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       # taz.de -- Massaker in Newtown: Obama: „Wir müssen etwas tun“
       
       > Zwanzig Grundschüler, sechs Lehrer, seine Mutter und sich selbst erschoss
       > Adam Lanza. Er sei ein stiller junger Mann gewesen, sagen ehemalige
       > Mitschüler.
       
   IMG Bild: Trauer in Newtown, Connecticut.
       
       WAHSINGTON taz | Newtown braucht zwanzig kleine Särge für die Kinder
       zwischen fünf und zehn Jahren, die am Freitag Morgen in der Sandy Hook
       Grundschule erschossen worden sind. Hinzu kommen sechs erschossene
       LehrerInnen. Plus die Mutter des Todesschützen. Am Ende soll der 20jährige
       Adam Lanza sich selbst erschossen haben.
       
       Die halbautomatischen Schusswaffen, die er benutzte, gehörten seiner
       Mutter. Sie waren im Bundesstaat Connecticut, der für seine im US-Kontext
       strenge Waffenkontrolle bekannt ist, ordnungsgemäß gemeldet.
       
       Die Schießerei war eine der bislang tödlichsten an einer Schule in den USA.
       Als sie am Freitag Mittag in die Nachrichten kam, stürzte das Land
       übergangslos von vorweihnachtlicher Stimmung in ungläubigen Schrecken.
       
       Die Fahnen gingen landesweit auf halbmast. Und die Kabel-TV-Sender begannen
       Non-Stopp-Vor-Ort-Berichterstattung aus der 30.000 Einwohnerstadt in
       Connecticut. Wie nach jeder der tödlichen Schießereien, deren zeitliche
       Abfolge sich in den vergangenen Monaten beschleunigt hat, stellten die
       KommentatorInnen mit der ungläubigen Frage: „Wie konnte das passieren?“
       Und: „Warum in Newtown?“ In der heilen Welt einer gepflegten Kleinstadt in
       Neu-England. Wo jeder jeden kennt. Und wo im ganzen letzten Jahrzehnt nur
       ein einziger Mord stattgefunden hat.
       
       ## „Tränen sind nicht genug“
       
       Am frühen Nachmittag gab der Präsident eine emotionale und persönliche
       Erklärung im Fernsehen ab. Barack Obama wischte sich mehrfach Tränen aus
       den Augen, und machte lange Pausen, während er – nicht als Präsident
       sondern als Vater - von den zerstörten jungen Leben sprach. Und davon, dass
       sie keine Geburtstage oder Schulabschlüssen mehr feiern und nie eigene
       Kinder haben werden.
       
       Er erwähnte nicht ausdrücklich eine stärkere Waffenkontrolle. Aber er
       nannte mehrere Schießereien aus der jüngeren Vergangenheit – darunter in
       einem Kino in Aurora, in einem Tempel in Wisconsin, in einem
       Einkaufszentrum in Oregon und an einer Straßenkreuzung in Chicago – und
       sagte: „Wir müssen zusammen kommen und etwas tun, um Tragödien wie diese zu
       verhindern“.
       
       Am Freitag Abend, als in einer dicht besetzten Kirche in Newtown eine erste
       Trauerveranstaltung mit Geistlichen und Politikern am Mikrofon stattfand,
       kamen in Washington Hunderte Menschen mit Kerzen vor das Weiße Haus. Sie
       sangen Spirituals. Trugen Transparente mit der Aufschrift: „Tränen sind
       nicht genug“. Und erklärten: „Mister President – wir beten für Dein
       Handeln“. Am Wochenende sind US-weit zusätzliche Mahnwachen mit Kerzen
       angekündigt.
       
       ## Stiller, begabter junger Mann
       
       Die Motive des 20jährigen Todesschützen von Newtown waren am Freitag Abend
       völlig unklar. Vereinzelte ehemalige MitschülerInnen von ihm beschrieben
       einen in sich gekehrten, stillen und begabten jungen Mann. Seine ehemalige
       Schulbusfahrerin sprach lobend über ihn und seine Mutter. Andere ließen
       durchblicken, dass er möglicherweise „Persönlichkeitsstörungen“ gehabt
       habe. Von „Autismus“ war die Rede. Und davon, dass seine Eltern geschieden
       und seine Mutter sehr „rigide“ gewesen sei. Sie soll zeitweise als
       Hilfskraft an der Sandy-Hook-Schule tätig gewesen sein.
       
       Adam Lanza soll gegen 9 Uhr 30 im Auto seiner da schon toten Mutter vor die
       Schule gefahren und in sie eingedrungen sein. Er soll eine kugelsichere
       Weste, eine Glock-Pistole und eine Sig-Sauer-Pistole dabei gehabt haben.
       Und er soll sofort losgeballert haben. Eine dritte Schusswaffe, eine
       halbautomatische Bushmaster, ließ er im Auto zurück.
       
       Zu seinen ersten Opfern in der Schule gehörten die Direktorin, sowie
       mehrere andere Lehrer, die ein Treffen neben dem Eingang hatten. Die
       anderen LehrerInnen verbarrikadierten sich, als die Schüsse ertönten, mit
       ihren kleinen SchülerInnen in ihren Klassenräumen. Mehrere schickten die
       Kinder in weit von den Türen entfernten Ecken und Wandschränke. Andere
       erzählten ihnen Geschichten. Eine Lehrerin, die noch am Freitag von den
       US-Medien in eine „Heldin“ umgewidmet wurde, sagte den Kindern, dass sie
       sie alle lieb habe. Um sie zu beruhigen, und weil sie dachte, das könnten
       die letzten Worte sein, die sie in ihrem Leben hören würden.
       
       Bei Eintreffen der Polizei, wenige Minuten nach Tatbeginn, soll der Schütze
       bereits tot gewesen sein. „Fasst Euch an den Händen und haltet Euch die
       Augen zu“, lautete die Vorgabe an die Kinder, die auf ihrem Weg aus der
       Schule an einen Sammelpunkt in einer Feuerwehrkaserne an Leichen ihrer
       KlassenkameradInnen vorbei geführt wurden. Die Eltern der mehreren hundert
       Schulkinder waren per SMS an den Sammelpunkt, zum Abholen ihrer Kinder,
       bestellt worden. Als noch rund 50 Eltern, aber keine Kinder mehr an dem
       Treffpunkt waren, erfuhren diese Eltern, dass sie ihre Kinder nie mehr
       abholen können.
       
       ## Waffenlobby fordert Waffen für Lehrer
       
       Unmittelbar nach den Ende des Blutbades in Newtown begann die Spekulation
       über die geistige Befindlichkeit des Täters. Über mögliche Warnsignale von
       ihm, die überhört worden sind. Und über verpasste Gelegenheiten, ihn zu
       behandeln. Die Schule – und mit ihr der gesamte Distrikt – war auf einen
       bewaffneten Angriff vorbereitet. Unter anderem hatte sie kürzlich ihren
       Eingang mit einer Videokamera versehen. Kaum begann die Schießerei in ihren
       Räumen gingen die LehrerInnen in dem Schuldistrik in den – zuvor vor solche
       Fälle eingeübten – „Lock-Down“ Modus.
       
       Ebenfalls am Freitag meldeten sich vereinzelt Stimmen zu Wort, die – wie
       nach jeder neuen Schießerei – eine bessere Kontrolle von Schusswaffen
       verlangen. In den vergangenen Jahren ist die politische Tendenz in den USA
       eher gegenläufig. Die Schusswaffenlobby ist in zahlreichen Bundesstaaten in
       der Offensive und hat sich politisch mit den neuen Aufsteigern der
       republikanischen Partei vernetzt. Sie konnte zahlreiche Erleichterungen für
       das Schusswaffentragen verbuchen. Erst einen Tag vor der Schießerei in
       Newtown hat die republikanische Mehrheit im State-House von Michigan ein
       Gesetz verabschiedet, dass das Tragen von versteckten Schusswaffen – unter
       anderem an Schulen genehmigen soll.
       
       Nach dem Blutbad in Newtown verteidigen Mitglieder der „Michigan Coalition
       for responsible Gun Owners“ und andere Schusswaffenlobbyisten in Michigan
       sich am Freitag mit der Behauptung, bewaffnete Lehrer hätten die
       Schiesserei beenden können.
       
       15 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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