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       # taz.de -- Nach Erdogans Niederlage in Istanbul: Kritik an Wahlwiederholung
       
       > Die oberste türkische Wahlkommission hat das Votum bei der Kommunalwahl
       > in Istanbul annuliert. Präsident Erdogans AKP hatte die Wahl verloren.
       
   IMG Bild: Schlechter Verlierer: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
       
       Istanbul rtr | Die oberste türkische Wahlkommission hat über einen Monat
       [1][nach der Niederlage der AK-Partei] von Präsident Recep Tayyip Erdogan
       bei der Kommunalwahl in Istanbul das Votum annulliert. Das Gremium
       begründete seine Entscheidung mit Unregelmäßigkeiten bei der Wahl und
       ordnete eine Wiederholung für den 23. Juni an. Der bereits zum
       Bürgermeister ernannte Ekrem Imamoglu von der oppositionellen CHP warf der
       Wahlkommission vor, unter dem Einfluss der AKP zu stehen.
       
       Erdogan hatte wiederholt die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses [2][in der
       größten türkischen Kommune angezweifelt]. Die Lira gab unmittelbar nach
       Bekanntwerden der Entscheidung des Gremiums nach. In Istanbul sahen
       Augenzeugen der Nachrichtenagentur Reuters in verschiedenen Distrikten
       Menschen, die auf Töpfe und Pfannen schlugen, um so gegen die Entscheidung
       der Wahlkommission zu protestieren.
       
       Der stellvertretende CHP-Chef Onursal Adigüzel erklärte: „Dieses Regime,
       das den Willen des Volkes übergeht und die Gesetze missachtet, ist weder
       demokratisch noch legitim. Es ist eine reine Diktatur.“ Kritik kam auch aus
       Europa. Die Türkei-Beauftragte des Europa-Parlaments, Kati Piri, sagte,
       damit werde der Glaube an eine demokratische Übertragung der Macht durch
       Wahlen beendet.
       
       Die Republikanische Volkspartei CHP war bei der Kommunalwahl in Istanbul am
       31. März mit nur 13.000 Stimmen oder 0,2 Prozentpunkten Vorsprung vor der
       islamisch-konservativen AKP zum Sieger ernannt worden. Daraufhin war der
       CHP-Politiker Imamoglu zum neuen Bürgermeister ernannt worden.
       
       ## Gülen gilt als Strippenzieher
       
       Beobachter werteten dies als persönlichen Rückschlag für Erdogan, der sich
       stark im Wahlkampf engagiert hatte und in den 1990er Jahren Bürgermeister
       von Istanbul war. Es war das erste Mal seit 25 Jahren, dass die AKP die
       Wahlen in Istanbul verlor. Der bei der Wahl im März unterlege AKP-Kandidat
       Binali Yildrim kündigte ebenso wie Imamoglu von der CHP an, sich wieder zur
       Wahl zu stellen.
       
       Der Vertreter der AKP in der Wahlkommission, Recep Özel, sagte das Ergebnis
       sei annulliert worden, weil Ergebnislisten ohne Unterschriften
       berücksichtigt worden waren und weil in manchen Wahllokalen Menschen
       gearbeitet hätten, die keine Staatsbedienstete seien. In Ankara versperrte
       die Polizei vorsorglich den Zugang zu dem Gebäude der obersten
       Wahlkommission.
       
       Nach der Wahl haben nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur
       Anadolu Staatsanwälte Ermittlungen wegen des Vorwurfs von
       Unregelmäßigkeiten bei der Wahl eingeleitet. Die staatliche Agentur
       berichtete, dabei habe sich herausgestellt, dass 43 Behördenmitarbeiter in
       Verbindung mit dem Netzwerk des im US-Exil lebenden Predigers Fetullah
       Gülen stünden. Erdogan sieht in Gülen den Strippenzieher hinter dem
       gescheiterten Militärputsch von 2016. Gülen weist diesen Vorwurf zurück.
       
       Die Entscheidung der Wahlkommission droht die ohnehin angespannte
       wirtschaftliche Lage zu verschärfen. „Dies beschädigt den Ruf der Türkei
       als Demokratie und er wird die türkische Wirtschaft verletzbar machen“,
       sagte der Analyst Timothy Ash von Blue Bay Asset Management unter Verweis
       auf Risiken für die finanzielle Stabilität der Türkei.
       
       ## Kritik aus Deutschland
       
       Abgeordnete der deutschen Koalitionsfraktionen haben die Annullierung der
       Kommunalwahl in der türkischen Millionenstadt Istanbul kritisiert. Der
       menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Brand (CDU),
       sagte dem Spiegel: „Wer so lange wählen lassen will, bis ihm das Ergebnis
       passt, der ist ein lupenreiner Anti-Demokrat.“ Das sei „eine weitere Etappe
       in einem gezielten Abdriften in eine Diktatur“. „Berlin und Brüssel dürfen
       nicht achselzuckend an der Seitenlinie stehen bleiben. Europa darf gerade
       jetzt die pro-europäischen Kräfte in der Türkei nicht im Stich lassen.“
       
       Der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, sagte dem Spiegel:
       „Früher hat die AKP die Annullierung von knappen Wahlen mit dem Argument
       abgelehnt, die Opposition sei ein schlechter Verlierer. Jetzt will sie so
       lange wählen lassen, bis das Ergebnis passt.“ Schmid meint: „Die Bürger
       Istanbuls werden das nicht durchgehen lassen.“
       
       7 May 2019
       
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