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       # taz.de -- Merkels Rede auf dem Parteitag: Die perfekte Welle
       
       > Angela Merkel hält ihre letzte Rede nach 18 Jahren als CDU-Parteichefin.
       > Dabei wird es im Saal plötzlich viel wärmer.
       
   IMG Bild: „Zusammenführen. Zusammen führen“: Angela Merkels letzte Rede als Parteichefin
       
       Hamburg taz | Am Freitag um kurz nach halb elf Uhr am Vormittag erscheint
       Angela Merkel unvermittelt hinter dem Mikrofon. Gerade war es noch wuhlig
       im Saal der Hamburger Messe, jetzt wird es kurz still vor Überraschung.
       Keine Fanfaren, kein Gong hat die Vorsitzende angekündigt. Jetzt ist sie
       da. Merkel schaut lächelnd auf die tausend Delegierten herab. Es ist einer
       von mehreren besonderen Momenten, die sich an diesem 7. Dezember 2018
       [1][beim Parteitag der CDU] ereignen.
       
       Merkel steht nun da. Wer von den Delegierten schon saß, steht noch einmal
       auf; eine sehr warme, sehr sanfte Welle der Sympathie schwappt durch die
       Messehalle. Merkel schweigt und lächelt, fasst sich ins Haar. Lächelt.
       Alles schmeckt nach Abschied. Es ist ein Abschied im Guten. Aber es ist
       nicht gesagt, dass auch der Neubeginn gut funktioniert.
       
       An diesem Freitag verabschiedet sich Angela Merkel aus der Parteiführung.
       Es ist das Ende einer politischen Ära. Nach achtzehn Jahren hat Angela
       Merkel verkündet, beim Parteitag in Hamburg nicht noch einmal zu
       kandidieren. Aber nicht nur deshalb ist die Spannung so groß, das mediale
       Interesse derart riesig. Die Frage ist zum einen, auf welche Weise Angela
       Merkel ihrer Partei Adieu sagt, ob sie den Delegierten etwas mitgeben
       möchte. Vielleicht Rat oder auch Kritik. Zum anderen – und das ist für den
       Fortgang dieses Parteitags entscheidend -, ob sie offen zu erkennen gibt,
       wer nach ihrer Ansicht die Partei künftig führen sollte.
       
       Die Chancen auf Letzteres sind gering. Im Gegensatz zu anderen
       CDU-Schwergewichten, die ihre Präferenzen in den zurückliegenden Tagen zu
       erkennen gegeben haben, hat Merkel sich bei der Nachfolgefrage in
       Stillschweigen gehüllt. Beim Presseempfang am Donnerstagabend hatte die
       Noch-Vorsitzende gesagt, sie werde sich dazu sicher nicht äußern. Heute,
       bei der Eröffnung des Parteitags, sagt sie, sie wünsche sich, dass die CDU
       aus diesem Treffen „gut gerüstet, motiviert und geschlossen“ hervorgehen
       möge.
       
       [2][Zur Wahl stehen vor allem zwei KandidatInnen]: Friedrich Merz und
       Annegret Kramp-Karrenbauer. Der Sauerländer steht für die gute alte CDU,
       wie sie einmal war, mithin für das Versprechen, die von älteren
       Parteimitgliedern schmerzlich vermisste Ordnung wiederherzustellen. Die
       Saarländerin steht für Merkelsche Kontinuität. Beide Angebote sind
       attraktiv. Es ist kein Geheimnis, wen Merkel gerne als ihre Nachfolgerin
       sähe. Aber noch ist es nicht so weit.
       
       Erst einmal hält Angela Merkel ihre Abschiedsrede. Sie geht auf das Motto
       des Parteitags ein. „Zusammenführen. Zusammen führen.“ lautet es. Merkel
       erklärt, dass sie es selbst ausgesucht habe. So war es auch im Jahr 2000,
       da stand „Zur Sache“ an der Saalwand; es war die Zeit nach der
       CDU-Spendenaffäre, die Partei war gespalten, geschwächt und, auch daran
       erinnert Merkel, so gut wie pleite. Die neue Vorsitzende Merkel wollte mit
       den Delegierten zur Sache sprechen. „Typisch Merkel. Sache, knochentrocken.
       Doch es drückte exakt das aus, worum es damals ging. Es ging darum, uns auf
       unsere eigene Stärke zu besinnen“, sagt sie.
       
       ## Der Saal steht fast zehn Minuten Kopf
       
       Nun, achtzehn Jahre später, legt sie den tausend Delegierten fünf Fragen
       vor, die sie sich bei der Ausarbeitung ihrer Rede gestellt hat. Was hat uns
       zusammengeführt? Was verdanken wir einander? Was haben wir uns
       vorenthalten? Warum trennen sich jetzt unsere Wege? Und: Was wünschen wir
       einander?
       
       Es sind fünf Prüfsteine, die so oder so ähnlich auch in einer Paartherapie
       aufgestellt werden könnten. Dies hier ist der Moment des Loslassens. Man
       spürt in Merkels einstündiger Rede, wie ernst es ihr ist mit ihrer Partei.
       Wie sie sich in Beziehung setzt, Zweifel benennt, Lösungen herausstellt.
       Frage um Frage legt sie den Delegierten vor. Die Antworten sind manchmal
       lustig („Kanzlerin bin ich ja auch noch.“). Manchmal kritisch („Wir haben
       uns gegenseitig nicht geschont, uns etwas zugemutet.“). Schließlich, bei
       der Frage, was man einander wünsche, wird es gefühlig. „Die Zukunft wird
       uns alles abverlangen“, sagt die scheidende Vorsitzende. Dafür brauche die
       CDU nicht Missmut, Missgunst und Pessimismus, sondern „Fröhlichkeit im
       Herzen“. Es ist ein typischer Merkel-Satz, ehrlich und irgendwie aus der
       Zeit gefallen.
       
       Schließlich kommt: „Es war mir eine Freude. Es war mir eine Ehre.“
       
       Der Saal steht kopf. Fast zehn Minuten feiern die Delegierten Angela
       Merkel. „Danke, Chefin!“-Schilder werden in die Saalluft gereckt, ein
       Brandenburger Abgeordneter bricht in Tränen aus. Dies, das von sich selbst
       aufrichtig gerührt zu sein, ist der Kitt sämtlicher Parteien und ihrer
       Parteitage; bei der CDU ist es nicht anders. Angela Merkels Paradedisziplin
       ist es gleichwohl nicht. Aber dieser Tag markiert das Ende von achtzehn
       gemeinsamen Jahren.
       
       Die Wärme, die diese alte Partei mitunter zu geben in der Lage ist, lässt
       die Vorsitzende nicht kalt. Merkel versucht, ihre Rührung erst einmal zu
       ihrem Sitzplatz im Präsidium zu tragen. Aber der Applaus lässt nicht nach.
       Sie steht auf, geht nach vorn zum Bühnenrand, winkt in den Saal. Und ja,
       ihre Mundwinkel zittern, und ja, sie hat Tränen in den Augen. Sie haben es
       sich – gerade in den letzten Jahren – nicht leicht gemacht, die CDU und
       ihre Vorsitzende. Für heute ist das vergessen. Merkel lacht, winkt, bläst
       die Backen auf, versucht die Delegierten mit Handzeichen zum Hinsetzen zu
       bewegen. Vergeblich. Man habe auch noch was zu tun, sagt Merkel. Und dann
       wird es ruhig, der Parteitag geht weiter. Ohne Vorsitzende.
       
       7 Dec 2018
       
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   DIR Anja Maier
       
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