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       # taz.de -- Missbrauch in der katholischen Kirche: Der Herr vertröste dich
       
       > Teilnehmerinnen einer Tagung zu Gewalt gegen Frauen in der Kirche
       > sprechen von einem „historischen Moment“. Die Bischöfe spielen weiter auf
       > Zeit.
       
   IMG Bild: Ein Bischof beim Gebet
       
       Siegburg/Berlin taz | Eine Tagung über Gewalt an Frauen in Kirche und
       Orden, an der keine Männer teilnehmen dürfen – Ende September dieses Jahres
       traute sich das tatsächlich die Deutsche Bischofskonferenz (DBK). 125
       Frauen kamen am 27. und 28. September nach Siegburg nahe Bonn, unter ihnen
       viele, die selbst Betroffene von sexualisierter Gewalt und anderen Formen
       von Missbrauch in der Kirche geworden sind. Die Stimmung war schon fast
       revolutionär, oft war davon die Rede, dass diese Tagung einen historischen
       Moment darstelle.
       
       Acht Wochen später, am 23. November, veröffentlicht die Bischofskonferenz
       eine Pressemitteilung zum Thema, in der von dieser Aufbruchstimmung dann
       nicht mehr allzu viel zu spüren ist. Zwar enthält sie Stellungnahmen von
       drei Bischöfen, in denen sie die Kirche dazu aufrufen, sich dem Thema
       Missbrauch von erwachsenen Frauen (und Männern) innerhalb kirchlicher
       Strukturen mehr zuzuwenden.
       
       Diesem Appell kommt die DBK selbst dann aber nicht nach. Denn ob und welche
       konkreten Handlungsschritte die Bischofskonferenz nun tun wird, bleibt
       unklar – die Sache wird wieder einmal weiter nach hinten verschoben: Ein
       „‚Wort der deutschen Bischöfe‘, das im Herbst 2020 erscheinen soll“, wird
       angekündigt, das dann Kriterien enthalten soll, wie Erwachsene konkret in
       der kirchlichen Seelsorge vor Missbrauch geschützt werden können.
       
       Alle anderen Maßnahmen, die in der Pressemitteilung aufgeführt werden, sind
       keine Schritte der Bischofskonferenz selbst, sondern wurden angeregt von
       Teilnehmerinnen der Fachtagung und deren Organisationen selbst. Dass etwa
       im Jahr 2020 ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Pastoraltheologie an
       der Uni Regensburg starten soll, hatte die Professorin des Lehrstuhls, Ute
       Leimgruber, bereits auf der Frauentagung im September angekündigt.
       
       ## Materialien für die Predigt
       
       Für Oktober 2020 verspricht Katharina Kluitmann, Vorsitzende der Deutschen
       Ordensobernkonferenz (DOK), dann eine weitere Studientagung zum Thema
       „Missbrauch und Gelübde“. Und die katholische Frauengemeinschaft
       Deutschland (kfd) hat auf ihrer Homepage Materialien zur Verfügung
       gestellt, mit denen man strukturelle Gewalt und Ausgrenzung, die Frauen in
       der Kirche erfahren, in Gottesdiensten thematisieren kann.
       
       Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) schließlich lädt zur Beteiligung
       an einem Buchprojekt ein, in dem von Gewalt betroffene Frauen zu Wort
       kommen. Der Frauenbund KDFB und die Frauengemeinschaft kfd plädierten am
       22. November in einer eigenen Pressemeldung zusammen mit dem Sozialdienst
       Katholischer Frauen [1][für die Einrichtung einer Kontaktstelle seitens der
       Deutschen Bischofskonferenz als eine erste mögliche Handlung.] Auch diese
       Forderung war bereits auf der Tagung aufgestellt worden.
       
       Die gut hundert Frauen aus ganz Deutschland, die im September auf dem
       Michaelsberg in Siegburg zusammenkamen, waren von Mitte 20 bis ins
       Rentenalter, Frauen aus Ordensgemeinschaften, manche von ihnen in Habit –
       der entsprechenden Ordensbekleidung –, Theologinnen, Mitglieder von
       katholischen Frauenverbänden, angestellte Frauen der katholischen Kirche,
       Aktivistinnen der [2][Protestaktion Maria 2.0]. Und eben Frauen, die
       innerhalb kirchlicher Gemeinschaften, Orden oder Strukturen Missbrauch
       erlebt haben. Um sie sollte es gehen und um ihre Erfahrungen, ihre Wünsche,
       Bedürfnisse und Forderungen. Sie sollten eine Stimme bekommen und daraufhin
       sollte entsprechend gehandelt werden. „Die Tagung versteht sich als Teil
       eines Prozesses, in dem Raum für Erfahrungen, Zeugnisse und Expertisen
       eröffnet und erste Perspektiven für Aufarbeitung, Ahndung und Prävention
       entwickelt werden sollen“, hieß es im Vorfeld.
       
       [3][Doris Reisinger], die während ihrer Mitgliedschaft in einer
       katholischen Gemeinschaft vor über zehn Jahren selbst Missbrauch erfahren
       hat, äußerte sich im Gespräch mit der taz enttäuscht, aber nicht überrascht
       von der jetzt veröffentlichten Position der DBK: „Bei einer Nachbesprechung
       der Tagung wurde schon deutlich, dass die Bischofskonferenz zum Beispiel
       die Kontaktstelle für betroffene Frauen nicht einrichten wird.“
       
       ## „Ich fühle mich so müde“
       
       Auf Twitter schrieb Reisinger: „Wie schade. Anstatt schnell, konkret und
       weitreichend zu handeln, lässt sich die DBK lieber in gewohnter Manier ein
       kleinstes verbales Zugeständnis nach dem anderen mühsam und nur mit
       öffentlichem Druck abringen. Danach jedenfalls sieht das aus. Fühle mich
       gerade so müde …“
       
       Diese Müdigkeit ist deprimierend nach der Aufbruchstimmung, die auf der
       Tagung so deutlich zu spüren war – und zu der Reisinger auch selbst mit
       inhaltlich starken Impulsreferaten ([4][pdf]) beigetragen hatte. Darin ging
       sie etwa darauf ein, dass nach wie vor keine fundierten Zahlen vorliegen,
       wie viele betroffene Frauen es überhaupt gibt, weil bislang keine erhoben
       wurden – was ein Forschungsprojekt wie das von Ute Leimgruber unbedingt
       notwendig macht.
       
       Einige der Frauen haben in Siegburg zum ersten Mal über ihre eigenen
       Missbrauchserfahrungen gesprochen – entweder vor allen Anwesenden am
       Mikrofon, in kleinen Gruppen oder in persönlichen Gesprächen am Rande des
       Tagungsprogramms. Dabei wurde deutlich, dass diese Frauen sich bislang
       hilflos, verzweifelt und alleingelassen gefühlt haben.
       
       Direkt vor Ort fanden sie Verständnis, Solidarität und auch Hilfe bei der
       eigenen Aufarbeitung des Erlebten durch die anwesenden Seelsorgerinnen –
       einen solchen Vorgang mitzuerleben, wie sich Frauen als Betroffene von
       Missbrauch „outen“, direkt Hilfe bekommen und so starke Solidarität
       erfahren, dass sie gestärkt die Tagung verlassen, das war wohl für alle
       Anwesenden eine außergewöhnliche Erfahrung.
       
       ## Gehorsam und Kontrolle
       
       Dieses aktive Zu- und Anhören der Betroffen ist eben das, was in der
       katholischen Kirche bisher viel zu kurz kommt. Eine der wenigen Ausnahmen
       ist da der Wiener Kardinal und Erzbischof Christoph Schönborn, der sich
       Anfang Februar dieses Jahres mit Doris Reisinger zu einem TV-Gespräch im
       Bayerischen Rundfunk traf, ohne Moderation und ohne Publikum.
       
       Doris Reisinger hat in zwei Büchern und mehreren Interviews von ihren
       eigenen Missbrauchserfahrungen durch zwei Priester in der katholischen
       Gemeinschaft Das Werk erzählt. Das Gespräch mit Schönborn, das mehrere
       Stunden dauerte, wurde noch im Februar gekürzt ausgestrahlt und ist im
       Oktober in voller Länge als Buch erschienen.
       
       Mehrfach und auf unterschiedlichen Wegen hatte Reisinger in der
       Vergangenheit versucht, die Priester, die sie des Missbrauchs beschuldigt,
       rechtlich zu belangen, ist damit aber bis heute gescheitert.
       
       Es geht ihr dabei nicht nur um ihren persönlichen Fall, auch nicht
       ausschließlich um den sexuellen Missbrauch in kirchlichen Strukturen,
       sondern um das generelle Machtungleichgewicht in der Institution Kirche
       und den daraus resultierenden Machtmissbrauch, der sich in manchen
       Ordensgemeinschaften etwa auch in sektenähnlichen Regeln niederschlägt:
       Leseverbot, Kontrolle der Post, Forderung nach absolutem Gehorsam – Dinge,
       die auf der Frauentagung in Siegburg auch von ehemaligen Mitgliedern
       anderer katholischen Ordensgemeinschaften berichtet wurden.
       
       Die großen Fenster des Tagungshauses auf dem Michaelsberg in Siegburg boten
       den Teilnehmerinnen der Tagung eine beeindruckende Aussicht mitten im
       farbenfrohen Herbstbeginn. Die Frauen, die hier zusammengekommen waren,
       dachten, sie hätten auch in ihrer Kirche endlich gute Aussichten.
       
       Das hat die Deutsche Bischofskonferenz jetzt einmal mehr nicht erfüllt und
       macht stattdessen den Eindruck, das Thema weiterhin kleinhalten zu wollen.
       „Das geht jetzt aber nicht mehr. Spätestens seit der Tagung in Siegburg
       vernetzen sich betroffene Frauen untereinander“, sagte Reisinger der taz.
       Ob mit oder ohne aktive Unterstützung der Bischofskonferenz, meint sie:
       „Das Thema ist da und es verschwindet nicht mehr.“
       
       27 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.kfd-bundesverband.de/pressemitteilung/katholische-frauenverbaende-fordern-hilfe-fuer-gewaltopfer/
   DIR [2] /Initiative-Maria-20/!5627074
   DIR [3] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5595131
   DIR [4] https://www.frauenseelsorge.de/neuigkeiten-detail/gewalt-gegen-frauen-in-kirche-und-orden-27-bis-28-sept-2019.html?file=files/daten/bilder/Aktuelles/Doris%20Reisinger%20Vortrag%20Gewalt%20gegen%20Frauen%20in%20Kirche%20und%20Orden.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Juliane Fiegler
       
       ## TAGS
       
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