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       # taz.de -- Mazedonien und Griechenland: Der Nachbar bleibt der ewige Feind
       
       > Im Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien droht die nächste
       > Eskalation. Alexis Tsipras rechnet mit Auseinandersetzungen.
       
   IMG Bild: In Thessaloniki tauchen Plakate mit Abgeordneten auf – und der Frage: Wirst auch Du Mazedonien verraten?
       
       Athen taz | Am Sonntagnachmittag ist es wieder so weit: Sogenannte
       mazedonische Kulturvereine aus ganz Griechenland rufen zu einer
       Massenkundgebung vor dem Parlament auf. „Hände weg von Makedonien“, heißt
       es in einem offenen Protestbrief der Veranstalter. Gemeint ist in erster
       Linie die nordgriechische Region Makedonien mit der Hauptstadt
       Thessaloniki, vermutlich aber auch ein etwas abstrakter Begriff der
       „mazedonischen Identität“, auf die nur Griechen einen Anspruch haben
       sollen.
       
       Über die sozialen Medien rufen selbsternannte Patrioten zur regen
       Beteiligung auf. Denn es gehe schließlich darum, das historische Erbe
       Griechenlands und Alexanders des Großen gegen die Slawen und andere
       Usurpatoren zu verteidigen. Sämtliche Lokalpolitiker, vor allem im Norden
       Griechenlands, unterstützen den Aufruf. Der konservative Präfekt von
       Thessaloniki Apostolos Tzitzikostas verlangt gar eine Volksabstimmung zu
       Makedonien.
       
       Bereits im Sommer 2018 hatten Hunderttausende Demonstranten in Athen und
       Thessaloniki die alleinigen Rechte Griechenlands auf den Namen Mazedonien
       beansprucht. Sämtliche nationalistischen und religiös orientierten Gruppen,
       aber auch gemäßigte Konservative, politisch Unbeteiligte und sogar einige
       sozialdemokratische Politiker waren dabei. Die mächtige orthodoxe Kirche
       distanzierte sich zwar von Protestkundgebungen, sprach sich jedoch in aller
       Deutlichkeit für den griechischen Charakter Makedoniens aus.
       
       Damals wie heute protestierte die Menge gegen [1][einen Kompromiss], den
       Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras und sein mazedonischer
       Amtskollege Zoran Zaev ausgehandelt hatten, um den seit 1991 anhaltenden
       Namensstreit zwischen Athen und Skopje beizulegen. Demnach wird sich der
       nördliche Nachbar Griechenlands in Nord-Mazedonien umbenennen und im
       Gegenzug wollen die Griechen erstmals seine eigene, mazedonische Identität
       anerkennen. Trotz innenpolitischer Schwierigkeiten konnte Zaev das
       umstrittene Abkommen im Parlament gerade so durchbringen; nun soll die
       griechische Seite den Kompromiss absegnen.
       
       ## Auf Sicht fahren
       
       In Griechenland wollen viele das verhindern. Es wird erbittert gekämpft:
       Spiros Danellis, einst Abgeordneter der sozialdemokratischen Splitterpartei
       Potami und Befürworter einer Annäherung mit den slawischen Nachbarn, hat
       wiederholt berichtet, dass er und seine Familie bedroht werden. Auch eine
       weitere griechische Politikerin hat per SMS Bilder von Frauen mit
       zerschmetterten Köpfen erhalten, weil sie für die Einigung auf den Namen
       Nord-Mazedonien für das Nachbarland votieren will. Die Botschaft: So werde
       es ihr auch ergehen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Die Polizei nahm
       bisher sechs Verdächtige in Gewahrsam.
       
       Kompromisslos zeigt sich dagegen Panos Kammenos, Chef der
       rechtspopulistischen Anel-Partei und bis vor wenigen Tagen Juniorpartner
       von Linkspremier Tsipras. Als Verteidigungsminister wehrte sich Kammenos
       vehement gegen eine Annäherung, drohte immer wieder mit Rücktritt und ließ
       seinen Drohungen am Wochenende auch Taten folgen, indem er erklärte, „wegen
       Makedonien“ wolle er [2][ab sofort sein Amt aufgeben] und die
       Regierungskoalition verlassen.
       
       Seine letzte Pressekonferenz im Verteidigungsministerium nutzte Kammenos
       für eine Generalabrechnung mit politischen und innerparteilichen Gegnern
       sowie unliebsamen Medien, die seine Ansichten angeblich verdrehen oder nur
       verkürzt wiedergeben. Zudem lässt er seit längerer Zeit andeuten,
       Befürworter der Annäherung hätten gewisse Gegenleistungen für ihr
       Engagement erhalten. Beweise dafür hat er bisher nicht geliefert.
       
       Nach dem Rückzug seines Juniorpartners Anel hat Tsipras keine eigene
       Mehrheit im Parlament. Schneller Ersatz ist nicht in Sicht, spätestens im
       Oktober wird in Griechenland ohnehin gewählt. Mithilfe von Anel-Abtrünnigen
       und anderen Parlamentariern konnte Tsipras in der Nacht zum Donnerstag ein
       [3][Vertrauensvotum] für sich entscheiden, wenn auch mit hauchdünner
       Mehrheit, darf vorerst weiterregieren – und auf Sicht fahren.
       
       ## Generalprobe für die bevorstehende Abstimmung
       
       Es war übrigens eine Abstimmung mit weitreichenden Folgen:
       Tourismus-Ministerin Elena Kountoura wurde von der rechtspopulistischen
       Anel-Partei ausgeschlossen, weil sie, entgegen der Parteilinie, für Tsipras
       stimmte.
       
       Auch der sozialdemokratische Abweichler Danellis wurde von seiner Partei
       ausgeschlossen, da er [4][Tsipras sein Vertrauen ausgesprochen hat].
       Immerhin galt das Vertrauensvotum auch als eine Art Generalprobe für die
       bevorstehende Abstimmung zu Mazedonien. Im Moment spricht einiges dafür,
       dass der Regierungschef die erforderliche Mehrheit in der Tat hinbekommt
       und den umstrittenen Kompromiss mit dem Nachbarland im Parlament
       durchbringt. Doch sicher ist das nicht.
       
       Um noch etwas Zeit zu gewinnen, will Tsipras voraussichtlich am Sonntag das
       komplette Abkommen der Öffentlichkeit präsentieren und eine nationale
       Debatte darüber anstoßen. Zudem ruft er den konservativen Oppositionsführer
       Konstantin Mitsotakis, der einen Kompromiss mit dem Nachbarland bisher
       ablehnt, zum politischen Schlagabtausch auf. Sollte Mitsotakis zusagen,
       wäre in Griechenland endgültig der Wahlkampf eröffnet.
       
       17 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Papadimitriou
       
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