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       # taz.de -- Münchener Polizei nach dem Amoklauf: Viel Lob – warum eigentlich?
       
       > Die Polizei in München wurde nach dem Amoklauf mit Lob überhäuft: Sie
       > habe einen ganz tollen Job gemacht. Aber was spricht dafür?
       
   IMG Bild: Polizeiband in Münchens Innenstadt am Abend des Amoklaufs
       
       Am Wochenende war ein seltsames Phänomen zu beobachten: Ein einzelner
       Amokläufer tötet neun Menschen und sich selbst, die Polizei legt über
       Stunden eine ganze Großstadt lahm – und im Nachhinein überschlagen sich
       fast alle im Lob darüber, wie brillant die Polizeiarbeit gewesen sei.
       Welchen Beleg gibt es dafür?
       
       Es ist leicht, im Nachhinein klüger zu sein. Und natürlich sollte man in
       einer Paniksituation von niemandem zu viel verlangen, auch nicht von der
       Polizei – vor allem dann nicht, wenn man weit weg und an einem Schreibtisch
       in Berlin sitzt. Aber kurios ist es schon, wie das Wording der lokalen und
       Landespolitik fast einhellig geschluckt wurde: Die Münchner Polizei habe in
       der Amoksituation besonnen, klug und professionell gehandelt. Die Polizei
       hat ihre Arbeit gemacht, mit Tausenden von Polizisten. Aber muss man sie
       deshalb schon loben?
       
       Klar ist: Der Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins hat professionell
       gehandelt. In den sozialen Medien, gegenüber Journalistinnen und
       Journalisten und im Nachgang im Fernsehen machte er eine gute Figur. Aber
       kann man deswegen gleich die ganze Polizeiaktion erfolgreich nennen?
       Spricht daraus nicht vielmehr die Sehnsucht, jemand müsse in einer
       Situation des Chaos und der Angst den Überblick und die Ruhe bewahren, auch
       wenn nicht so viel dafür spricht, dass die Polizei dies tatsächlich tat?
       
       Es ist jedenfalls erstaunlich, wie lange es gedauert hat, bis feststand,
       dass es nur einen Täter gab. Die sozialen Medien haben da eher für mehr
       Panik gesorgt als für mehr Aufklärung. Hier räumte Polizeisprecher da
       Gloria Martins zumindest ein, dass ein Großteil der Polizisten an diesem
       Horrorabend nicht mit dem direkten Schutz der Bevölkerung beschäftigt war –
       sondern damit, die „grassierenden Falschinformationen“ zu falsifizieren,
       die im Umlauf waren.
       
       ## Pannen passieren
       
       Aber dass der Polizeisprecher von Langwaffen sprach, wo es doch in Wahrheit
       nur die Pistole eines Einzelnen gab, spricht nicht unbedingt für eine
       brillante Polizeiarbeit. Und warum kann eigentlich jemand den Attentäter
       auf dem Dach des Einkaufszentrums per Smartphone-Kamera samt eines absurden
       Dialogs filmen – aber ein Einsatzkommando der Polizei kann ihn nicht
       ausschalten?
       
       Es geht hier nicht darum, der Polizei gravierende Fehler in einer
       Stresssituation zu unterstellen – das werden besten- oder
       schlechtestenfalls wohl nur Fachleute bei voller Akteneinsicht im
       Nachhinein beurteilen können. Und selbst wenn es Fehler vonseiten der
       Polizei gab: Natürlich passieren dumme Pannen in solchen Situationen. Alles
       andere wäre unrealistisch.
       
       Aber eine kritische Öffentlichkeit sollte schon nachfragen, was gut und was
       falsch lief bei diesem Großeinsatz. Und mit Lob sollte man erst einmal
       zurückhaltend sein. Umso mehr, als gerade der bayerische Innenminister
       Joachim Herrmann (CSU) nach drei Bluttaten in Würzburg, München und Ansbach
       – sie alle fanden innerhalb weniger Tage und jeweils in seinem
       Tätigkeitsgebiet statt – höchstes Interesse daran hat, die eigene Polizei
       als superkompetent darzustellen.
       
       ## Ausländerhetze geht immer
       
       Warum aber seinem Narrativ ohne konkrete Beweise folgen? Typischerweise
       macht sich Herrmann nicht, wie es vielleicht angemessen wäre, öffentlich um
       die innere Sicherheit in seinem Bundesland Sorgen, also darum, wie gut er
       seinen Job macht. Stattdessen denkt er darüber nach, wie man straffällige
       Asylbewerber schneller abschieben kann. Das nennt man dann wohl ein
       altbekanntes Ablenkungsmanöver: Ausländerhetze geht immer. Genauso
       unsachlich könnte man den Rücktritt Herrmanns verlangen, weil er seine
       Bayern nicht vor Tod und Verletzung hat schützen können.
       
       Aus dem Lob der Polizei von München spricht wohl das Verlangen der
       Menschen, auch im Schrecklichsten noch Helden und Hoffnung zu entdecken. Es
       gibt zweifellos heldenhafte Menschen, auch bei der Polizei. Und vielleicht
       ist ja die Tatsache, dass Deutschland bis heute keinen Anschlag in der
       brutalen Größe der Attentate von London, Madrid, Brüssel, Paris und Nizza
       erlebt hat, Ausweis einer guten Geheimdienst- und Polizeiarbeit vor und
       hinter den Kulissen. Das aber können wir bestenfalls erahnen. Sicher sagen
       können wir es nicht.
       
       26 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Gessler
       
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