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       # taz.de -- Mord an Achtjähriger in der Türkei: Ein Dorf schweigt
       
       > Fast drei Wochen wurde türkeiweit nach einem achtjährigen kurdischen
       > Mädchen gesucht. Jetzt wurde ihre Leiche nahe ihrem Dorf gefunden.
       
   IMG Bild: Protestaktion in Istanbul: Narin Güran wurde nach 19 Tagen gefunden und wahrscheinlich ermordet
       
       Berlin taz | Der mutmaßliche Mord an einem achtjährigen Mädchen erschüttert
       und spaltet die Türkei. Rund 4.760.000 Tweets, darunter auch einer von
       Präsident Recep Tayyip Erdoğan persönlich, wurden in den letzten drei
       Wochen in den sozialen Medien zum Verschwinden des achtjährigen Mädchens
       Narin Güran gepostet. Kein anderes Thema hat die türkische Öffentlichkeit
       in den letzten Wochen so aufgewühlt.
       
       Am 21. August hatten die Eltern das Mädchen als vermisst gemeldet, am
       letzten Sonntag wurde dann ihre Leiche unweit ihres Heimatdorfes in einem
       Fluss gefunden. Warum derzeit dieser Kriminalfall das ganze Land aufwühlt,
       hat mit den Lebensumständen von Narin zu tun, die exemplarisch für eine
       patriarchalische, konservativ-religiöse Umgebung sind.
       
       Zuletzt lebend gesehen wurde das Mädchen, als es am Tag ihres Verschwindens
       einen Korankurs besuchte. Da gleichzeitig ein islamistischer Orden in der
       Nähe seinen Sitz hat, kam beizeiten der Verdacht auf, die Sekte könnte mit
       dem Verschwinden etwas zu tun haben.
       
       ## Konservative Umgebung und Familie unter Verdacht
       
       Narin Güran war Kurdin und lebte in einem kleinen Dorf, ungefähr 80
       Kilometer von der Metropole Diyarbakır entfernt, im kurdisch besiedelten
       Südosten des Landes. Ihr Dorf liegt auf den Ländereien des kurdischen
       Ensarioğlu-Clans, dessen Chef, Galip Ensarioğlu, Abgeordneter der AKP in
       Ankara ist. Galip Ensarioğlu äußerte sich nach dem Fund der Leiche
       öffentlich und sagte, sein Clan und auch er persönlich kenne die Familie
       gut, es seien gute Leute.
       
       Tatsächlich sind die Dörfler Pächter bei den Ensarioğlus. Noch vor wenigen
       Jahrzehnten waren sie quasi Leibeigene des Clanchefs. Es ist diese
       konservativ-religiöse Umgebung, die nach Meinung vieler
       Frauenrechtlerinnen, aber auch der Vertreter der kurdisch-linken DEM, der
       früheren HDP, den vermuteten Mord an Nasrin begünstigt hat.
       Hauptverdächtiger ist ihr Onkel, der gleichzeitig Dorfvorsteher ist. Er ist
       in U-Haft. Mittlerweile wurden aber auch ihre Eltern, ihr Bruder und
       insgesamt weitere 21 Personen festgenommen.
       
       ## Verdacht auf Vertuschung von Missbrauch
       
       Dass die Suche nach dem Mädchen 19 Tage dauerte, hat damit zu tun, dass das
       gesamte Dorf gegenüber der ermittelnden Gendarmerie hartnäckig geschwiegen
       hat. Diese weitete daraufhin die Suche auf die gesamte Türkei aus, obwohl
       die Leiche wenige hundert Meter vom Dorf unter Zweigen in einem kleinen
       Fluss versteckt worden war. Ein Dorfbewohner hat mittlerweile zugegeben,
       dass der Onkel ihm den Auftrag gegeben hatte, die Leiche zu entsorgen.
       
       Bei der DEM und unter Frauenrechtsaktivistinnen vermutet man, dass das
       ganze Dorf sich an der Vertuschung eines Missbrauchs des Mädchens beteiligt
       hat. Die Autopsie der Kinderleiche ist vorläufig abgeschlossen, hat aber
       noch keine genaue Todesursache ergeben. Weitere Erkenntnisse sollen nun
       spezielle Untersuchungen in Istanbul erbringen. Dennoch wurde das Kind
       bereits beerdigt. Für Empörung sorgte dabei, dass dem Kind noch ein weißes
       Brautkleid auf den Sarg gelegt wurde.
       
       ## Patriarchalische Gesellschaftsordnung
       
       Erdoğan hat sich persönlich in den Fall eingeschaltet und erklärt, er werde
       dafür sorgen, dass der Täter hart bestraft werde. Er und seine Partei
       fürchten, dass durch den vermuteten Missbrauch und Mord an dem Mädchen das
       gesamte religiöse-konservative Lager des Landes in Misskredit geraten
       könnte. Die Türkei hat zwar relativ fortschrittliche Gesetze zum Schutz von
       Frauen, doch gerade die Religiösen und Konservativen machen keinen Hehl
       daraus, dass die patriarchalische Gesellschaftsordnung ihrer Meinung nach
       nicht angetastet werden solle.
       
       Auch deshalb [1][hatte Erdoğan 2021 beschlossen, dass die Türkei die
       Istanbuler Konvention zum Schutz von Frauen und Mädchen verlässt], weil
       seine Anhänger durch die Konvention die traditionelle Familie infrage
       gestellt sahen.
       
       11 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Tuerkei-tritt-aus-der-Istanbul-Konvention-aus/!5759872
       
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   DIR Jürgen Gottschlich
       
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