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       # taz.de -- Mutterglück beim Australian Open: Völlig losgelöst
       
       > Lindsay Davenport spielt nach der Geburt ihres Sohnes befreit auf und
       > gilt nun sogar als Favoritin bei den Australian Open der Tennisprofis
       
   IMG Bild: Lindsay Davenport hätte sich vor der Geburt ihres Sohnes nicht vorstellen können, noch mal vor ans Netz zu gehen.
       
       Vor einem Jahr um diese Zeit saß Lindsay Davenport, 31, daheim in Laguna
       Beach, Kalifornien, und warf aus der Ferne einen Blick auf die Welt, in der
       sie sich mehr als die Hälfte ihres Lebens bewegt hatte. Im Fernsehen lief
       die Übertragung der Australian Open, aber sie war mit ihren Gedanken und
       mehr noch mit ihren Gefühlen längst woanders. Sie war im vierten Monat
       schwanger, freute sich auf ihr erstes Kind, und hätte man sie gefragt, ob
       sie sich vorstellen könne, nach der Geburt weiter Tennis zu spielen, dann
       hätte sie gelacht und bestimmt gesagt: "No way. Wirklich nicht. Das hab ich
       hinter mir."
       
       Hat sich ein wenig anders entwickelt als gedacht, die Geschichte. Ein paar
       Wochen später schlich sich bei ihr zum ersten Mal der Gedanke ein, dass es
       doch Spaß machen könnte. Am 10. Juni erblickte Baby Jagger Jonathan per
       Kaiserschnitt das Licht der Welt, und sechs Wochen danach trat Davenport
       bei einem Mannschafts-Wettbewerb in Sacramento wieder an. Jagger war dabei,
       genauso wie Anfang September bei der Rückkehr seiner Mutter in den großen
       Tennis-Zirkus bei einem WTA-Turnier auf Bali. Die war schrecklich nervös,
       weil sie sich nicht blamieren wollte, doch am Ende hielt sie als Siegerin
       den Sohn und einen Pokal im Arm, ein schönes Motiv. Inzwischen gibt es zwei
       weitere Fotos mit Jagger und Pokal, und seit ihrer Rückkehr hat Lindsay
       Davenport nur ein einziges Spiel verloren.
       
       Nun ist sie wieder bei den Australian Open gelandet, schiebt den Buggy mit
       Sohnemann durch die Gänge, und dem scheint fast alles recht sein. Bisher
       hat er sich als perfektes Reisekind erwiesen. Und wenn er, wie vor dem
       Erstrundenspiel seiner Mutter, nachts um fünf schreiend aus einem Albtraum
       erwacht, dann steht sie auf und wiegt ihn wieder in den Schlaf. Weil er
       eben auch in lauten Momenten das größte Glück ist und sie sich die Welt
       ohne ihn schon lange nicht mehr vorstellen kann. "Das Leben ist viel größer
       und viel besser jetzt, so viel erfüllender." Bis jetzt war es kein Problem,
       Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Ein Kindermädchen reist
       ständig mit, gelegentlich ist Davenports Mutter Ann zur Unterstützung dabei
       und manchmal, so wie gerade in Melbourne, auch ihr Mann, Investmentbanker
       Jon Leach. Bei der Planung gibt es jetzt mehr zu bedenken, aber mit
       Unterstützung und Übersicht lässt sich alles regeln. Eine Erfahrung, die
       sie mit der zweiten aktiven und erfolgreichen Mutter auf der Tennistour
       teilt, der Österreicherin Sybille Bammer.
       
       Und Jagger schafft Dinge, von denen er mit dem Schnuller im Mund noch keine
       Ahnung hat. Seine Mutter spielt jetzt, befreit vom Druck, irgendwelche
       Titel zu verteidigen oder irgendwas zu beweisen, völlig losgelöst. Sie
       sagt, es gebe einen einzigen Grund, warum sie noch spiele: Den Spaß an der
       Freud. Sie kann es sich leisten. Mit dem Sieg am Montag über die
       Italienerin Sara Errani überholte sie Steffi Graf in der Liste des
       Karriere-Preisgeldes und steht nun mit 21.897.501 Millionen Dollar an der
       Spitze derselben. Sie ist steinreich - zurzeit in jeder Hinsicht.
       
       Und sie bringt die anderen zum Staunen. Serena Williams sagt: "Also, ich
       bin sprachlos, weil sie fitter aussieht als ich, obwohl sie doch erst vor
       sieben Monaten das Baby bekommen hat. Ich bin überzeugt, wenn ich ein Baby
       bekäme, dann läge ich sieben Monate später immer noch im Krankenhaus und
       würde mich von den Schmerzen erholen." Offensichtlich hat sie keine Ahnung
       von der Macht der Hormone. Seit Jaggers Geburt geht es Lindsay Davenport
       besser als je zuvor, wie weggezaubert sind die Rückenschmerzen, unter denen
       sie jahrelang beim Tennis gelitten hat.
       
       Bisher läuft also alles wie im Traum, und in dieser Situation steckt ein
       besonderer Reiz darin, wie die Sache in Melbourne weitergehen wird. Da sie
       als Nummer 51 der Weltrangliste nicht zu den Gesetzten gehört, wird sie in
       Runde zwei am Mittwoch bereits auf eine solche treffen, und das ist keine
       andere als Maria Scharapowa. Die kann man sich nicht mal mit großer Mühe
       später mit einem Buggy in den Katakomben des Melbourne Parks vorstellen.
       Aber muss das was heißen? Vor einem Jahr hätte Lindsay Davenport bei dem
       Gedanken daran ja auch nur gelacht.
       
       Zu denen, die ihr besonders die Daumen drücken, gehört die letzte Frau, die
       als Mutter einen Grand-Slam-Titel gewann, Evonne Goolagong-Cawley. Die
       Australierin holte 1977, sieben Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes,
       den Titel in Melbourne. Wie lange ist Jagger Jonathan auf der Welt? Sieben
       Monate.
       
       15 Jan 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Doris Henkel
       
       ## TAGS
       
   DIR Leistungssport
       
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