario N. Der 50-Jährige hatte
       [1][am 18. September vergangenen Jahres] den Tankstellenmitarbeiter
       Alexander W. nach einem Streit um das Tragen einer Infektionsschutzmaske
       erschossen.
       
       Er habe dem 20-Jährigen „ohne zu Zögern“ ins Gesicht geschossen, stellte
       die Vorsitzende Richterin Claudia Büch-Schmitz in ihrer Urteilsbegründung
       fest. Mit seiner Tat habe er bewusst ein Zeichen setzen wollen und den
       jungen Mann als Symbol getötet, als Repräsentanten der Regierenden und der
       von ihm abgelehnten Schutzmaßnahmen vor der Pandemie.
       
       Anders als [2][von der Staatsanwaltschaft gefordert], erkannte das Gericht
       nicht eine „besondere Schwere der Schuld“. Nach 15 Jahren Haft kann N.
       deshalb bei einer günstigen Prognose für seine künftige Lebensführung in
       Freiheit entlassen werden.
       
       In der Urteilsbegründung zeichnete das Gericht die der Tat vorangegangene
       Radikalisierung des Täters nach: seine grundsätzliche Ablehnung des
       Staates, seine wachsende rassistische und rechtsextreme Haltung gegenüber
       Migranten und Andersdenkenden, in die er sich bereits in der sogenannten
       „Flüchtlingskrise“ hineingesteigert habe. Das Gericht zitierte zahlreiche
       Chats, in denen Mario N. bereits damals Gewaltfantasien freien Lauf ließ.
       So hatte er Gegnern mit Messerattacken, Mordanschlägen und Gaskammern
       gedroht – es war allerdings zunächst bei Worten geblieben.
       
       ## In der Pandemie radikalisiert
       
       Mit der Pandemie und den von ihm abgelehnten staatlichen Schutzmaßnahmen
       [3][war die Lage eskaliert]. Mario N. hatte seinen wirtschaftlichen
       Niedergang, seine persönlichen Probleme und selbst den Suizid seines Vaters
       und dessen Tötungsversuch an N.s Mutter mit der Pandemie in Verbindung
       gebracht. „Allein der Hass auf das System und die Regierenden“, hätten ihn
       bei der Tat geleitet, so das Gericht. „Das Opfer war zufällig. Der Mensch
       Alexander W. zählte nicht.“
       
       Im Urteil wurden die Mordmerkmale des Strafgesetzbuches „Heimtücke“ und
       „niedrige Beweggründe“ festgestellt. „Alexander W. wiegte sich in
       Sicherheit“, so Richterin Büch-Schmitz. Deshalb bejahte sie Heimtücke. Er
       habe sich auch von niedrigen Beweggründen leiten gelassen, als er sich auf
       ein vermeintliches Widerstandsrecht gegen die von ihm abgelehnten
       Bestimmungen des Staates berufen habe, auf die ihn sein Opfer hingewiesen
       hatte. „Aus nichtigem Anlass“ habe er Alexander W. erschossen. Eine
       „eklatante Missachtung des Lebens und der Person seines Opfers“, so die
       Richterin.
       
       Wie die psychiatrischen Gutachter im Verfahren attestierte auch das Gericht
       dem Angeklagten eine volle Schuldfähigkeit. Weder der Genuss von Alkohol
       vor der Tat, noch die Beeinträchtigungen seines Lebens, für die er nach wie
       vor die Pandemie und die staatlichen Maßnahmen verantwortlich macht, seien
       als Schuldausschlussgründe zu werten, so das Gericht.
       
       ## Keine besondere Schwere der Schuld
       
       Das Strafgesetzbuch sehe für Mord lebenslange Haft „ohne Wenn und Aber“
       vor, sagte die Vorsitzende Richterin. Die Voraussetzungen für die
       Feststellung der besonderen Schwere der Schuld seien in diesem Fall
       allerdings nicht gegeben. Zwar habe der Täter der Familie des Opfers,
       seinen Freunden und den zufälligen Zeugen der Tat schweres Leid zugefügt.
       Trotzdem habe auch er nach 15 Jahren im Gefängnis einen Anspruch auf
       Haftprüfung, so Büch-Schmitz.
       
       Staatsanwaltschaft und Nebenklage zeigten sich nach dem Urteil „zufrieden“.
       Wichtig sei ihr gewesen, dass das Gericht die Mordmerkmale Heimtücke und
       die niedrigen Beweggründe festgestellt habe, sagte Oberstaatsanwältin
       Nicole Frohn. Bei ihrem Antrag, die besondere Schwere der Schuld
       festzustellen, sei ihr klar gewesen, dass es um einen Abwägungsprozess
       gehe, bei dem man auch zu einem anderen Ergebnis kommen könne. Ob sie in
       Revision gehe, werde in ihrem Team entschieden, so Frohn.
       
       In bewegten Worten dankte die Mutter von Alexander W., die auch die
       Urteilsverkündung im Gerichtssaal verfolgt hatte, allen Prozessbeteiligten
       für die Anteilnahme. „Wir werden jetzt die Scherben aus den vergangenen
       Monaten zusammensuchen“, sagte sie. Auf die Frage, ob sie dem Täter
       verziehen habe, meinte sie: „Wenn man einem Menschen das Leben nimmt, kann
       man darüber nicht hinweggehen.“ Das Strafmaß wollte sie nicht kommentieren.
       „15 Jahre für ein Menschenleben? Das Urteil ist nicht wichtig.“ Für die
       Mutter von Alexander W. dürfte mit dem Ende des Verfahrens wenigstens ein
       kleiner Teil der Last abgefallen sein.
       
       13 Sep 2022
       
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