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       # taz.de -- Mögliche Covid-19-Impfung für Kinder: Aber die Jüngsten!
       
       > Immer häufiger infizieren sich Kinder und Jugendliche mit Corona.
       > Impfstoffe sind für sie noch nicht zugelassen. Die Forschung läuft aber
       > bereits.
       
   IMG Bild: Bisher können sie sich nur mit Masken schützen: Viertklässler*innen in Kiel
       
       Berlin taz | Kinder galten zu Beginn der Pandemie als quasi unverletzlich.
       Sie gehörten nicht zu den Risikogruppen, und es sah zunächst sogar so aus,
       als würden sie sich nur in seltenen Fällen überhaupt infizieren. Dass die
       Corona-Impfstoffe erst ab 18 beziehungsweise 16 zugelassen sind: kein
       Problem.
       
       Doch inzwischen haben sich die Erkenntnisse verändert. Und es machen auch
       Nachrichten über schwerwiegende Folgeerkrankungen bei Kindern die Runde.
       Die Frage, ob und wann Kinder und Jugendliche gegen Covid-19 geimpft werden
       sollten, muss neu gestellt werden.
       
       Zwei Aspekte spielen dabei eine zentrale Rolle: der individuelle Schutz von
       Kindern und Jugendlichen und der Schutz der gesamten Bevölkerung. Dazu
       zunächst ein kleines Rechenbeispiel. Von 83,2 Millionen Deutschen sind 85,4
       Prozent 16 Jahre und älter. Nicht alle wollen sich impfen lassen: Nach
       Umfragen des RKI und des Sinus-Instituts lehnen rund 20 Prozent der
       befragten Erwachsenen eine Impfung ab oder sind noch unentschieden.
       Dennoch: Eine Impfquote von weniger als 70 Prozent schien bislang
       ausreichend, um die sogenannte Herdenimmunität zu erreichen.
       
       Das war vor der Mutante B.1.1.7. Mit der Verbreitung der ansteckenderen
       Virusvariante rechnen Expert*innen nun eher damit dass eine
       Durchimpfungsquote von 80 und mehr Prozent nötig ist. „Dieser Wert ist aber
       eine statistische Größe, die allein nicht aussagekräftig ist“, sagt Berit
       Lange, Leiterin der Klinischen Epidemiologieam Helmholtz-Zentrum für
       Infektionsforschung in Braunschweig.
       
       ## Viele Kontakte, aber nicht geimpft
       
       Bei Herdenimmunität geht es um die Wahrscheinlichkeit, dass eine infizierte
       Person auf ungeschützte Menschen trifft, die angesteckt werden können.
       Deshalb, sagt Lange, sei es immer problematisch, wenn gerade Gruppen, die
       viel Kontakt untereinander haben, nicht geimpft sind. So wie die Kinder und
       Jugendlichen.
       
       Die Epidemiologin hofft auf einen Impfstoff für die Jüngeren und bleibt
       verhalten. „Die Impfung für Erwachsene bringt jedem Einzelnen etwas, weil
       es das nicht unerhebliche Risiko eines schweren Verlaufs gibt.“ Kinder
       dagegen würden vor allem geimpft, um die Gemeinschaft zu schützen, weil sie
       selbst seltener schwer erkranken. Dafür müsse der Impfstoff sehr, sehr
       sicher sein, sagt die Epidemiologin.
       
       Doch werden Kinder und Jugendliche tatsächlich nicht krank? Seit Mitte
       Februar [1][steigt die 7-Tage-Inzidenz] in fast allen Altersgruppen wieder,
       wir befinden uns in einer dritten Welle. Der stärkste Anstieg ist laut
       Robert-Koch-Institut bei Kindern zwischen 0 und 14 Jahren zu beobachten:
       Hier haben sich die 7-Tage-Inzidenzen in den letzten vier Wochen mehr als
       verdoppelt. Allerdings kommt nur ein Bruchteil der Kinder und Jugendlichen
       ins Krankenhaus, nur wenige müssen intensivmedizinisch betreut werden. Seit
       Beginn der Pandemie vor über einem Jahr sind 11 Kinder und Jugendliche an
       Covid-19 verstorben.
       
       Hinzu kommt: Auch unter Kindern und Jugendlichen gibt es
       Risikopatient*innen – mit chronischen Lungenerkrankungen,
       geschwächter Immunabwehr, Herzfehlern oder anderen relevanten
       Vorerkrankungen. Expert*innen wie der Direktor des Zentrums für Kinder-
       und Jugendmedizin in Mainz, Fred Zepp, schätzen ihren Anteil auf 15 Prozent
       der Kinder und Jugendlichen.
       
       Dass sich aus dieser Gruppe trotz Gefährdung aktuell kaum Kinder in den
       Krankenhäusern wiederfindet, könnte laut Zepp auch daran liegen, dass
       gerade Kinder mit Vorerkrankungen von ihren Eltern in der Pandemie
       besonders geschützt werden. Man könnte auch sagen: Manche Kinder leben
       mitsamt ihren Eltern seit einem Jahr quasi isoliert
       
       ## Vorerkrankungen spielen eine bedeutende Rolle
       
       Die Daten der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, der
       DGPI, zeigen jedenfalls, dass [2][30 Prozent der Kinder], die mit Covid-19
       ins Krankenhaus müssen, Vorerkrankungen haben. Von denen auf der
       Intensivstation sind es sogar 70 Prozent. „Gerade für die Gruppe von
       Kindern mit Grunderkrankungen müssen wir zügig Impfstoffe entwickeln“, sagt
       Zepp.
       
       Und dann beschäftigt noch eine seltene Folgeerkrankung von Covid-19 die
       Kinderärzt*innen. [3][245 Fälle des sogenannten Pediatric Inflammatory
       Multisystem Syndrome], kurz PIMS, hat die DGPI bislang erfasst. Es ist eine
       besonders tückische Erkrankung, denn sie tritt erst Wochen nach einer
       Covid-19-Infektion auf und kann lebensbedrohlich verlaufen. Betroffen sind
       fast ausschließlich Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 17 Jahren.
       
       Angesichts der steigenden Infektionsfälle in genau dieser Altersgruppe
       erwarten Kinderärzt*innen in den kommenden Wochen eine Zunahme der
       PIMS-Fälle. Auch Einzelfälle von Langzeitverläufen bei Kindern, dem
       sogenannten Long Covid, sind bekannt. „Daher ist eine Impfung von Kindern
       und Jugendlichen auch zusätzlich zum Gedanken der schnelleren Erlangung
       einer Herdenimmunität für den individuellen Schutz sinnvoll“, sagt die
       Leiterin der Pädiatrischen Pneumologie am Katholischen Klinikum Bochum,
       Folke Brinkmann.
       
       Bis Kinder geimpft werden können, dürfte es allerdings noch einige Zeit
       dauern. Vier Covid-19-Impfstoffe sind derzeit in der Europäischen Union
       zugelassen – keiner davon für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren.
       [4][„Allein schon aus ethischen Gründen“] seien Kinder nicht für frühe
       Impfstudien vorgesehen, erklärt die Bundesregierung auf ihrer Website.
       
       Bevor ein Vakzin an Kindern geprüft werden können, muss seine Sicherheit in
       Studien mit Erwachsenen nachgewiesen worden sein. Auch weil kleine Kinder
       nicht selber in die Studienteilnahme einwilligen können, seien
       Impfstoffhersteller und Zulassungsbehörden verpflichtet, „eine besondere
       Vorsicht walten zu lassen“, sagt Johannes Liese, Leiter des Bereichs
       pädiatrische Infektiologie und Immunologie am Universitätsklinikum
       Würzburg.
       
       ## Keine Vorerfahrungen mit mRNA-Impfstoffen
       
       Um Daten zur optimalen Dosierung, Wirksamkeit und Verträglichkeit der
       Covid-19-Impfstoffe bei unter-16-Jährigen zu gewinnen, müssen die Impfungen
       für jedes Alter in ausreichend großen Gruppen geprüft werden. Weil es sich
       bei den bisher zugelassenen mRNA- und Adenovirus-Vektor-basierten
       Impfstoffen um neue Technologien handelt, könne man etwa bei der Dosierung
       nicht auf frühere Erkenntnisse zurückgreifen, erklärt Kinder- und
       Jugendmediziner Fred Zepp, der seit 1998 auch Mitglied der Ständigen
       Impfkommission ist.
       
       Auch methodisch sind die Kinderstudien herausfordernd: Da Kinder, die sich
       mit Corona infizieren, selten krank werden, ist die Wirksamkeit der
       Impfstoffe für diese Altersgruppe schwieriger nachzuweisen. „In diesen
       Studien muss ich wahrscheinlich regelmäßig flächendeckend die Kinder auf
       die Virusinfektion testen, um überhaupt festzustellen, ob der Impfstoff
       wirkt“, erklärt Fred Zepp.
       
       Darüber hinaus sei bei den Kinder- und Jugendstudien eine längere
       Nachbeobachtung notwendig. Bei Erwachsenen treten Nebenwirkungen in der
       Regel innerhalb der ersten drei Monate nach der Impfung auf. Bei Kindern
       ist das anders: „Das Kind ist im Gegensatz zum Erwachsenen ein sich
       entwickelnder Organismus. Das heißt, ich muss immer auch betrachten: Gibt
       es Nebenwirkungen, die auf die langfristige Entwicklung des Kindes Einfluss
       nehmen?“
       
       All das führt dazu, dass Impfstudien mit Kindern und Jugendlichen später
       beginnen und in der Regel auch länger dauern. Biontech und Moderna testen
       ihre Vakzine seit Ende vergangenen Jahres an Jugendlichen ab zwölf Jahren.
       Im März kündigte Moderna zudem eine Studie mit jüngeren Kindern und
       Säuglingen ab sechs Monaten an. Auch Biontech zieht jetzt nach. AstraZeneca
       testet seinen Impfstoff laut Medienberichten bereits seit diesem Februar an
       Proband*innen ab sechs Jahren.
       
       ## Israel wartet nicht
       
       Doch nicht überall wartet man die Studienergebnisse ab: Israel hat bereits
       begonnen, ältere Kinder ab 12 Jahren zu impfen, die zur Risikogruppe
       gehören. Wie die Times of Israel berichtet, [5][wurden über 600 Jugendliche
       geimpft], Nebenwirkungen seien kaum aufgetreten. Die Deutsche Gesellschaft
       für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) warnt allerdings vor einem solchen
       Einsatz außerhalb der Zulassung.
       
       Für die Jugendlichen werden noch in diesem Frühjahr erste Studienergebnisse
       erwartet. Wenn es gut läuft, könnten bereits im Herbst Impfstoffe ab für
       Kinder ab zwölf Jahren zugelassen werden. Für Kinder im Kindergartenalter
       rechnet Impfexperte Zepp dagegen erst im Verlauf des kommenden Jahres mit
       einem Impfstoff.
       
       Ob diese Vakzine dann wirklich an alle Kinder und Jugendlichen verimpft
       werden, hänge ganz davon ab, „was die Impfstoffe können“, sagt Zepp. Er ist
       aber zuversichtlich, dass sowohl schwere Erkrankungen bei kleinen
       Risikopatient*innen als auch Virusübertragungen verringert werden
       könnten. Ob eine Impfung auch vor der seltenen PIMS-Erkrankung schütze,
       bleibt laut Zepp abzuwarten. Eine umfangreiche Testung und Überwachung der
       Kinder und Jugendlichen wird uns also noch länger begleiten, sagt
       Epidemiologin Berit Lange. Und fügt hinzu: „Da wird die Pandemie übrig
       bleiben.“
       
       27 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wie-viele-Corona-Infizierte-gibt-es-aktuell/!5728077
   DIR [2] https://dgpi.de/covid-19-survey-update/
   DIR [3] https://dgpi.de/pims-survey-update/
   DIR [4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/themenseite-forschung/coronavirus-impfung-faq-1788988
   DIR [5] https://www.timesofisrael.com/israeli-doctor-600-at-risk-children-got-covid-shot-without-major-side-effects/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manuela Heim
   DIR Alena Weil
       
       ## TAGS
       
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