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       # taz.de -- Matt Potterfields dritter Film: Freigestellte Figuren am Pool
       
       > Matt Porterfield macht in seinem neuen Film „I Used to Be Darker“ seinem
       > Ruf als Chronist der Baltimorer Mittelschicht alle Ehre.
       
   IMG Bild: Deragh Campbell als Taryn in „I Used to Be Darker“.
       
       In einer Szene in „I Used to Be Darker“ lässt sich Abby (Hannah Gross) in
       den Pool fallen, der hinter dem Haus ihres Vaters installiert ist und um
       den zahlreiche Szenen des Films spielen. Diese eine Szene ist besonders
       schön, weil Abby eben nicht dynamisch in das sanft illuminierte Wasser
       springt oder elegant hineingleitet, sondern ansatzlos (und bekleidet) in
       den Pool hineinzusacken scheint.
       
       Der Pool ist für sie, was er für den Film als Ganzes ist: Kein Ort, um
       Körper auszustellen oder zu trainieren, sondern ein Ort, der die
       Körperspannung löst, die Extremitäten von ihren alltäglichen Funktionen
       befreit, die Schwerkraft mindert – und den Film in glasklaren Bildern
       schweben lässt.
       
       Was nicht heißt, dass man in diesem Pool komplett relaxt ist: Gerade weil
       er es einem ermöglicht, eine Differenz in die Erfahrung des eigenen,
       körperlichen Selbst einzuziehen, ist der Pool gleichzeitig ein Medium der
       Reflexion. So spielt auch die emotional verstörendste Szene des Films im
       Pool: „I’m fucked“, meint da Taryn (Deragh Campbell), die Hauptfigur von „I
       Used to Be Darker“ zu Abby, ihrer Cousine, die darauf erst einmal nichts
       Hilfreiches zu erwidern hat. Denn sie weiß, dass die zierliche, sture, von
       ihren in Nordirland lebenden Eltern über den Atlantik bis nach Baltimore
       geflohene Verwandte nicht von einem spezifischen Problem spricht, sondern
       ein Fazit gezogen hat.
       
       Der Regisseur von „I Used to Be Darker“, Matt Porterfield, hat bislang drei
       Filme gedreht, in allen dreien tauchen an prominenter Stelle solche Pools
       auf: Aus den fast schon prototypischen Emblemen des Wohlstands werden in
       seinen Filmen Orte, an denen man sich vor sich selbst entblößt. Doch mehr
       noch hält das Werk Porterfields zusammen: Alle drei Filme spielen in seiner
       Heimatstadt Baltimore, in Milieus, die, den Pools zum Trotz, eher der
       unteren Mittelschicht zuzurechnen sind.
       
       ## Typische Independent-Problemfilme
       
       Alle drei Filme könnte man, wenn man nur auf ihre Erzählungen blickt, für
       typische Independent-Problemfilme halten: „Hamilton“ beschrieb das Leben
       junger Eltern, „Putty Hill“ war um die Reaktionen eines Freundeskreises auf
       einen Selbstmord herum gebaut. „I Used to Be Darker“ entwirft gleich ein
       ganzes Problemarsenal: Es geht nicht nur um eine junge Ausreißerin, sondern
       auch um eine zerbrochene Ehe, eine zerbrechende Freundschaft und
       schließlich noch um eine Schwangerschaft zum denkbar ungünstigsten
       Zeitpunkt.
       
       In seiner Konzentration auf einen kleinen, dezidiert unspektakulären, lokal
       genau definierten Weltausschnitt ist das Kino Porterfields – der seine
       Filme zu weiten Teilen via Crowdfunding finanziert – eines der schönsten
       Beispiele für jenes neue, regionale Filmschaffen, das derzeit in ganz
       verschiedenen Gegenden der USA entsteht.
       
       Porterfields Filme nehmen ihre Themen zwar durchaus ernst, trotzdem
       verfehlt man das Entscheidende, wenn man sie primär über diese Themen, also
       wahlweise als Katalogisierungen soziologischer Probleme oder als deren
       psychologisch motivierte Exemplifizierungen begreift.
       
       ## Vermeintlich tote Zeit
       
       Wie die Pools hinter den Häusern, die oftmals erdrückenden
       Alltagszusammenhänge temporär auflösen, und dadurch einen anderen Blick
       aufs eigene Leben zu ermöglichen, lösen sich die Filme immer wieder von
       ihrer Narration zugunsten reiner, autonomer Zeitbilder. In ihnen fängt die
       – stets souveräne – Kamera einfach nur, scheinbar interesselos,
       Alltagshandlungen, vermeintlich tote Zeit ein; tote Zeit, in der die
       existenzielle Verzweiflung, die Geworfenheit, die zahlreiche Figuren bei
       Porterfield auszeichnet, erst wirklich zu ihrem Recht kommt.
       
       In „Hamilton“ und „Putty Hill“ ging das so weit, dass man die
       erzählerischen Zusammenhänge oftmals nur erahnen konnte, zwischen für sich
       selbst stehenden Waldspaziergängen, Poolszenen, Gefühlsintensitäten. Im
       neuen Film ist die Geschichte enger gefasst, biografische Hintergründe und
       Konfliktlagen werden deutlicher ausformuliert, was auch heißt, dass der
       Einstieg in die nach wie vor äußerst intime Welt Porterfields leichter
       fällt.
       
       Doch auch „I Used to Be Darker“ hat seine schönsten Momente stets dann,
       wenn er seine Figuren freistellt. Im Pool zum Beispiel, oder auch in den
       vielen Szenen, die einfach nur Musikperformances abfilmen: Zwei der
       Darsteller, Kim Taylor und Ned Oldham, sind professionelle Musiker, genauer
       gesagt klassische Singer/Songwriter, sie singen im Film Lieder, die
       selbstvergessen Innerlichkeit zelebrieren: „I used to be darker, then I got
       lighter, then I got dark again.“
       
       9 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Foerster
       
       ## TAGS
       
   DIR Filmbranche
       
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