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       # taz.de -- Nach Abschiebeflug nach Äthiopien: Zukunft ungewiss
       
       > Ende März 2021 schiebt Deutschland 17 Menschen nach Äthiopien ab – obwohl
       > dort Bürgerkrieg herrscht. Und die Betroffenen?
       
   IMG Bild: 163 Sammelabschiebungen gab es 2021 (Symbolfoto)
       
       Addis Abbeba taz | Am Dienstag, den 23. März 2021, zwischen 6 und 7 Uhr
       früh, fahren zwei Polizeiwagen vor einer kleinen Wohnung am Menzelplatz in
       Bayreuth vor. Vier Polizisten, so erinnert sich Hussen Adem Eshetu, seien
       ausgestiegen und hätten die Tür seiner Wohnung aufgebrochen.
       
       „Ich habe erst gar nicht verstanden, was da passiert“. Dann hätten die
       Polizisten angefangen zu schreien: „Mitkommen, mitkommen!“ Zwei hätten ihn
       fixiert, während sie ihm Handschellen anlegten. Er habe noch versucht, sich
       zu erklären, habe nach seinem Schwerbehindertenausweis suchen wollen. „Sie
       hatten ihre Waffen gezückt und geschrien, ich soll leise sein, wenn nicht,
       wird etwas Schlimmes passieren.“ Dann hätten sie ihn nach draußen gezerrt
       und in einen der Polizeiwagen gestoßen.
       
       Wenige Minuten später klopfen 200 Kilometer weiter nordwestlich vier
       Polizeibeamte an die Tür des Blumenhauses im Werner-Eisenberg-Weg in
       Witzenhausen, Hessen. Dort wohnt Lemlem Beyene, deren Name wir zu ihrem
       Schutz geändert haben. Beyene ist 60 Jahre alt, Eritreerin, und lebt seit
       fast neun Jahren in Hessen.
       
       Am Vortag hatte sie ihre Koffer gepackt und mit ihrer Betreuerin in der
       Gemeinschaftsunterkunft einen letzten Kaffee getrunken, weil sie am Tag
       darauf in eine neue Unterkunft umziehen sollte, nicht weit von der
       bisherigen. Sie ist gerade erst von Corona genesen und fühlt sich schwach,
       als sie an diesem Morgen im Schlafanzug und ohne Schuhe die Tür öffnet.
       „Sie haben mich sofort an beiden Armen gepackt. Ich habe sie gefragt: Was
       wollt ihr mit einer alten Frau wie mir? Sie haben gesagt: ‚Wir schieben
       dich ab!‘“ Auf ihre Bitte, sich wenigstens umziehen zu dürfen, hätten die
       Beamten nicht reagiert.
       
       Um kurz nach 8 Uhr findet sich 90 Kilometer südlich Abere Damtie Yezachew
       in der Ausländerbehörde am Heinrich-Bibra-Platz in Fulda ein. Er hat nicht
       geschlafen. Die ganze Nacht hat er Schichtdienst im Lager des
       Paketdienstleisters GLS im nahe gelegenen Bad Hersfeld geschoben. Er war
       nur kurz zu Hause, um sich ein frisches Hemd anzuziehen und rechtzeitig auf
       dem Amt zu erscheinen.
       
       In der Vorladung stand im Betreff: „Angelegenheit: Ablauf Ihrer Duldung“.
       Er hofft, dass an diesem Morgen seine Aufenthaltspapiere erneuert werden
       sollen, damit er – so hofft er – auch weiterhin als Lagerist arbeiten kann.
       Yezachew meldet sich im 2. Obergeschoss mit der Nummer 7687. Dann wartet
       er. Wie lange, weiß er nicht mehr. Aufgerufen wird er nicht. Stattdessen
       erscheinen fünf oder sechs Polizisten, so erinnert er sich, und verhaften
       ihn. „Das war der Moment, in dem ich gemerkt habe, dass ich ausgetrickst
       worden bin“, sagt er.
       
       ## Ein Flug, 17 Menschen, 430.000 Euro
       
       Hussen Eshetu, Lemlem Beyene und Abere Yezachew sind sich in ihrem Leben
       nie begegnet. Bis zu diesem Dienstag im März 2021, der ihre Leben für immer
       verändern wird. Die drei haben wenig gemein. Eshetu ist damals 33, trägt
       gerne Hemden, hört Musik von Rihanna und DJ Khaled und kämpft seit Jahren
       mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Beyene ist 60, tiefgläubige
       Katholikin und hat sich, seit sie denken kann, nie den Mund verbieten
       lassen. Der 34-jährige Yezachew ist schüchtern und unsicher, er liebt seine
       Arbeit, und in seiner Freizeit läuft er Marathon. Was sie eint: Sie alle
       sind vor vielen Jahren aus Äthiopien geflohen, sie alle haben in
       Deutschland einen Asylantrag gestellt. Und sie alle sollen an diesem 23.
       März abgeschoben werden mit dem Flug ET8761 von München nach Addis Abeba.
       
       An Bord der Maschine sind 17 Personen, 7 Frauen und 10 Männer, die nach
       Äthiopien gebracht werden sollen, und 76 Beamte der Bundespolizei. Laut
       Antwort der Bundespolizei auf eine kleine Anfrage der Linken im März 2022
       wurde in diesen 17 Fällen „das Hilfsmittel der körperlichen Gewalt
       eingesetzt“. Bei dem Flug handelt es sich um eine von 163
       Sammelabschiebungen im Jahr 2021. Die Kosten für die Abschiebung belaufen
       sich auf rund 430.000 Euro, 25.000 Euro pro Person. Es ist die teuerste
       Abschiebung im vergangenen Jahr.
       
       Warum wird so viel Geld ausgegeben, um Menschen wie Eshetu, Beyene und
       Yezachew in ein Land abzuschieben, in dem zu diesem Zeitpunkt Bürgerkrieg
       herrscht? Menschen, die sich längst neue Leben aufgebaut haben?
       
       Um Antworten auf diese Frage zu finden und die Geschichte des Fluges zu
       rekonstruieren, haben wir die drei Betroffenen in Äthiopien getroffen. Wir
       habe Dutzende Gerichtsakten und Dokumente ausgewertet. Und wir haben mit
       Unterstützer:innen und Behörden in Deutschland gesprochen.
       
       ## Abschiebung eines Schwerkranken
       
       Am 23. März um 8.57 Uhr erhält die Anwältin Claire Deery eine SMS von einem
       befreundeten Juristen. Ob sie spontan helfen könne? Es gehe darum, eine
       Abschiebung zu stoppen. Eine Frau, 60 Jahre, seit fast zehn Jahren in
       Deutschland, sei vor wenigen Stunden von der Polizei in Witzenhausen
       abgeholt worden und seitdem in Gewahrsam. Für Deery beginnt ein Wettlauf
       gegen die Zeit.
       
       Noch weiß sie nicht, für welche Uhrzeit der Abschiebeflug angesetzt ist.
       Zwar arbeitet sie seit zwölf Jahren im Asylrecht, doch einen Fall aus
       Äthiopien hatte sie nie auf dem Tisch. Obwohl sie Lemlem Beyene nicht
       kennt, verfasst sie an diesem Morgen einen Asylfolgeantrag, den sie um
       11.01 Uhr an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) faxt.
       Betreff: „Eilt!!! Abschiebung heute!“. Um 11.26 Uhr schickt sie einen
       Eilantrag an die abschiebende Ausländerbehörde mit der Forderung, Beyene
       aus dem Polizeigewahrsam zu entlassen, solange der Folgeantrag nicht
       entschieden wurde.
       
       Wenige Minuten später findet sich in Witzenhausen eine Gruppe auf dem
       Marktplatz ein. Der Asylhelferkreis hat zu einer spontanen Mahnwache
       aufgerufen, um gegen Beyenes drohende Abschiebung zu demonstrieren. Mehr
       als einhundert Leute sind gekommen, manche haben Fahnen dabei, auf denen
       „Leave No One Behind“ steht.
       
       Beyene selbst bekommt davon nichts mit. Sie wird von der Polizei in Fulda
       in einer kleinen Zelle festgehalten, erinnert sie sich. Zunächst hätte sie
       noch ihren Pyjama angehabt, dann hätten die Beamten eine Tasche mit
       Klamotten aus ihrer Wohnung geholt. Doch obwohl sie gefroren habe, hätten
       die Beamten ihr ihren Schal weggenommen. „Sie haben gesagt, dass ich mich
       damit erhängen könnte.“ Was sind das für Menschen, fragt sich Beyene, die
       mich abschieben, obwohl sie glauben, dass mir sogar der Tod lieber wäre?
       
       Währenddessen ist Hanns-Georg Schmidt in Bayreuth in Panik. Seit fast
       zweieinhalb Jahren ist er der gesetzliche Betreuer von Hussen Eshetu. Am
       Vortag hat er von Eshetus Anwältin erfahren, dass die Berufung gegen dessen
       abgelehnten Asylfolgeantrag vom Gericht nicht zugelassen wurde. Kurz
       gesagt: dass Eshetus letzte Chance auf Asyl in Deutschland verpufft ist.
       Zusammen mit Eshetus Psychotherapeutin hatte er überlegt, wie er es ihm
       möglichst schonend beibringen kann. Doch dazu kommt es nicht mehr.
       
       Am Morgen des 23. März bekommt er einen Anruf. Von Eshetu, aus dem
       Polizeigewahrsam. „Ich war wie unter Schock“, erinnert sich Schmidt. Er
       habe versucht, den Polizisten am Telefon die Situation zu erklären. „Ich
       habe gesagt: Wissen Sie, dass Sie dabei sind, einen schwerkranken Mann
       abzuschieben?“ Die Polizisten hätten nur erwidert, dass sie einen Arzt
       dabei hätten, der sich darum kümmert. Wenig später wird Eshetu zum
       Flughafen Franz-Josef-Strauß nach München gebracht.
       
       ## Mit Fußfesseln im Flieger
       
       Es ist der Ort, an dem sich die Wege von Lemlem Beyene aus Witzenhausen,
       Hussen Eshetu aus Bayreuth und Abere Yezachew zum ersten Mal kreuzen.
       Yezachews Erinnerung ist verschwommen, wie bei einem schlechten Traum. Er
       hat das Flugticket aufgehoben: ein Stück Papier mit gold-gelbem Rand. Im
       linken oberen Eck der aufsteigende [1][Kranich des Lufthansa-Logos]. Darauf
       in krakeligen Lettern mit Kuli geschrieben: ET8761 MUC-ADD, YEZACHEW Abere
       Damtie, Bag: 0035.
       
       Zwischen 21 und 22 Uhr hebt das Flugzeug ab. Neben jedem Passagier nehmen
       zwei Polizeibeamte Platz. Yezachew und Eshetu berichten, dass ihnen
       Fußfesseln angelegt wurden und dass ein dritter Polizist hinter ihnen saß.
       „Wann immer ich mich zur Seite drehen wollte, um nur aus dem Fenster zu
       schauen, hat er meinen Kopf festgehalten“, sagt Eshetu.
       
       Im Norden Äthiopiens herrscht zu diesem Zeitpunkt seit fünf Monaten ein
       blutiger Bürgerkrieg, der bis heute Zehntausende Leben gekostet und laut
       UN-Angaben mehr als drei Millionen Menschen vertrieben hat. Auf der einen
       Seite kämpfen die [2][Rebellengruppen der „Volksbefreiungsfront von Tigray“
       (TPLF)], die bis zum Machtwechsel 2018 selbst das Land regiert hat –, auf
       der anderen die [3][äthiopische Armee um Premierminister Abiy Ahmed]
       gemeinsam mit den Streitkräften von Eritrea. 2019 hatte Abiy Ahmed mit
       Eritrea Frieden geschlossen und dafür den Friedensnobelpreis verliehen
       bekommen. Im Frühjahr 2021 weitet sich der Krieg vom Bundesstaat Tigray
       auch auf die Regionen Afar und Amhara aus, jener Bundesstaat, aus dem
       Yezachew kommt.
       
       In den Morgenstunden des 24. März landen Yezachew, Beyene und Eshetu in
       Addis Abeba. Sie reisen in ein Land ein, das sie selbst kaum wiedererkennen
       und von dem sie sagen, dass es ihnen fremd geworden ist. Zu viel Zeit ist
       vergangen, seit sie von hier aufgebrochen sind.
       
       Wenn man mit dem Flugzeug über Addis Abeba kreist, sieht man am Boden ein
       Mosaik, das so recht nicht zusammenpassen will. Monotone, gleichförmige
       Siedlungen, die am Stadtrand wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Hügel
       der Stadt mit den hohen Eukalyptusbäumen. Man sieht die kugelförmigen
       Dächer der orthodoxen Kirchen, die Wolkenkratzer der Banken und Tausende
       von Wellblechdächern, die sich zwischen die Hügel und Hochhäuser quetschen,
       in denen die meisten der Menschen leben. Äthiopien zählt noch immer zu den
       ärmsten Ländern der Welt. Dann taucht man wie in einen trüben Teich in den
       Smog der Großstadt ein, deren Straßen meist von hupenden Autos verstopft
       sind.
       
       ## „Sie sind in der Nacht gekommen“
       
       Ein knappes Jahr später, im März 2022, treffen wir Lemlem Beyene zum ersten
       Mal im Stadtzentrum von Addis, wie es hier alle nur nennen. Sie hat ein
       Tuch um ihren Kopf gewickelt, eine Sonnenbrille auf, trägt eine Maske,
       obwohl in Addis kaum jemand Maske trägt. Sie ist kaum zu erkennen, ein
       wenig sieht sie aus wie eine Agentin auf geheimer Mission. „Ich bin nicht
       gerne draußen“, sagt sie. „Ich habe Angst.“
       
       Vor drei Jahren sei ihr Bruder, ein regimekritischer Journalist, aus
       Eritrea nach Äthiopien geflohen. Kurz darauf sei er tot in einem
       Hotelzimmer aufgefunden worden. Die Umstände des Todes seien bis heute
       nicht geklärt. Aber Beyene sagt: „Hier in Addis wimmelt es von eritreischen
       Geheimdienstlern und ich fürchte mich davor, dass mir das Gleiche
       widerfährt.“ Beyene war nachweislich selbst viele Jahre aktives Mitglied
       der eritreischen Oppositionspartei EPDP, die sich gegen den Diktator Isaias
       Afewerki stellt.
       
       In der Lobby eines kleinen Hotels erzählt sie uns ihre Geschichte. Doch wer
       sie verstehen will, muss versuchen, die Geschichte von Äthiopien und
       Eritrea zu verstehen. Denn als Beyene 1960 als Tochter eritreischer Eltern
       in Addis Abeba geboren wird, ist Eritrea kein eigener Staat, sondern kämpft
       um seine Unabhängigkeit von Äthiopien, das die einstige italienische
       Kolonie am Roten Meer nach dem Zweiten Weltkrieg in Besitz genommen hat.
       Erst 1991 wird Eritrea nach jahrzehntelangem Krieg unabhängig. Kinder
       eritreischer Eltern bekommen automatisch die eritreische Staatsbürgerschaft
       – aber weil sie damals nicht in Eritrea lebt, bekommt Beyene keinen
       eritreischen Pass.
       
       Als 1998 ein Grenzkrieg zwischen Äthiopien und Eritrea ausbricht, lässt die
       äthiopische Regierung Tausende von Eritreern aus Addis Abeba nach Eritrea
       deportieren; viele werden anschließend an die Front geschickt, um gegen
       Äthiopien zu kämpfen. Einer von ihnen ist Beyenes Ehemann. „Sie sind in der
       Nacht gekommen, wie bei meiner Abschiebung, und haben ihn verschleppt.“ Es
       ist das letzte Mal, dass sie ihn sieht.
       
       Beyene selbst wird damals nicht deportiert. Sie traut sich nicht nach
       Eritrea zu ziehen, aus Angst selbst an die Front geschickt zu werden. Aber
       in Äthiopien fühlt sie sich auch nicht mehr sicher. Über mehrere Jahre
       wechselt sie regelmäßig ihre Unterkunft, zuletzt versteckt sie sich
       monatelang bei Nonnen in einem Kloster. Im Jahr 2008 ermöglicht die
       äthiopische Regierung allen Eritreern in Addis einen äthiopischen Pass zu
       erwerben. Beyene nutzt die Möglichkeit, doch sicher fühlt sie sich trotzdem
       nicht. Drei Jahre später kauft sie sich ein Flugticket. Am 24. März 2012
       landet sie in Deutschland. Eine Woche darauf stellt sie als Eritrerin einen
       Antrag auf Asyl.
       
       ## Verhaftet, gefoltert und traumatisiert
       
       Auch Hussen Eshetu treffen wir in Addis. Er sitzt unter einem
       Coca-Cola-Schirm auf der Terrasse eines heruntergekommenen Cafés an einem
       Platz im Zentrum. Von hier aus kann man Straßenkinder beobachten, die
       zwischen den Autos hin und her laufen, versuchen Kaugummis und Masken zu
       verkaufen. Frauen, die am Straßenrand Kaffee in mit Äthiopien-Fähnchen
       bedruckte Tassen ausschenken. Businessmänner mit Sonnenbrillen. Eshetu
       wirkt, als bekäme er von alldem nichts mit, als hätte er die Welt um sich
       herum ausgeblendet.
       
       Im Gymnasium und danach sei er politisch aktiv gewesen, erzählt er. Er habe
       Demonstrationen organisiert und Gedichte geschrieben gegen die TPLF, die
       das Land damals seit mehr als 20 Jahren beherrschte. Eines Tages hätten die
       Sicherheitskräfte das Haus seiner Eltern gestürmt und vor seinen Augen
       seine Mutter erschossen. Er sei verhaftet worden. Im Gefängnis in Addis
       Abeba, wo er über zwei Jahre gefangen gehalten wurde, sei er mehrmals
       gefoltert worden, bevor er 2014 über Nordafrika nach Europa fliehen konnte.
       Im Oktober 2014 stellt er in Schweden einen Asylantrag. Als dieser
       abgelehnt wird, flieht er weiter nach Deutschland, wo er im Oktober 2016
       erneut einen Asylantrag stellt.
       
       Bereits vier Monate zuvor, am 27. Juni 2016, hatte auch Abere Yezachew
       einen Asylantrag gestellt, so steht es auf einem zerknitterten Zettel, auf
       dem er mit blauer Tinte die Eckpunkte seiner Biografie skizziert. Wir
       treffen ihn Ende März in Gondar im Bundesstaat Amhara. Die Sonne brennt mit
       30 Grad vom Himmel. Durch die Straßen schwirren Tuktuks, deren Rückscheiben
       beklebt sind mit den verschiedenen Kaisern Äthiopiens: Haile Selassie,
       Menelik, Tewodros. Und mit Stickern, auf denen #NoMore steht – in
       Anspielung auf US-Militärinterventionen weltweit.
       
       Die Menschen hier sind stolz darauf, dass Äthiopien das einzige
       afrikanische Land ist, das nie kolonialisiert wurde. Viele beschuldigen den
       Westen, die TPLF zu unterstützen, und machen die USA für die Eskalation des
       Bürgerkriegs verantwortlich. Noch vor wenigen Monaten verlief die
       Frontlinie nur 100 Kilometer von hier. Inzwischen ist die Anspannung der
       Normalität gewichen, aber dennoch sind die Folgen des Krieges an jeder Ecke
       zu spüren. Die Preise für Öl und Mehl sind bis um 200 Prozent gestiegen.
       Die Straßen in Gondar sind gesäumt von Bettlern. „Seit dem Krieg ist die
       Wirtschaft am Boden und es gibt keine Arbeit mehr“, sagt Yezachew. Auch für
       ihn nicht.
       
       Auf einem Zettel steht: „Ich war auf dem College vom 16-10-2011 bis
       7-07-2014. Einen Monat später, Ende August, bin ich von der Polizei aus
       politischen Gründen eingesperrt worden und bin für 6 Monate im Gefängnis
       geblieben vom 27. August 2014 bis zum 24-02-2015. Ende Februar konnte ich
       mit Glück aus dem Gefängnis fliehen, habe sofort mein Land verlassen und
       bin in den Sudan gezogen.“ Dort habe er gearbeitet, bevor er weiter
       geflohen sei. Nach Libyen, übers Mittelmeer. Von Italien nach Deutschland.
       
       ## „Ich habe niemandem etwas genommen“
       
       Beyene, Eshetu und Yezachew – sie alle hofften, dass ihre Flucht in
       Deutschland ein Ende findet. Sie ahnten nicht, dass ihre Ankunft bloß der
       Beginn eines neuen Kapitels sein würde. Eines, in dem es um Anerkennung
       geht, um Hoffnung und Angst. Um Kämpfe mit Behörden, die sie wieder
       loswerden wollen. Kämpfe für eine rechtskräftige Entscheidung, die für
       Äthiopier:innen im Jahr 2019 im Schnitt 32 Monate dauern.
       
       Nur etwa 30 Prozent erhalten einen Status, der ihnen ein Recht auf Schutz
       in Deutschland gewährt. Rund ein Drittel der Asylanträge werden negativ
       entschieden. Zwischen 2015 und 2021 wurden 71 Menschen nach Äthiopien
       abgeschoben. Alle anderen leben mit der Duldung und der Angst, dass es
       jederzeit so weit sein könnte. Dass es ihnen so ergeht wie den 17 am 23.
       März.
       
       Abere Yezachews Asylantrag wird 2017 abgelehnt, erzählt er. Die Unterlagen
       liegen uns nicht vor, da sein Anwalt sie nicht herausgeben will – Yezachew
       habe die Rechnung nicht bezahlt. „Wir können davon ausgehen, dass es war
       wie bei vielen äthiopischen Männern“, sagt Sonja Berg vom Verein „Bündnis
       für faires Asylrecht“, der äthiopische Geflüchtete unterstützt.
       „Normalerweise sagt das Gericht, man könnte woanders in Äthiopien hingehen,
       da sei ja genug Platz. Man muss einen ganz individuellen Grund haben, dass
       man nicht nach Äthiopien kann. Bei Frauen ist Beschneidung ein Grund,
       Männer müssen schon hochpolitisch aktiv sein, es reicht nicht, einfach auf
       Facebook zu schreiben ‚Ich habe was gegen Abiy Ahmed‘ oder wen auch immer.“
       
       „Ich habe alles getan“, sagt Yezachew. Zu unserem Treffen hat er alle
       Dokumente mitgebracht, die er für den Termin beim Amt zusammengestellt und
       die er in den Monaten danach gesammelt hat: eine Teilnahmebestätigung der
       Maßnahmen-Kombination „Perspektive für Flüchtlinge“ vom Bildungswerk der
       hessischen Wirtschaft. Eine weitere des Kurses „Perspektive für Jugendliche
       Flüchtlinge“ vom Bildungszentrum Bau Osthessen. Der Nachweis für ein
       Praktikum im Bereich Lagerlogistik.
       
       Zweieinhalb Jahre arbeitete er nach dem Praktikum für eine Zeitarbeitfirma,
       die ihn als Lageristen vermittelte. Erst ein halbes Jahr im Lager von
       Amazon, dann bei einem lokalen Bauunternehmen, später bei Hermes, zuletzt
       bei der GLS in Bad Hersfeld. „Ich habe niemandem etwas genommen“, sagt er.
       „Ich hatte Freunde, ich habe gearbeitet und Steuern gezahlt.“
       
       Was Abere Yezachew nicht weiß: Er hätte trotz seines abgelehnten
       Asylbescheids eine Chance gehabt. Die Chance auf Beschäftigungsduldung. Ein
       Jahr nach Ablehnung seines Asylbescheids und nach eineinhalb Jahren
       Vollzeitbeschäftigung hätte er einen Antrag stellen können. „Er hätte gute
       Chancen gehabt“, sagt Sonja Berg. Doch die Ausländerbehörde hat Yezachew
       nicht über diese Möglichkeit informiert.
       
       ## Psychologische Gutachten lassen das Gericht kalt
       
       Auch Hussen Eshetus Asylantrag wird zunächst abgelehnt. Das Gericht hielt
       seine Schilderungen für unglaubwürdig. Bereits in Schweden sei sein Antrag
       abgelehnt worden, damals habe er nichts von seiner toten Mutter erzählt.
       Auch wenn er sagt, dass er damals zu traumatisiert gewesen sei, um die
       volle Wahrheit zu erzählen: Das Gericht glaubt ihm nicht mehr. Doch Eshetu,
       damals 31, schöpft neue Hoffnung, als er einen Mann kennenlernt, der bald
       wie ein Vater für ihn wird: Hanns-Georg Schmidt.
       
       An einem Nachmittag Anfang März sitzt Eshetu in Addis Abeba mit einem
       Laptop auf dem Schoß und wippt nervös mit dem Fuß. Als auf dem Bildschirm
       das Gesicht eines älteren Mannes mit brüchiger Stimme und weißem Haar
       erscheint, ruft er: „Hanns-Georg, Hanns-Georg, wie geht es dir,
       Hanns-Georg? Ich vermisse dich, Hanns-Georg“. Fast vier Jahre ist es her,
       dass das Gericht in Bayreuth ihm Hanns-Georg Schmidt als gesetzlichen
       Betreuer zur Seite stellte. Da hatte Eshetu bereits mehrere mehrmonatige
       Psychiatrieaufenthalte und einen Selbstmordversuch hinter sich. „Der junge
       Mann war am Boden zerstört“, sagt Schmidt. „Aber wir haben geschafft, ihn
       zu stabilisieren.“ Zwischendrin habe er sogar ehrenamtlich bei der
       Stadtmission in Bayreuth mitgearbeitet.
       
       Schmidt trifft sich nicht nur mehrmals pro Woche mit Hussen Eshetu, er
       bemüht sich auch, das Asylverfahren wieder aufzunehmen mit einem
       Asylfolgeverfahren, in dem er neue Gründe anführt, warum Eshetu bleiben
       darf: Es geht jetzt um seine psychische Erkrankung. Schmidt beauftragt zwei
       Gutachterinnen, die feststellen, dass die Inhaftierung, die körperliche
       Folter, der Tod seiner Mutter sowie der Tod von anderen Geflüchteten
       während der Fahrt über das Mittelmeer als traumatische Situationen gewirkt
       haben. Mit der Belastungsstörung sei auch eine immer wieder auftretende
       ernsthafte Suizidalität verbunden.
       
       „Es war klar, dass man ihn auf keinen Fall dorthin abschieben kann“, sagt
       Schmidt. Doch das Gericht lässt die Gutachten kalt. Sie hätten keine
       Gültigkeit, da sie nicht von einem Facharzt erstellt worden seien, heißt
       es. Zwar ist die Gutachterin promovierte Psychologin, Psycho- und
       Traumatherapeutin – doch das reicht nicht. Im Dezember 2020 schreibt das
       Bayreuther Verwaltungsgericht in seinem Urteil zum Asylfolgeverfahren, dass
       sich auch das zweite von einer Fachärztin für Psychiatrie erstellte
       Gutachten auf persönliche Eindrücke, vage Anhaltspunkte oder vorherige
       ärztliche Stellungnahmen stütze und damit ungültig sei. Seine Medikamente
       könne Eshetu in Addis Abeba umstellen.
       
       Den Brief mit der Zurückweisung der Berufung bekommt seine Anwältin am 22.
       März 2021; das Bamf hatte in einer früheren Begründung geschrieben: „Er
       kann auf den Familienclan zurückgreifen“, die elf Geschwister könnten sich
       um ihn kümmern. Noch bevor Hanns-Georg Schmidt Eshetu über das Schreiben
       informieren kann, wird der abgeschoben.
       
       ## Neu-Eichenberg, die Heimat
       
       Lemlem Beyenes Hände zittern, als sie die zerknitterten DIN A4-Bögen aus
       ihrer Tasche zieht. Draußen rasen auf der Stadtautobahn Lastwagen vorbei.
       Drinnen versucht sie gegen den Lärm der Stadt anzukommen. Auf Deutsch liest
       sie die Zeilen der Briefe vor, die ihre Freundinnen aus Hessen geschickt
       haben:
       
       Liebe Lemlem, auch wenn schon einige Wochen vergangen sind, es ist in
       unserer Runde immer wieder das Gespräch von Deiner so brutalen Abschiebung,
       für die man keine Worte und keine Erklärung findet? Das “warum“ bleibt und
       vor allem versteht niemand, warum ein Mensch, der sich so gut in der
       Gemeinschaft eingelebt hatte, der jederzeit hilfsbereit für andere da
       gewesen ist, auf einmal – nach fast zehn Jahren – ausgewiesen wird. 
       
       Immer wieder erzählt Beyene von ihrer Heimat, wie sie Neu-Eichenberg mit
       seinen alten Fachwerkhäusern nennt. Und davon wie sie kurz nach ihrer
       Ankunft in der Geflüchtetenunterkunft am Sonntag 40 Minuten zu Fuß zur
       Kirche lief. Sie erzählt von ihren Besuchen bei den Schwestern von
       Bethlehem im Kloster Wollstein und davon, wie sie selbstgebackenes Brot
       mitgebracht hat. Von ihrem Praktikum im Kindergarten und dem in der
       Pflegeeinrichtung. Wie zum Beweis zeigt sie die Fotos von ihrem
       Beurteilungsbogen des Seniorenwohnheims Hospital St. Elisabeth auf ihrem
       Smartphone:
       
       Frau Beyene ist pünktlich ++ motiviert ++ zuverlässig ++ erledigt Aufgaben
       selbstständig ++ teamfähig ++ belastbar ++ kontrolliert ihre
       Arbeitsergebnisse ++ ist handwerklich geschickt ++ hat Ordnung am
       Arbeitsplatz ++ 
       
       Überall steht ein [4][„]sehr gut“. Dennoch wird auch Lemlem Beyenes
       Asylantrag abgelehnt. Obwohl sie angibt, Eritreerin zu sein und die
       äthiopische Botschaft zunächst bestreitet, dass sie Äthiopierin ist, gehen
       die deutschen Behörden von einer äthiopischen Staatsbürgerschaft aus, und
       außerdem davon, dass sie sicher dorthin zurückkehren kann. Sollte Beyene
       doch Eritreerin sein, könne sie sich in Äthiopien problemlos eine
       unbefristete Aufenthaltserlaubnis besorgen. Eritreer:innen wurden in
       Deutschland 2021 im Gegensatz zu Äthiopier:innen in 84 Prozent der Fälle
       Schutz gewährt.
       
       Wenn Beyene von den deutschen Behörden spricht, verengen sich ihre Augen.
       Da ist Trauer und Wut. In einem Mix aus Englisch und Deutsch sagt sie: „Und
       das ist der Grund, warum sie mich behandeln wie eine Verbrecherin? Meine
       Heimat ist Deutschland, nicht Addis Abeba.“ Gemeinsam mit ihrer Anwältin
       will sie beweisen, dass Deutschland sie unrechtmäßig abgeschoben hat. Sie
       will den Albtraum zurückdrehen. Bis zum 23. März, dem Tag ihrer
       Abschiebung.
       
       ## Von Warteschleife zu Warteschleife
       
       Claire Deery hat damals den ganzen Tag an Beyenes Fall gearbeitet, als nach
       vielem Hin und Her um 16.28 Uhr das Fax mit dem positiven Eilbeschluss des
       Verwaltungsgerichts Kassel bei ihr eingeht. Darin steht, dass Beyene erst
       abgeschoben werden darf, wenn das Bamf über den Asylfolgeantrag entschieden
       hat. Deery freut sich, sie ist sich sicher: Jetzt muss die Bundespolizei
       Beyene am Flughafen in München freilassen. Dies fordert sie auch per Fax
       von der Bundespolizei in München, dann ruft sie dort an, insgesamt vier Mal
       zwischen 16.30 und 21 Uhr, bevor das Boarding des Fliegers beginnt.
       
       Doch die Polizisten halten sie hin. „Ich wurde von Warteschleife zu
       Warteschleife geschickt. Ich habe mich echt verschaukelt gefühlt.“
       Gleichzeitig ist es zu spät, um einen Richter zu erreichen, der den
       Beschluss durchsetzen könnte. Die Polizei lässt Beyene nicht gehen. Um
       17.23 Uhr wird der Asylfolgeantrag vom Bamf als unzulässig abgelehnt. Doch
       das erfahren Claire Deery und Beyene erst, als ihnen am 30. März das
       Schreiben zugestellt wird. Deery sagt: „Das bedeutet aber, dass die
       Abschiebung vor der Zustellung des Bescheids des Bamf erfolgte und wir
       somit gar keine Möglichkeit hatten, rechtlich dagegen vorzugehen.“
       
       Ist es das wert? Die Abschiebung von 17 Personen in ein Land, in dem zu
       diesem Zeitpunkt ein Bürgerkrieg herrscht, dessen Verlauf nur schwer
       abzuschätzen ist. Darunter ein schwerkranker Menschenrechtsaktivist mit
       Schwerbehindertenausweis. Eine 60-jährige Frau, die seit neun Jahren in
       Deutschland lebt, die Äthiopien zunächst nicht mal als Staatsbürgerin
       anerkennen wollte. Und ein junger Mann, der seit Jahren auf dem deutschen
       Arbeitsmarkt integriert ist. 17 Abschiebungen zum Preis von 430.000 Euro,
       gezahlt von der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex – und somit von
       europäischen Steuergeldern.
       
       „430.000 Euro! Die schaden Deutschland. Die hätten das Geld besser den
       Armen oder den Hungernden geben können, stattdessen schieben sie uns ab!“,
       sagt Lemlem Beyene. Währenddessen versuchen die jeweils zuständigen
       Ausländerbehörden das Geld von den Abgeschobenen einzutreiben. Wenige Tage
       nach der Abschiebung bekam Hussen Eshetu eine Rechnung über 4.813,02 Euro,
       die er für seine Abschiebung zu zahlen habe.
       
       ## Zu viert auf 10 Quadratmetern
       
       Inzwischen hat die Bundesregierung im Koalitionspakt Änderungen
       beschlossen: Nach sechs Jahren Duldung sollen abgelehnte
       Asylbewerber:innen die Möglichkeit bekommen, ein Bleiberecht zu
       beantragen und die Beschäftigungsduldung soll entfristet werden. In der
       Vergangenheit musste man ein Jahr geduldet sein, bevor eine
       Beschäftigungsduldung beantragt werden konnte – ein Jahr, das den Behörden
       blieb, um abzuschieben. Wäre letzteres bereits umgesetzt worden, oder hätte
       Abere Yezachew von der Beschäftigungsduldung gewusst, dann hätte zumindest
       er eine solche beantragen können, sagt Unterstützerin Sonja Berg.
       
       Stattdessen versuchen Abere Yezachew, Hussen Eshetu und Lemlem Beyene zu
       verstehen, wie es weitergehen soll. Noch immer herrscht Krieg im Norden
       Äthiopiens. Yezachew lebt inzwischen im Erdgeschoss eines Rohbaus in einem
       Vorort von Gondar auf rund 10 Quadratmetern, die er sich mit drei Freunden
       teilt. Bei seiner Ankunft hatten ihm Mitarbeiter einer Hilfsorganisation am
       Flughafen einen Flyer in die Hand gedrückt, darauf die Zeichnung einer
       Schwarzen Frau, die einer anderen in die Arme fällt. Darüber steht:
       „Reintegration Assistance Guide for Returnees – Nothing is like home!“
       
       Yezachew hat niemanden hier. Seine Eltern leben in einem Dorf außerhalb der
       Stadt, er trifft sie nur selten. „Ich schäme mich, ich habe nichts“, sagt
       er. Nach seiner Rückkehr habe er einen Antrag bei der EU-Initiative ERRIN
       gestellt, um Unterstützung zu beantragen. Er sagt, er brauche Bargeld für
       die Miete, aber das gibt es nicht. Stattdessen bekommt Yezachew einen
       Rasierapparat und einen Plastikstuhl. „Sie haben gesagt, ich soll einen
       Friseursalon aufmachen.“ Er lacht müde. „Ich habe noch nie vorher Haare
       geschnitten.“ Er weiß: Es gibt keinen Weg zurück. Er wird nicht noch einmal
       sein Leben auf dem Mittelmeer riskieren.
       
       Auch Hussen Eshetu ist bei Freunden untergekommen. Seit seiner Rückkehr hat
       er seinen Vater erst einmal gesehen. Auch er spricht von der Scham, die ihn
       daran hindert, den Verwandten unter die Augen zu treten. Und den
       „Familienclan“, den das Gericht beschrieb? Den gibt es nicht. Zu den
       Geschwistern hat er keinen Kontakt mehr.
       
       Dafür braucht er jeden Tag seine Tabletten gegen die Depressionen, die
       Posttraumatische Belastungsstörung. 300 mg Quatipin, 100 mg Seratalin, 50mg
       Quatipin retard. Alle drei Monate schickt ihm Hanns-Georg Schmidt ein
       Päckchen mit den Medikamenten, weil Hussen sie in Addis Abeba nicht findet.
       Wenn er von seiner Zeit in Deutschland spricht, treten ihm die Tränen in
       die Augen, wenn er von der Abschiebung spricht, zittert er. Seine einzige
       Hoffnung ist Schmidt. Der hat zuletzt eine Petition beim deutschen
       Bundestag eingereicht, in der Hoffnung, dass dieser überprüft, ob das
       Asylverfahren korrekt durchgeführt wurde. Schmidt sagt: „Es ist die letzte
       Möglichkeit, die uns noch bleibt“.
       
       Lemlem Beyene geht nur von der Wohnung ihrer Freundin in die Kirche. Wenn
       sie an den Kaffeeständen mit ihren bunten Plastikschemeln vorbeiläuft, an
       den Schuhputzerjungen und den Arbeiter:innen, die morgens und abends in
       hundert Meter langen Schlangen auf die Kleinbusse warten, die sie in die
       Stadt hinein- oder aus ihr hinaustragen, dann spürt sie die Blicke
       vermeintlicher Agenten. Bildet sie sich das ein, oder sind sie wirklich da?
       Beyene will den Blicken entkommen.
       
       Zwei Verfahren sind noch anhängig, sagt Beyenes Anwältin Claire Deery. Das
       Asylfolgeverfahren gegen dessen negativen Entscheid sie Klage eingelegt
       hat. Und das Rückführungsverfahren, mit dem sie gegen die unrechtmäßige
       Abschiebung vorgeht. Deery rechnet sich gute Chancen aus, die Verfahren zu
       gewinnen, doch bis sie entschieden sind, können Jahre vergehen.
       Währenddessen läuft Beyene ängstlich durch Addis Abeba. Den Glauben an den
       Rechtsstaat hat sie verloren. Gott sei der Einzige, auf den sie sich
       verlassen könne.
       
       24 Apr 2022
       
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