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       # taz.de -- NEO RAUCH: Existenzielle Weltaneignung
       
       > Zum 50. Geburtstag des Malers Neo Rauch wurde in Leipzig und München die
       > Doppelausstellung "Begleiter" eröffnet.
       
   IMG Bild: In seiner Heimatstadt Leipzig sind etwa 60, meist großformatige Werke von Neo Rauch zu sehen.
       
       Im Pressetext der aktuellen [1][Doppelausstellung "Begleiter"] des 1960 in
       Leipzig geborenen Malers Neo Rauch heißt es, dass der Künstler sich in
       einer Tradition mit Beckmann, Bacon, Beuys und Baselitz sieht. Hat man
       diese erstaunliche Reihung gewählt, weil alle vier Namen mit B beginnen? Im
       nächsten Satz wird darauf hingewiesen, dass eine deutliche Beziehung zum
       Surrealismus zu erkennen sei.
       
       Worte, die zeigen, wie im Zuge der allgemeinen Empathie für das Werk von
       Neo Rauch der zwanghafte Versuch unternommen wird, den Künstler als
       wichtige kunstgeschichtliche Größe zu verorten und historische Bezüge
       waghalsig zu dehnen. Rauch, der sein Atelier als Werkstatt bezeichnet,
       bietet technoid-mechanische Wortgebilde als Erklärungen zu seinen Bildern
       an und spricht von Füllständen und Schleusenkammern des Bewusstseins, vom
       Ausfließen und Gerinnen, von der bildnerischen Gesamtapparatur, von
       ausgefransten Partien und perforierten Segmenten. Und davon, dass die
       Malerei für ihn ein kreatürlicher Prozess der Weltaneignung sei.
       
       Unlängst konnte man in einem Interview mit Rauch lesen, dass es für seine
       Kunstvorstellung wichtig sei, sich vom Zeitgeist fernzuhalten, da ansonsten
       die Gefahr bestünde, mit diesem zusammen entsorgt zu werden. Es gäbe eine
       Verunreinigung der Sprache und viel minderwertiges Material, konnte man den
       Künstler während der Pressekonferenz in Leipzig sagen hören. Rauch geht es
       um Zeitlosigkeit und einen originären Geniebegriff, der genauso verstaubt
       und elitär erscheint wie seine Forderung, "den Fernseher zu zerhacken, um
       nicht vom visuellen Müll der Gegenwart beschmutzt zu werden".
       
       Zu dieser Form von Anmaßung und Einfalt passt es, wenn er davon träumt,
       eine Malerakademie im Wald zu betreiben, "in der Sonderlinge frei von den
       Miserabilitäten unserer Zeit arbeiten können". Mit dieser Haltung endet man
       zwangsläufig in einer Welt, die andere Kunstformen und Lebenswirklichkeiten
       diskreditiert. Kunst wird damit zur ideologischen Prämisse.
       
       In der Rauchschen Wort- und Bildrhetorik werden private Bilder als komplexe
       Vorgänge des Unbewussten mit Hang zur Metaphysik beschrieben. Wie es
       überhaupt ständig darum geht, die Metaphern einer existenziellen
       Weltaneignung anzuwenden und die Malerei als viriles und isoliertes
       Unternehmen zu beschreiben: weitgehend absichtslos, ein Prozess
       konzentrierten Durchströmens. Dem surrealistischen Prinzip der
       automatischen und unbewussten Äußerung widersteht der Maler nach eigener
       Aussage. Er sagt, es gäbe ein Aussonderungsverfahren, und es bestehe der
       Wunsch nach Dechiffrierbarkeit. Dann wieder sind ihm jene Betrachter die
       willkommensten, die seine Bilder vorrangig als Malerei wahrnehmen und einer
       Erzählstruktur nur bei Bedarf oder unbewusst nachspüren. Dass die Analyse
       des Unbewussten ein rationaler Prozess der Aussprache und Bewertung ist,
       interessiert ihn nicht. Was zählt, ist die wunderliche Attitüde des
       Genialen.
       
       Es ist diese sprachliche Überformung des Werks, die ermüdet. Schließlich
       umfasst das Oeuvre von Rauch in den letzten zwanzig Jahren einige
       nennenswerte formale Sprünge, die von frühen Abstraktionen über teilweise
       grelle Figurationen, die gleichermaßen Comic und sozialistischen Realismus
       konterkarierten, bis hin zu den opulenten Bildern der letzten Jahre
       reichen. Rauch sagt, was nötig ist: Illustrative Peinlichkeit,
       Philosophiekitsch und spirituellen Kitsch gilt es zu vermeiden. In seinem
       Fall am gelungensten durch Elemente der Werbegrafik, die angewandte Formen
       mit ins Spiel bringt, und durch die Bezugnahme auf Comics, die Bilder,
       Worte und Erzählstruktur ganz anders sortieren, als man das auf einer
       Leinwand machen kann.
       
       Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die frühen Arbeiten in der
       Ausstellung überzeugen. Bilder, die weniger opulent, dafür aber diffizil
       und eigenwillig komponiert sind und auf denen surreale Momente, in denen
       Zeit und Raumkontinuitäten aufgehoben sind, Erinnerungsfragmente, Worte und
       Leerstellen, Raumandeutungen und eine reduzierte Farbpalette, eine zum Teil
       beklemmende Atmosphäre von Undurchdringlichkeit, Haltlosigkeit und
       Manipulation schaffen. Man hat das Gefühl, dass Rauch in diesen Bildern mit
       subtiler Ironie und ohne Zynismus den eigenen biografischen Rahmen in
       persönlichen und geschichtlichen Bildern absteckt.
       
       Diese vielschichtige Vorgehensweise wird relativiert durch die langweilige
       Symbolik der neueren Produktion die sich der immer gleichen Riesen und
       Gnome, Bartträger und gallertartigen Gebilde, Vorhänge und Wälder, Hangar,
       Herrenhäuser, Abstellkammern und technisch-militärischen Geräte bedient,
       die alle in sinistren Landschaften herumstehen und von denen ihr Erschaffer
       sagt, dass sie nichts bedeuten sollen.
       
       Gleichzeitig sind sie für ihn die Produkte kollektiver Ströme, die durch
       das Nadelöhr der künstlerischen Subjektivität geführt wurden. Man fragt
       sich, auf welchem Markt der Sinnzuschreibung diese Produkte verkauft
       werden. Wichtig scheint in jedem Fall das Label der Leipziger Figuration zu
       sein. Über die figürliche Malerei, für die die Leipziger Schule bekannt
       ist, sagt Rauch, sie sei das Nonplusultra, die höchste Herausforderung für
       einen Maler. Am besten sind seine Bilder aber, wenn er diesem selbst
       auferlegten Zwang nicht folgt und in ein spannungsvolles Verhältnis von
       Abstraktion und Konkretem, Raum und Fläche, Figur und Grund, Fertigem und
       Unfertigem eintritt und keine großen Formate mit Bühnen und dunklen
       Landschaften malt.
       
       In seinem Buch "Schilfland -Works on Paper" breitet Rauch in Skizzen und
       kleinen Formaten sein Repertoire als Zeichner aus. Hier hat man nicht das
       ungute Gefühl, dass die Arbeiten mit den Metaphern des Kreatürlichen,
       Naturgesetzlichen, Kämpfenden, Seinsmäßigen oder Unabwendbaren erklärt
       werden müssen. Es geht feiner, schneller, komplexer und formal
       geschliffener zu als in den statischen Riesenbildern der jüngsten Zeit.
       
       Aber in "Schilfland" kommt leider - wenn auch nur als kurzer Vergleich -
       ein wiederkehrender Tiefpunkt der Rauch-Kunstrhetorik zum Ausdruck: Neo
       Rauchs Vorliebe für Ernst Jünger, den er gern als väterlichen Freund
       bezeichnet. Dessen antidemokratische Haltung und frühe Glorifizierung von
       Kampf, Tod und militärischem Heldentum, seine verkorkste Naturphilosophie
       und sein verächtlicher Individualitätsbegriff lassen Jünger aber nur
       bedingt zitierfähig erscheinen. Am besten verfährt man, wenn man diese
       Kapitel bei der Betrachtung des Werks von Neo Rauch ausblendet und die
       Sprachkapriolen des Künstlers überliest.
       
       Dem Künstler geht es um die Zeitlosigkeit des Werks, um "ewig Gültiges",
       wie er selbst sagt. Die Debatte müsste aber viel zeitgemäßer um die Frage
       nach dem Autor, die Frage nach dem Verhältnis von Moderne und Postmoderne,
       ideologischen Untiefen, den beschreibbaren Prozessen zur Herstellung von
       Kunst und ihrer gesellschaftlichen Rolle, nach der Zeitgenossenschaft des
       Mediums und der Sujets und schließlich nach der kunstgeschichtlichen
       Verortung kreisen.
       
       Viele von Rauchs Bezügen sind schwelgerisch und historisch ungenau. Für den
       Surrealismus ist die ganze Arbeit zu beherrscht, ja geradezu zwanghaft
       kontrolliert. Die Malerei von Rauch ist in diesem Sinne viel zu konform:
       Das "unbewusste Treibgut" mit "stählerner Faust" zu ordnen, klingt nach
       Ernst Jünger, nicht nach André Breton.
       
       Das surreale Moment allein auf den unscharfen Begriff des Unbewussten zu
       reduzieren, reicht eben nicht. Genauso wenig, wie es nicht reicht, nur das
       Subjektive zu betonen und die figürliche Malerei als Leitmedium auszugeben,
       um sich in die oben genannte schmeichelhafte Reihung der Künstler des 20.
       Jahrhunderts einreihen zu können. Dieser Diskurs spricht viel über die
       Wunderkammer des Künstlers, über vermeintlich konservative und zeitlose
       Grundprämissen der Kunstproduktion und viel zu wenig über die Politik der
       Kunst und der gesellschaftlichen Funktionalisierung des Subjektiven.
       
       Das Konzept der aktuellen Ausstellung lautet einfach: alles von 1993 bis
       2010. Von kuratorischer Finesse keine Spur. Etwas Neues über das Werk
       erfährt man nicht. Was schade ist, denn jenseits der großen Gesten und der
       skurrilen Wortgebilde, gleichsam im Untergrund des Werks, gäbe es spannende
       formale und inhaltliche Entdeckungen zu machen.
       
       Neo Rauch: "Begleiter", [2][Museum der bildenden Künste Leipzig] bis 15.
       8., [3][Pinakothek der Moderne München] bis 15. 8.
       
       19 Apr 2010
       
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