# taz.de -- Mini-Atomkraftwerke in der Kritik: „Fantastereien“ der Atomlobby
> Die EU-Kommission sieht in Atomkraft die Energieform der Zukunft. Eine
> neue Studie im Auftrag der Bundesregierung warnt hingegen vor neuen
> Reaktoren.
IMG Bild: Aktivist seilt sich bei der einer Aktion in Brüssel während des Atomenergie-Gipfels ab
Berlin taz | Ursula von der Leyen setzt auf den Ausbau der Atomkraft. Sie
könne eine wichtige Rolle bei der Umstellung auf saubere Energie spielen,
sagte die EU-Kommissionspräsidentin am Donnerstag beim „Nuclear Energy
Summit“ in Brüssel. An dem Treffen, zu dem die Internationale
Atomenergiebehörde IAEO und die belgische EU-Ratspräsidentschaft eingeladen
hatten, beteiligten sich hochrangige Vertreter aus rund 35 Staaten.
Speziell warb von der Leyen für den Bau von [1][Kleinen Modularen
Reaktoren] („Small Modular Reactors“, SMR) als eine vielversprechende
technische Neuerung. „Es gibt schon [2][mehr als 80 Projekte weltweit], und
einige unserer Mitgliedstaaten haben ein starkes Interesse an diesen
Reaktoren bekundet“, behauptete sie.
SMR sind kleine AKW mit einer elektrischen Leistungen von etwa 15 bis
höchstens 300 Megawatt – die gängigen Leichtwasserreaktoren leisten
hingegen 1.300 oder sogar 1.600 Megawatt. Ihre [3][Befürworter] werben
damit, dass SMR gewissermaßen als Reaktoren von der Stange in einer Fabrik
vorgefertigt, anschließend an den Montageort gebracht und dort
zusammengesetzt werden könnten.
Sie seien weniger störungsanfällig, erzeugten weniger Atommüll und seien
viel billiger als herkömmliche Atomkraftwerke, bei denen die Baukosten –
aktuell etwa in [4][Frankreich] oder Großbritannien zu beobachten – immer
mehr in die Höhe schießen.
## Markteinführung aktuell nicht absehbar
Zeitgleich zu von der Leyens Werberede stellte das Bundesamt für die
Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in Berlin eine [5][neue
wissenschaftliche Studie] vor, die zu einer äußerst kritischen Bewertung
von SMR kommt. Eine Markteinführung der neuen Reaktortypen sei aktuell gar
nicht absehbar, sagte der neue BASE-Präsident Christian Kühn: „Trotz teils
intensiver Werbung von Herstellern sehen wir derzeit keine Entwicklung, die
den Bau von alternativen Reaktortypen in den kommenden Jahren in großem
Maßstab wahrscheinlich macht.“
Im Gegenteil sei zu erwarten, „dass aus sicherheitstechnischer Sicht die
möglichen Vorteile dieser Reaktorkonzepte von Nachteilen und den nach wie
vor ungeklärten Fragen überwogen werden“, so Kühn. Die Konzepte lösten
„weder die Notwendigkeit, ein Endlager für die radioaktiven Abfälle zu
finden noch die drängenden Fragen des Klimaschutzes.“
Die alternativen Reaktorkonzepte, neben SMR etwa auch Modelle von blei- und
gasgekühlten Reaktoren oder Salzschmelzereaktoren, werden Kühn zufolge
häufig mit der Hoffnung verknüpft, dass Sicherheitsrisiken und
Entsorgungsprobleme vermindert oder gar gelöst werden könnten.
Um das zu überprüfen, hatte das BASE bereits 2021 das Öko-Institut, die
Technische Universität Berlin und das Physikerbüro Bremen mit der Studie
beauftragt. Das Ergebnis ist ein rund 600 Seiten umfassendes Konvolut mit
dem Titel „Analyse und Bewertung des Entwicklungsstands, der Sicherheit und
des regulatorischen Rahmens für sogenannte neuartige Reaktorkonzepte“.
## Vorteile bei keiner Technologie
Die Autoren verglichen Reaktorkonzepte mit Blick auf ihre Sicherheit,
Wirtschaftlichkeit oder den Brennstoffverbrauch. Einzelne Technologielinien
könnten – bei konsequenter Auslegung – in einzelnen der Kriterien zwar
potenzielle Vorteile gegenüber heutigen Leichtwasserreaktoren erzielen,
sagte Christoph Pistner vom Öko-Institut. „Aber für keine der
Technologielinien ist in allen Bereichen ein Vorteil zu erwarten, in
einzelnen Bereichen sind auch Nachteile gegenüber heutigen
Leichtwasserreaktoren möglich.“ „Wer heute Euphorien in Verbindung mit
alternativen Reaktorkonzepten weckt, blendet offene Fragen und
Sicherheitsrisiken aus“, bilanzierte BASE-Chef Kühn.
Im Hinblick auf die Sicherheit der nuklearen Entsorgung bleibe
festzuhalten, „dass kein alternativer Reaktortyp den Bau eines Endlagers
überflüssig macht“.
In Brüssel protestierte derweil ein internationales Bündnis aus Umwelt-,
Klimaschutz- und Friedensaktivist:innen in der Nähe des Atomiums. In
einer von mehr als 500 Umwelt-, Klimaschutz-, Friedens-, und
Menschenrechts-Organisationen aus rund 50 Ländern unterzeichneten Erklärung
werden die Regierungen weltweit aufgefordert, im Kampf gegen die Klimakrise
wertvolle Zeit und Geld nicht mit den „Fantastereien“ der internationalen
Atomlobby zu verschwenden.
Stattdessen müsse mit dem Übergang zu einem System auf Basis von 100
Prozent erneuerbaren Energien in eine „sichere, bezahlbare und
klimafreundliche Energie für alle“ investiert werden.
21 Mar 2024
## LINKS
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DIR [4] /Atomkraft-in-Frankreich/!5808214
DIR [5] https://www.base.bund.de/DE/themen/kt/kta-deutschland/neuartige-reaktorkonzepte/alternative-reaktorkonzepte-gutachten.html
## AUTOREN
DIR Reimar Paul
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