# taz.de -- Minister Özdemir bietet Kompromiss an: Weniger Werbeverbote, mehr Kritik
> Ernährungsminister Özdemir will nun Reklame für ungesundes Essen zu
> kürzeren Zeiten und an weniger Orten als geplant verbieten. Mediziner
> rügen das.
IMG Bild: An Kitas und Schulen sollen Plakate für Süßigkeiten laut Kompromissvorschlag abgerissen werden
Berlin taz | Bundesernährungsminister Cem Özdemir stößt mit seinem
Kompromissangebot zu den von ihm geplanten [1][Werbeverboten für ungesunde
Lebensmittel] auf Kritik. „Das sind Zugeständnisse, die die Effektivität
dieser Regelung verringern. Das ist nicht so weitgehend und nicht so gut
für die Kindergesundheit, wie die ursprünglichen Pläne des
Bundesernährungsministers das eigentlich vorgesehen haben“, sagte Oliver
Huizinga, politischer Geschäftsführer der Deutschen
Adipositas-Gesellschaft, am Montag der taz. Mit Werbeverboten will Özdemir
unter 14-Jährige davor schützen, zu einer ungesunden Ernährung verleitet zu
werden, die zu Übergewicht und damit verbundenen Krankheiten beiträgt.
Der Grünen-Politiker hatte am Samstag angekündigt, seinen Gesetzentwurf
aufzuweichen. „Die Werbeeinschränkung für ungesunde Lebensmittel soll
wochentags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und
sonntags von 8 bis 22 Uhr gelten. Im ersten Entwurf war 6 bis 23 Uhr an
allen Tagen vorgesehen. Im Hörfunk verzichten wir auf eine
Sendezeit-Regelung“, sagte Özdemir der [2][Rheinischen Post].
Beim Plakatverbot im Umkreis von 100 Metern von Plätzen, an denen Kinder
sich aufhalten, wolle er sich konzentrieren auf Kindertagesstätten (Kitas)
und Schulen. Vorher war auch von Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen die
Rede, in deren Umkreis nicht für Lebensmittel mit mehr Zucker, Fett und
Salz als im Gesetz erlaubt geworben werden soll.
Özdemir ergänzte: „Und wir stellen klar, dass es kein Verbot von Werbung
für Lebensmittel in Schaufenstern gibt. Zudem weiten wir die bereits
vorhandene Ausnahme von Milch und Fruchtsäften auf Joghurt aus, der nicht
extra gesüßt ist“. Das bedeutet, dass für Naturjoghurt auch weiterhin zum
Beispiel im Micky Maus-Magazin geworben werden dürfte.
## „Zugeständnisse an die FDP“
„Je weniger Werbung für ungesunde zuckerige, fettige, salzige Produkte die
Kinder erreicht, desto besser ist der Schutz“, sagte Huizinga von der
Adipositas-Gesellschaft, die Wissenschaftler, Therapeuten und andere
Experten für das Krankheitsbild organisiert. Mit seinem Kompromissvorschlag
nehme Özdemir in Kauf, dass der Kinderschutz geschwächt werde. „Das sind
offenkundig Zugeständnisse an die FDP, die das ganze Vorhaben blockiert.“
Özdemir hatte seinen Referentenentwurf im März den anderen
Bundesministerien vorgelegt. Doch bisher konnte er sich nicht mit den von
der FDP geleiteten Ressorts einigen. Das Vorhaben wird massiv bekämpft von
der Lebensmittel- und der Werbewirtschaft sowie der Bild-Zeitung und
rechtsradikalen Medien.
Stärker dürfe der Entwurf nicht entschärft werden, verlangte Huizinga. Wenn
die FDP dennoch auf weitere Abstriche poche, stelle sich „die liberale
Partei gegen die Chancengerechtigkeit und die Kindergesundheit“. „Sie hat
mit dieser Haltung die Eltern, die Ärzteschaft,
medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften und Krankenkassen gegen
sich.“ Huizinga warf der FDP einen „falsch verstandenen Freiheitsbegriff“
vor.
Der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit, Berthold Koletzko, hatte
bereits kritisiert, dass Plakatwerbung etwa für Süßigkeiten in der Nähe von
Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen weiterhin erlaubt wäre. Auch mit den
gekürzten Verbotszeiten für Fernsehwerbung zeigte er sich den RND-Zeitungen
zufolge unzufrieden: „Wenn man Kinder und ihre Gesundheit wirkungsvoll
schützen will, sollten die Zeiten von 6.00 bis 23.00 Uhr wochentags und am
Wochenende eingeschlossen werden.“
## Mal wieder Ampel-Clinch
Die FDP ist aber auch mit Özdemirs Kompromissangebot nicht einverstanden.
„Ich halte die von Cem Özdemir nun vorgelegten und erneuerten Pläne
weiterhin für falsch“, sagte Wolfgang Kubicki, Vize-Vorsitzender der
Partei, der Rheinischen Post vom Montag. „Denn ob das Werbeverbot helfen
wird, das eigentliche Gesundheitsproblem, nämlich den Bewegungsmangel der
Kinder, zu beheben, wird auch der Ernährungsminister nicht behaupten“, so
Kubicki. „Das Werbeverbot zielt ja darauf ab, die Kinder als die
Verantwortlichen ihrer schlechten Ernährung zu sehen. Das ist aber in den
seltensten Fällen richtig. In erster Linie werden die Kinder durch ihr
Elternhaus geprägt. Ein Werbeverbot für Kinder läuft völlig ins Leere und
ist deshalb nichts anderes als politischer Aktionismus“, ergänzte der
Bundestagsvizepräsident.
Damit scheint Kubicki jedoch hinter den [3][Koalitionsvertrag] der
Ampelparteien zurückzufallen. Darin haben sie vereinbart: „An Kinder
gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt
darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht
mehr geben.“
Fehlernährung trägt dazu bei, dass laut Robert-Koch-Institut 15 Prozent der
3- bis 17-Jährigen übergewichtig und damit später anfällig für Krankheiten
wie Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes oder Herzinfarkt sind. Özdemirs
Gesetzentwurf sieht deshalb Werbeverbote beispielsweise für alle
Süßigkeiten vor. (mit epd)
26 Jun 2023
## LINKS
DIR [1] /Oezdemir-plant-kein-Werbeverbot-fuer-Milch/!5919718
DIR [2] https://rp-online.de/politik/deutschland/interview-mit-cem-oezdemir-so-weit-wurde-das-werbeverbot-veraendert_aid-92583471
DIR [3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800
## AUTOREN
DIR Jost Maurin
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