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       # taz.de -- Minimal-Music-Festival in Hamburg: Alles ist erleuchtet
       
       > Drei Tage „Maximal Minimal“ in der Hamburger Elbphilharmonie: Mit Steve
       > Reich war einer der großen alten Männer der Minimal Music dabei, und für
       > Terry Rileys „In C“ stürmten Hunderte Laien die Konzerthausbühne.
       
   IMG Bild: So wichtig wie Wagner: Der Komponist Steve Reich (r.) führt selbst sein Stück „Clapping Musik“ auf
       
       Hamburg taz | [1][Jetzt stand es sogar in der Washington Post]: „A house
       for everybody“ sei die Elbphilharmonie, zitierte das
       Irgendwann-mal-Leitmedium der westlichen Welt am Montag den Architekten
       Ascan Mergenthaler. Wohlgemerkt: Der Mann ist Teilhaber genau des Büros,
       von dem das Konzerthaus entworfen wurde. Von einem Haus für alle also ist
       die Rede, ganz so, wie es die Bauzeit-Jahre hindurch jeweils zuständige
       Hamburger Politiker auch so gerne im Munde führten. Nur dass der Autor des
       erwähnten WP-Artikels, der Pulitzerpreisträger Philip Winnicott, eher nicht
       aus Standortsicherungsgründen zu so was kommt.
       
       ## Laien auf der Bühne
       
       Man kann es ironisch finden, dass das gern zur Floskel verkommene
       Textbausteinchen beinahe gleichzeitig neue Nahrung erhielt. Im Rahmen des
       Festivals „Maximal Minimal“ kam am vergangenen Samstag mit Terry Rileys
       Stück „In C“ eines der Hauptwerke der US-amerikanischen Minimal Music zur
       Aufführung, und man hatte sich eine ganz besondere Form einfallen lassen:
       Hamburger Laien und -Ensembles waren zur Mitwirkung eingeladen worden, von
       Schulensembles und -orchestern bis hin zum Akkordeon-Ensemble der
       Staatlichen Jugendmusikschule. Am Ende wirkten rund 500 Musikerinnen und
       Musiker mit, deutlich mehr, als auf der Bühne Platz fanden.
       
       Das sei „minimale Musik in maximaler Besetzung“, schickte es Duncan Ward
       der Aufführung voraus. Dem Briten bereitete die Aufgabe, vom Pult aus all
       die Bands, Gruppen und Formationen, tja, zu dirigieren, sichtlich Spaß –
       und auch er wies darauf hin, dass da doch die Hamburger von „ihrem“
       Konzerthaus Besitz ergriffen hätten. Ach ja: Musikalisch wurde es dann
       absolut kein gut gemeinter Murks, wie er vorstellbar gewesen wäre. Nein,
       dieser Versuch in demokratischer Musik, er war ein Erfolg.
       
       ## Stargast aus New York
       
       Die ersten beiden Tage des kleinen Festivals standen im Zeichen des
       Stargasts: Stolze acht Stücke des New Yorker Komponisten Steve Reich wurden
       gespielt, und der 80-Jährige war selbst nach Hamburg gekommen. Am
       Freitagabend, vor der Aufführung seiner famosen „Music für 18 Musicians“,
       führte Reich mit Colin Currie, dessen Ensemble auf derlei Musik
       spezialisiert ist, sein Stück „Clapping Music“ au – und damit eigentlich
       auch die elementaren Zutat seinen Schaffens vor: das
       Gegeneinander-Verschieben von für sich genommen überschaubaren
       musikalischen Einheiten.
       
       Eine große Besetzung und eine Musik, die so arg minimal gar nicht klingt:
       Weniger spektakulär als bei „In C“ (1964), gilt das auch für das zwölf
       Jahre später fertig gestellte „Music for 18 Musicians“, auch so ein
       kanonisiertes Hauptwerk dieser Verästelung der Neuen Musik. Da tauschen die
       erwähnten anderthalb Dutzend Musiker munter die Plätze an den Instrumenten;
       die kommen und gehen, ihre Stimmen werden also lauter und leiser, da will
       nichts auf die Dissonanz hinaus, den vermeintlich ehrlichen Missklang. Wer
       an dieser Musik, mit der das maximal präzise Ensemble den Großen Saal zum
       Leuchten brachte, die Schönheit nicht erkennen kann, der hat vielleicht
       auch Johann Sebastian Bach immer nur durchgestanden, weil man das halt so
       macht.
       
       ## So einflussreich wie Wagner
       
       Es ist viel dran an dem Hinweis, das Reichs Methoden ihre Spuren gerade
       auch in der elektronischen Tanzmusik hinterlassen haben: Ganz zu Recht
       zitiert das Programmheft den New Yorker Kritiker Alex Ross, wonach „seit
       Wagner kein Komponist mehr so weite Teile der Außenwelt beeinflusst“ habe –
       ob die „das nun weiß oder nicht“. o lange es die Minimal Music gibt, also
       grob gesagt seit den 1960er-Jahren, so lange erklingen aber auch Stimmen,
       die sie für redundant erklären, ihr zur Last legen, es handele sich doch
       nur um Wiederholung, um Weg ohne Ziel – Avantgarde könne das also niemals
       sein.
       
       Sogar Quasi-Faschismus mussten sich ihre Protagonisten schon vorwerfen
       lassen; von besonderer Delikatesse ist das natürlich im Fall des Juden
       Steve Reich. Dessen „Piano Phase“ sorgte vor gar nicht so langer Zeit erst
       wieder für wütende Reaktionen beim – Kölner – Publikum. In Hamburg nun
       blieben die Buh!-Rufe aus, und dass mal mehr, mal weniger Zuhörer die
       Flucht ergriffen: Es scheint in diesem Haus bis auf weiteres einfach dazu
       zu gehören.
       
       Wem die Minimal Music nun gerade nicht zu wenig vorneweg ist, sondern allzu
       sehr, der konnte am Samstagnachmittag durchatmen: Da spielte der
       Traumschwiegersohn und Pianist Víkingur Ólafsson eine Auswahl von Stücken
       von Philip Glass, des dritten der Großen Minimalisten. Da dröhnt dann
       nichts oder läuft auseinander, da geht es mehr ums Weglassen von Elementen,
       aber eher subtil inmitten all des Wohlklangs aufgefächerter Akkorde. Und
       als der adrette Isländer als zweite Zugabe dann auch noch Jean-Philippe
       Rameaus „Le Rappel des Oiseaux“ spielte, also eine etwas mechanische
       Fingerfertigkeit forderndes frühes 18. Jahrhundert – hach, da war die
       Hanseatenwelt, wie sie sein will.
       
       Verdienstvoll: Das Festival bot neben der Würdigung der Großen,
       insbesondere Reichs, der allerlei Autogramme geben und Selfie-Ambitionen
       des Publikums zu erdulden hatte, auch Ausblicke in zwei Richtungen: Zum
       Abschluss gab die Agoo Group traditionelle ghanaische Trommelmusik, wie sie
       auch Reich vor Jahrzehnten mal studiert hatte – und für wichtiger befunden
       als die zeitgenössische (europäische) E-Musik. Und schon am ersten Abend
       deutete ein Programm mit Musik für elektrische Gitarre – auch von Reich,
       aber nicht nur – zumindest an, wie folgenreich dieser musikalische
       Minimalismus eben nicht zuletzt in der Pop-, der Rockmusik wurde. Velvet
       Underground auftreten zu lassen, das geht ja heute leider nicht mehr, und
       ebnso wenig Sonic Youth.
       
       17 May 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.washingtonpost.com/classic-apps/a-new-concert-hall-in-hamburg-could-revive-the-bilbao-effect/2017/05/01/dbf19c82-1579-11e7-ada0-1489b735b3a3_story.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
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