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       # taz.de -- Merz und Söder bei der Jungen Union: Deutschlandtag und Regierungskrise
       
       > Die JU feiert, wie die Bundesregierung wankt. Angesichts der Debatte um
       > Migration und Antisemitismus strotzen die Konservativen vor
       > Selbstbewusstsein.
       
   IMG Bild: Friedrich Merz beim Deutschlandtag der Jungen Union
       
       Braunschweig taz | Für Friedrich Merz ist es ausgemachte Sache. „Die CDU
       ist zurück, wir sind die stärkste politische Kraft“, sagt der Unionschef am
       Samstag in Braunschweig beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU). Die
       gesamte Halle applaudiert für Merz, und insgesamt sind die jungen
       Konservativen bei ihrem diesjährigen Bündnistreffen in Niedersachsen in
       Feierlaune: [1][Die gewonnenen Landtagswahlen in Bayern und Hesse]n führen
       zusammen mit der Dauerkrise der Bundesregierung zu einem gänzlich neuen
       Selbstbewusstsein bei der Union. Dabei ist es wieder Bayerns
       CSU-Ministerpräsident Markus Söder, der die Freude an diesem Wochenende mit
       einer ganz eigenen Agenda zu konterkarieren weiß.
       
       JU-Chef Johannes Winkel hat nach den Terrorangriffen der Hamas in Israel
       bei der Tagesordnung des Deutschlandtags umgeplant. Die Jugendorganisation
       verbuchte es als Zeichen ihrer eigenen Wirkungsmacht, dass Israels
       Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, ihrer Einladung nach Braunschweig
       folgte.
       
       Nachdem Prosor mit Merz unter den Klängen der israelischen Nationalhymne am
       Samstag in die Braunschweiger Volkswagen-Halle defilierte und bekannte, die
       jungen Konservativen hätten ihm einen Empfang wie der Pop-Queen Madonna
       bereitet, richtete er nachdenkliche Worte an die Delegierten. „Es ist eine
       Zeitenwende in unserer Geschichte“, sagte der Botschafter. „Besonders ihr
       als junge Deutsche sollt das verstehen. Wer diese grausamen Taten verübt,
       verachtet die Menschenwürde, nicht nur in Israel“, so Prosor mit Blick auf
       die Hamas.
       
       ## Winkel und Scholz' Abschiebe-Forderungen
       
       Der JU-Chef selbst eröffnete den Deutschlandtag mit einer Schweigeminute
       für Israel und sagte, es sei an der Zeit, dass die Deutschen ein
       historisches Versprechen einlösten. „Dieses Versprechen heißt: nie wieder.“
       Lang anhaltender Applaus für Winkel.
       
       Der 31-jährige JU-Chef gilt als skeptisch gegenüber CDU-Chef Merz, ist
       dabei interessanterweise jedoch selber nicht minder konservativ. Für die
       Jugendorganisationen von CDU und CSU ist es dabei an diesem Wochenende
       geradezu seine Selbstverständlichkeit, das Thema Migration aus jedem Winkel
       unter den Hammer zu nehmen. Dabei sieht sich die JU auf der Gewinnerseite.
       „Es ist natürlich wirklich beachtlich, wie der politische Wind sich in
       Deutschland dreht bei diesem Thema“, sagt Winkel. Das
       „Wir-haben-es-euch-schon-immer -gesagt“, verkneift sich der JU-Chef an
       dieser Stelle. Doch das Lächeln ist ihm ins Gesicht geschrieben.
       
       Kurz vor Beginn des Treffens in Braunschweig war ein Interview mit dem
       Bundeskanzler im Spiegel erschienen, in dem Olaf Scholz (SPD) forderte,
       [2][in „großem Stil abzuschieben“.] Bei der zeitgleich zum Treffen der JU
       stattfindenden Konferenz der Grünen Jugend in Leipzig wurden die Aussagen
       des Kanzlers [3][kurzerhand als zum „Kotzen“ befunden.] Die JU dagegen
       wertete die Einlassungen Scholz' dagegen als reines Lippenbekenntnis, diese
       kämen dazu noch reichlich spät. Einmal mehr wird klar, dass die Apologeten
       schwarz-grüner Bündnisse ihre Rechnung immer wieder ohne die
       Jugendorganisationen beider Parteien machen.
       
       Winkel bekannte sich zum Auftakt des Deutschlandtags zu den Vorschlägen des
       Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Unionsfraktion im Bundestag,
       Thorsten Frei, [4][das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen und durch
       Kontingente zu ersetzen.] „Ich fand das sowohl sprachlich als auch
       inhaltlich exzellent“, sagte er zu dem Vorstoß Freis von diesem Juli. „Ich
       glaube, dass wir da eine neue Debatte brauchen“, so der JU-Chef.
       
       Winkel machte seinem Ruf als Impulsgeber für die Union alle Ehre. In einer
       nachdenklichen Eröffnungsrede führte er an, dass sich die Welt in einem
       Wandel befinde, wie zuletzt 1968. „Nur, dass das Pendel in die andere
       Richtung schlägt.“ Bei linken Kräften würden derzeit ganze Weltbilder
       zusammenbrechen. „Das ganze erträumte Wirtschaftsmodell ist kolossal
       gescheitert. Die politische Linke erlebt einen Realitätsschock nach dem
       anderen.“ Dann erklärt er: „Allen denen, die die Union grün anstreichen
       wollten, sage ich heute, die Jugend tickt nicht links, die Jugend wählt
       konservativ.“
       
       ## Carsten Linnemann ist der Star
       
       Die Organisatoren des Deutschlandtags bekennen dabei stolz, dass sie auf
       ihre Einladungen an die Spitzen von CDU und CSU keine Absagen erhalten
       haben. Alle laufen an diesem Wochenende auf: Merz, Söder, EVP-Chef Manfred
       Weber, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Und einer, der mehr
       ist als nur ein heimlicher Star bei den Jungkonservativen: Der neue
       CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wird am späten Freitagabend mit
       frenetischem Applaus, elektronischer Musik und einer Lichtshow begrüßt.
       
       „An dem Tag, Carsten, als du zum Generalsekretär ernannt worden bist, da
       war ein riesiger Jubel in allen JU-WhatsApp-Gruppen“, sagt Winkel zu
       Linnemanns Begrüßung. Der Generalsekretär weiß das Kompliment
       zurückzugeben, erst persönlich, dann politisch: Er begehe zum Treffen der
       Jungen Union seinen hundertsten Tag im Amt des Generalsekretärs. Gleich
       darauf stellt er die unter Beweis, die Jobbeschreibung als Scharfmacher von
       der Seitenlinie, der immer auch um die Konjunktur alter Vorschläge weiß,
       verstanden zu haben. Manche hätten in der Vergangenheit von deutscher
       „Leitkultur“ gesprochen, so Linnemann. Er bevorzuge den Begriff der
       „Zugehörigkeitskultur“. Applaus im Saal.
       
       Dann kommt der Generalsekretär auch auf ein Thema zu sprechen, das bei der
       Jungen Union in Zusammenhang mit Migration an diesem Wochenende besonders
       häufig genannt wird: „Jeder muss wissen, wer das Existenzrecht Israels
       leugnet, hat sein Aufenthaltsrecht verwirkt.“ Linnemann geht weiter. „Oder
       besser noch: Er darf gar nicht erst ins Land kommen.“ Tosender Applaus bei
       der Jungen Union.
       
       Vor Beginn der Konferenz in Braunschweig hatte CSU-Chef Markus Söder eine
       Forderung aufgestellt, die in den Reihen der Union für einige Irritation
       gesorgt haben dürfte. „Wir brauchen eine neue Regierung. Die Union ist
       bereit, Verantwortung zu übernehmen“, hatte der Bayerische
       Ministerpräsident am Freitag gesagt. Linnemann übernahm Söders Forderung
       nach einer Juniorpartnerschaft neben der SPD anstelle der Koalition mit
       Grünen und FDP zwar nicht, schloss sich aber dessen Wortwahl an, als er in
       Braunschweig verkündete: „Söder hat Recht, wenn er sagt, die Ampel ist
       stehend K.O.“
       
       Die Parteichefs von CDU und CSU vergnügten sich anstelle der Überlegungen
       um einen möglichen Regierungseintritt lieber in ihrer Süffisanz über den
       Zustand der Bundesregierung. Auch JU-Chef Winkel betonte mit Blick auf
       einen zeitgleich in Berlin stattfindenden Koalitionsausschuss, bei dem
       Scholz wohl versuchte, Geschlossenheit in den eigenen Reihen herzustellen,
       mehrfach: „Die Ampel trifft sich zur Krisensitzung in Berlin, und die ganze
       Union kommt zum Deutschlandtag der Jungen Union.“
       
       ## Söder lässt den Unsicherheits-Faktor durchschimmern
       
       CDU-Chef Merz sagte am Samstag, es sei Halbzeit für die Bundesregierung.
       „Wir haben noch zwei Jahre vor uns, möglicherweise sogar mit dieser Ampel.“
       Er wolle dennoch das Migrationsthema so schnell wie möglich angehen und
       biete der Bundesregierung weiter die Hilfe der Union für Verschärfungen in
       der Gesetzgebung an. „Vielleicht reicht sogar ein Spiegel-Interview des
       Bundeskanzlers aus, um zu zeigen, dass das jetzt dringend notwendig ist.“
       
       Merz sprach dabei zu Beginn seiner Rede beim Deutschlandtag mit
       tränenerstickter Stimme, [5][als er von seinem Besuch eines jüdischen
       Gymnasiums in Berlin am Vortag berichtete.] Der Parteichef ist sichtlich
       gerührt von dem Treffen mit den Abiturient*innen, die ihm von ihrer Angst
       berichtetet haben, mit der sie sich in Deutschland auf der Straße bewegten.
       Mit Tränen in den Augen richtet Merz einen Appell an die Junge Union: „Geht
       auf die Menschen zu, geht auf die Gemeinden zu.“ Nur so lasse sich die
       Isolierung brechen. „Damit sie in diesem Land leben können, ohne Angst.“
       
       Markus Söder, spricht nach einer Mittagspause mit ausreichend
       Sicherheitsabstand auf den CDU-Chef, so bleibt zumindest der Schlagabtausch
       zwischen den Unions-Alphas auf der Bühne aus. Der CSU-Chef schlägt
       jovialere Töne an – wie könnte es auch anders sein. Nach den ausgebliebenen
       Bierzeltreden im bayrischen Wahlkampfzeit, scheint sich beim CSU-Chef
       einiges angestaut zu haben. Bei der Jungen Union gehen seine Kalauer runter
       wie das Konterbier am Samstagnachmittag, nach der Party vom Vorabend.
       
       Dabei nimmt er, auch das eine Reminiszenz aus dem bayrischen Wahlkampf, die
       Grünen ins Visier. „Wir haben einen Klimaminister. Wir haben einen
       Philosophieminister. Wir haben aber keinen Wirtschaftsminister“, sagt er
       mit Blick auf Robert Habeck. „Scholz muss die Minister der Grünen
       eigentlich sofort entlassen“, ruft Söder und der Saal johlt.
       
       Was die Konsequenz daraus wäre, darauf geht der CSU-Chef nicht ein. Für
       eine eigene mögliche Kanzlerkandidatur gibt er sich wieder mal
       geheimnisvoll: „Wir sind als Union auf dem Weg nach vorne, aber wir dürfen
       uns nicht täuschen, es wird nicht leicht.“ Und: „Auch für uns werden
       schwere Entscheidungen zu treffen sein. Es zählt dann, dass wir
       zusammenhalten.“
       
       Zur Halbzeit der Bundesregierung scheint dieser Zusammenhalt zwischen CDU
       und CSU tatsächlich so stark wie lange nicht mehr. Doch wie es um die
       Einigkeit bestellt wäre, schaffte es die Bundesregierung zu dieser Halbzeit
       nicht mehr, sich zusammenzuraffen, steht auf einem gänzlich anderen Blatt.
       
       21 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /CDU-und-CSU-gewinnen-die-Landtagwahlen/!5962336
   DIR [2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-ueber-migration-es-kommen-zu-viele-a-2d86d2ac-e55a-4b8f-9766-c7060c2dc38a
   DIR [3] /Gruene-Kritik-an-Aussagen-von-Scholz/!5967782
   DIR [4] /Asylrecht-des-Einzelnen-infrage-gestellt/!5948426
   DIR [5] /Nach-antisemitischen-Vorfaellen-in-Berlin/!5967749
       
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