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       # taz.de -- Montagsinterview: "Wir sind Business-Hippies"
       
       > Christoph Klenzendorf und Juval Dieziger betreiben mit Freunden die Bar
       > 25 am Spreeufer in Friedrichshain. Doch auf dem Gelände sind Bürobauten
       > des Großprojekts MediaSpree geplant. Ein Gespräch über demokratischen
       > Widerstand, Konfettischlachten und suizidale Igel.
       
   IMG Bild: Coole Stadthippies: Christoph Klenzendorf (li.) und Juval Dieziger in der Bar 25
       
       taz: Schön haben Sies hier: Liegestühle, Schaukel und freier Blick über die
       Spree. Wie lange wird es diese Zwischennutzungsidylle noch geben? 
       
       Christoph Klenzendorf: Der Vermieter hat uns zum 1. Januar gekündigt,
       obwohl es keinen Käufer gibt. Die Räumungsklage kam vor drei Wochen.
       
       Juval Dieziger: Aber wir haben angefochten. Der erste Gerichtstermin ist am
       12. Dezember. Die Saison ist also gesichert, wir haben etwas Luft.
       
       Viel Puste haben Sie auch bisher bewiesen - Sie sollten schon letztes Jahr
       schließen. Denn Ihr Grundstück gilt den Businessentwicklern des
       Großprojekts MediaSpree als lukratives Filetstück. 
       
       Klenzendorf: Das letzte Jahr war turbulent: Erst hieß es, der Boden sei
       kontaminiert. Ein Gutachten unsererseits belegte, dass das nicht stimmte.
       Dann schlug das Wasserwirtschaftsamt Alarm, weil die Kaimauer absackte. Wir
       besserten sie aus. Gekündigt wurden wir trotzdem - der Makler hatte unser
       Grundstück bereits als "bereinigt" im Katalog, das heißt: "ohne Mieter"!
       
       Wissen Sie, dass MediaSpree in seiner Investorenbroschüre trotzdem mit
       Ihnen wirbt? 
       
       Klenzendorf: Ja, MediaSpree wirbt auch mit dem Oststrand und dem Yaam - den
       Projekten, die sie weghaben wollen für ihre Bürohäuser.
       
       Dieziger: Keiner braucht Bürohäuser, nicht bei dem Leerstand, nicht an
       diesem Ort. Wir haben hier ein kleines Paradies geschaffen. Wir leben und
       arbeiten alle zusammen auf dem Gelände, in einer Art Kommune-Dorf…
       
       Ein Hippie-Idyll? 
       
       Klenzendorf: Ich nenn uns Business-Hippies: Jeder, der hier lebt, arbeitet
       auch hier. Wir verdienen Geld mit der Bar, dem Restaurant und den
       Techno-Partys. Den Gewinn teilen wir untereinander, aber wir haben auch
       Angestellte.
       
       Moderne Hippies also? 
       
       Dieziger: Ich würde mich schon als linken Hippie bezeichnen.
       
       Klenzendorf: Ich weiß nicht, was der Begriff genau bedeutet. Mir wachsen
       keine Dreadlocks, aber ich bin ein Lebemensch. Ich feiere gern, ich hatte
       noch nie einen Chef. Und im Winter reise ich mit dem Wohnwagen herum.
       
       Die Bar 25 ist mittlerweile ein normaler Gastro-Betrieb mit Öffnungszeiten
       und Dienstplänen. Ein Widerspruch zum wilden freien Leben? 
       
       Dieziger: Auch Hippies haben einen Anspruch auf eine bestimmte
       Lebensqualität!
       
       Klenzendorf: Alle, die den Laden betreiben, lieben die schönen Dinge: gut
       essen, gut trinken, gute Gesellschaft, gute Musik. Es ist schön, am
       Mittwoch den Anwalt zu treffen, der 28 Euro für ein Rinderfilet ausgibt,
       und am Sonntag die Feierszene. Ob das "hippiemäßig" ist oder nicht, ist uns
       egal. Hauptsache, es macht Spaß.
       
       Trotzdem: Sie sind an den Betrieb gebunden. Mal kurz mit dem Wohnwagen weg,
       das geht nicht mehr so leicht. 
       
       Klenzendorf: Ich arbeite hier so viel wie noch nie. Jeder aus dem harten
       Kern hat seinen Schwerpunkt: Ich mache das Programm, Juval die Küche.
       
       Dieziger: In der Gastro haben wir einen normalen Schichtbetrieb mit
       Angestellten. Allein im Restaurant arbeiten 20 Leute.
       
       Etwa richtig offiziell? 
       
       Dieziger: Klar, mit Sozialabgaben und übertariflichem Lohn. Das ist für uns
       eine moralische Frage.
       
       Sie haben sich also für offizielle Strukturen entschieden. 
       
       Klenzendorf: Ja, wir sind ein bunter Haufen, aber ein gut organisierter.
       
       Dieziger: Und wie: Mitarbeiterbesprechungen, Dienstpläne und ein Büro mit
       sieben Schreibtischen! Ein Betrieb dieser Größe braucht eine klare
       Arbeitsteilung. Trotzdem teilen wir die Einnahmen untereinander und
       spendieren jede Menge Freigetränke an Freunde. Wir vergessen nie, wo wir
       herkommen und warum wir das machen: um mit Freunden und Gleichgesinnten
       Spaß zu haben.
       
       Wo kommen Sie denn her? 
       
       Klenzendorf: Aus dem Nachtleben, der Berliner Techno-Szene der 90er. Ich
       veranstaltete mit Freunden illegale Raves auf der Michaelbrücke: Ein altes
       DDR-Wohnmobil war unsere Bar. Weil das eiförmige Ding laut TÜV-Plakette nur
       25 fahren durfte, nannten wir es Bar 25. Nach einem Jahr hatten wir keine
       Lust mehr auf den Stress und suchten etwas Festes. Das Gelände hier lag
       brach und war voller Müll. Wir bewarben uns bei der Eigentümerin, der
       Berliner Stadtreinigung BSR, mit einem Konzept …
       
       Dieziger: Wir auch! Aber bei uns wurde nichts draus.
       
       Sie beide konkurrierten um das Gelände? 
       
       Dieziger: Ja, wir kannten uns noch nicht. Ich war Küchenchef im Cookies,
       eine Freundin wollte eine Bar aufmachen. Da wäre ich eingestiegen. Auch wir
       waren bei der BSR, stachen mit unserem Animationsfilm Sat.1, eine Autofirma
       und eine Düsseldorfer Strandbar aus. Im Vertrag standen dann aber 30.000
       Euro Miete, für das ganze Gelände! Wir unterschrieben nicht.
       
       Klenzendorf: Sonst wohl auch keiner. Deshalb konnten wir ein paar Wochen
       später verhandeln: Wir bespielen nur 1.000 der insgesamt 10.000
       Quadratmeter und zahlen dafür 3.000 Euro. Das klappte.
       
       Dieziger: Ich sah die Flyer zur Eröffnungsparty und dachte: Das dürfen die
       nicht! Das ist meins!
       
       Wie fanden Sie zusammen? 
       
       Dieziger: Jedenfalls nicht sofort. Am Eröffnungsabend machte ich an der Tür
       kehrt: Es legte auch noch mein Lieblings-DJ auf! Das verkraftete ich nicht.
       Erst später schaute ich vorbei und lernte Christoph kennen.
       
       Klenzendorf: Zur nächsten Saison war Juval dann mit seinem Restaurant
       dabei.
       
       Was unterscheidet die Bar 25 denn von anderen Strandbars? 
       
       Klenzendorf: Wir sind ein Spielplatz für Erwachsene mit immer neuen
       Attraktionen: Wir haben den "Zirkus" für Theater, Filme und Performances,
       einen Kostümverleih, einen kleinen Wellness-Bereich und ein Musiklabel.
       Seit diesem Jahr gibt es eine Radiostation.
       
       Dieziger: Pünktlich zur EM ist unser neuer Pizzaofen in Betrieb. Ein
       Eigenbau, hoffentlich bleibt er stehen.
       
       Public Viewing in der Bar 25 - eine Geschäftsentscheidung oder ein
       Herzenswunsch? 
       
       Klenzendorf: Eher eine Geschäftsentscheidung: Unser Publikum interessiert
       sich mehr für Fußball als wir.
       
       Dieziger: Zum Auftaktspiel gibt es Schweizer Bier. Und wenn die Schweiz
       gewinnt, Freibier für alle. Ein billiges Versprechen, ich weiß.
       
       (Etwas fällt vom Baum ins Gras) 
       
       Dieziger: Oh nein, der Igel! Wir haben hier einen selbstmordgefährdeten
       Igel, der sich gern vom Baum stürzt. Einmal mussten wir ihn aus der Spree
       retten. Auch einen Fuchs gibt es, Eichhörnchen und eine zugelaufene Katze.
       Ganz zu schweigen von den Apfel- und Kirschbäumen. Das hier sind übrigens
       Silber- und Schwarzpappeln.
       
       Für einen Gastronomen kennen Sie sich in der Botanik gut aus! 
       
       Dieziger: Aus unserem Garten ist ein Park geworden, wir pflegen die Natur
       und beschäftigen einen Gärtner. Besonders bei den Hostelgästen kommt die
       wilde Natur in der Stadt gut an.
       
       Warum das Hostel - haben Sie keine Angst, von Touristen überrannt zu
       werden? 
       
       Klenzendorf: Nein, es sind ja nur vier Hütten. Hauptsächlich für DJs, aber
       auch für Backpacker. Die Idee entstand im Urlaub: Eine schöne Hütte an
       einem speziellen Ort wissen Reisende zu schätzen. Die erste Hütte kauften
       wir für einen Euro bei Ebay. Ein sehr schlechtes Geschäft.
       
       Hat man Sie übers Ohr gehauen? 
       
       Klenzendorf: Ja, es war mal das Hausmeisterhäuschen eines Puffs in
       Brandenburg. Die Hütte war voll mit Müll und Chemikalien, die wir teuer
       entsorgen mussten. Dann blieb noch der Laster im Spargelacker stecken. Am
       Schluss kostete das Ganze 5.000 Euro.
       
       Dieziger: Als es da war, wollten wir es nicht mehr: Ursprünglich wollten
       wir alle zusammen drin schlafen.
       
       Nicht die Gäste? 
       
       Dieziger: Nein, die Idee kam später. Diese erste Hütte war als gemeinsamer
       Schlafplatz für fünf, sechs Leute gedacht. Aber nach kürzester Zeit war
       klar, dass auch wir ein Minimum an Privatleben brauchten. Neue Hütten kamen
       dazu, Laster, Wohnwägen. Im Puffhäuschen wohnen heute Christoph und seine
       Freundin.
       
       Der Übergang zur Paarbeziehung - bleibt die Bar-25-Gemeinschaft auch bei
       Beziehungen unter sich? 
       
       Klenzendorf: Die Bar ist ein Beziehungskiller, man sitzt aufeinander. Mit
       Partnern von außerhalb funktioniert das nicht.
       
       Dieziger: Die Bar 25 ist kein Job, sondern ein Lebensprojekt. Wer sich
       damit nicht identifizieren kann, bleibt nicht lang. Aber dafür kennt man
       uns auch in New York oder Buenos Aires.
       
       Ein Leben für die Party? 
       
       Klenzendorf: Für mich ist die Bar das Größte, was ich je in meinem Leben
       gemacht habe. Mit eigenen Händen und mit Freunden. Es gibt wenige Orte wie
       diesen auf der Welt.
       
       Dieziger: Und Berlin einer der wenigen Orte, an denen so etwas noch möglich
       ist. Das merken wir an den Touristen. Wir sind ein Magnet, der das Bild der
       Stadt prägt. Das weiß auch die Politik.
       
       Wirklich? 
       
       Klenzendorf: Der Kreuzberger Bürgermeister steht hinter uns. Aber Politiker
       haben immer auch den Druck, die Wirtschaft anzukurbeln. Dabei kommen dann
       kurzfristig gedachte, aber langfristig fatale Entscheidungen wie MediaSpree
       heraus.
       
       Sie haben Verständnis für Politiker, die mit Sachzwängen argumentieren? 
       
       Dieziger: Das heißt nicht, dass wir nicht gegen diese Pläne kämpfen. Wir
       stehen in engem Kontakt zur Initiative "MediaSpree versenken" - zumindest
       mit dem gemäßigteren Teil. Für die "Spreepiraten" sind wir als
       kommerzielles Projekt, das mit Firmen wie Adidas zusammenarbeitet, nicht
       schützenswert.
       
       Klenzendorf: Das sind Feinheiten. Wir sind alle dagegen, dass der
       Bananengürtel zwischen Kreuzberg und Friedrichshain für Industrie
       erschlossen wird.
       
       Bananengürtel? 
       
       Dieziger: So nennen Stadtplaner das Spreeband vom neuen Flughafen bis zur
       Innenstadt. Dort sollen sich laut Planung IT-Firmen und Dienstleister
       ansiedeln, bis zur Elsenbrücke in Treptow soll die Bebauung reichen. Dabei
       ist Wasser ein Naherholungsfaktor.
       
       Auch MediaSpree behauptet, Uferwege und öffentliche Plätze erhalten zu
       wollen. 
       
       Klenzendorf: Selbst wenn ein schmaler Weg zwischen Blumenrabatten und
       Uferkante bleiben sollte: Da wird kein Leben mehr sein. Zwischen den Büros
       siedelt sich dann Mittagsgastronomie an, vielleicht eine langweilige
       After-Work-Lounge mit Sonnenterrasse. Aber wen soll das anziehen?
       
       Dieziger: Es geht nicht nur um uns. Sondern darum, den Spreeraum für alle
       zu erhalten.
       
       Dieses Anliegen haben Sie mit dem Wagenplatz Schwarzer Kanal oder der
       "Köpi" gemeinsam - wie ist Ihr Verhältnis zur autonomen Szene? 
       
       Klenzendorf: Es gibt natürlich einen grundlegenden Unterschied: Wir sagen
       Ja zur bestehenden Gesellschaftsform, zahlen Miete und müssen Geld
       verdienen. Aber wir respektieren uns gegenseitig. Ich finde es super, dass
       die Köpi einen Mietvertrag hat, sie ist eine kulturelle Bereicherung für
       die Stadt. Und der Schwarze Block feiert ganz gern hier.
       
       Obwohl Sie so kommerziell sind? 
       
       Dieziger: Letztendlich sitzen wir alle in einem Boot. Ich für meinen Teil
       finde alles gut, was nicht rechts ist.
       
       Auch die Autos, die neulich nach einer gescheiterten Hausbesetzung
       brannten? 
       
       Klenzendorf: Zerstörung lehne ich ab. Wir werden uns mit legalen Mitteln
       gegen die Vertreibung wehren. Wenn eines Tages die Polizei vor der Tür
       steht, werden wir keine Steine werfen, sondern Konfetti. Das ist unsere Art
       des Widerstands.
       
       Konfetti - klingt recht unpolitisch. 
       
       Klenzendorf: Als ob Autoanzünden politischer wäre! Damit erreicht man
       nichts. Wir gehen einen anderen Weg. Zum Bürgerbegehren gegen MediaSpree
       werden wir Gäste aus Friedrichshain-Kreuzberg mit Kutschen und Taxen zur
       Abstimmung fahren.
       
       Dieziger: Es lohnt sich, dafür zu kämpfen, dass Berlin nicht so langweilig
       wird wie Köln oder New York. Dafür bleiben wir.
       
       9 Jun 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Apin
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