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       # taz.de -- Nach den Anschlägen von Paris: „Wir sind im Krieg“
       
       > Paris befindet sich im Schockzustand. 129 Tote und 352 Verletzte haben
       > die Terrorattacken gefordert. Und noch sind viele Fragen offen.
       
   IMG Bild: Paris am Sonntagmorgen.
       
       PARIS taz | Die Zeit ist in Paris stehen geblieben. „Nichts wird sein wie
       vorher“, sagt ein 40-jähriger Mann, der mit seiner Tochter am Samstagabend
       vor der Statue auf der Place de la République eine Kerze anzündet. „Eine
       Woche zuvor waren wir im Konzertsaal Le Bataclan. Es hätte also genauso uns
       treffen können. Es ist furchtbar“, sagt er aufgewühlt. Er hat Mühe, die
       Fassung zu bewahren.
       
       Er ist nicht der Einzige. Neben ihm weinen andere Menschen, die wie er zu
       diesem Platz gekommen sind, weil sie ganz einfach das Bedürfnis haben,
       etwas zu tun; um nicht allein mit ihrem Schmerz und ihrer Angst zu sein.
       Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar hatten sich hier spontan
       Tausende eingefunden, um einmütig für die Freiheit und gegen den
       Terrorismus zu demonstrieren.
       
       Eigentlich sind wegen des verhängten Notstands alle öffentlichen
       Kundgebungen oder Versammlungen aus Sicherheitsgründen verboten. Regelmäßig
       kommen Polizisten an diesem Samstag nach der Terrornacht zur Place de la
       République, der als Symbol für Frankreichs Devise „Liberté, Egalité,
       Fraternité“ steht. Und das sind keine leeren Worte, vor allem nicht in
       einer solch schicksalhaften Stunde. Die Sicherheitskräfte mahnen darum nur
       pflichtgemäß die Leute, nicht länger zu verweilen, doch sie drängen nicht
       zu sehr. Auch sie machen kein Geheimnis daraus, dass sie sich ebenso
       betroffen fühlen.
       
       Ein paar taktvolle Schritte davon entfernt haben Fernsehteams ihre
       Fahrzeuge mit Satellitenantennen aufgestellt, im Scheinwerferlicht geben
       Journalisten ihre Kommentare. Auch ein paar hundert Meter weiter, am
       Boulevard Voltaire vor dem Bataclan, legen Leute Kerzen und Blumen nieder.
       Unter ihnen Bono und die Gruppe U2, die ihr Pariser Konzert aus Solidarität
       mit den Terroropfern abgesagt hat.
       
       Wenig später tritt der Staatsanwalt von Paris, François Molins, vor ein
       Mikrofon, er schaut zuerst aus seinen traurigen und übernächtigten Augen in
       die Kamera und liefert dann so ruhig und sachlich wie möglich den
       Journalisten, die tausend Fragen haben, die ersten offiziellen Erkenntnisse
       der Ermittlungen. Zuerst erwähnt er die noch vorläufige, aber furchtbare
       Opferbilanz: 129 Tote, 352 Verletzte, von denen 99 sich noch in einem
       kritischen Zustand befinden.
       
       Festnahmen in Brüssel 
       
       Zu den Attentätern sagt er: „Es waren drei wahrscheinlich untereinander
       koordinierte Gruppen.“ Sieben Terroristen sind tot, sie haben sich in die
       Luft gesprengt. Einer von ihnen wurde aufgrund seiner Fingerabdrücke rasch
       identifiziert. Es ist ein 29-Jähriger aus dem Pariser Vorort Courcouronnes.
       Molins präzisiert zu den mutmaßlichen Motiven der Terroristen, dass diese
       laut Zeugen im Bataclan Frankreichs Interventionen in Syrien und im Irak
       erwähnt hätten.
       
       Drei weitere Verdächtige, die der französischen Polizei nicht bekannt
       waren, sind in Belgien in Molenbeek, einem Außenquartier von Brüssel
       festgenommen worden. Einer von ihnen soll eines der beiden Fahrzeuge
       gemietet haben, das bei den Anschlägen im Zentrum von Paris verwendet
       wurde. Die Fahndung nach möglichen Komplizen auch in Frankreich geht
       fieberhaft weiter. Ein zweiter Terrorist ist laut Le Figaro identifiziert
       worden. Am Sonntag wurden Angehörige zur Befragung festgenommen und ihre
       Wohnungen durchsucht.
       
       Später meldete die griechische Polizei, die französischen Behörden hätten
       Amtshilfe erbeten bei der Suche nach zwei Männern, deren Daten angeblich in
       diesem Jahr in Griechenland registriert worden seien. Ein syrischer und ein
       ägyptischer Pass waren in der Nähe des Stade de France gefunden worden, wo
       am Freitag drei Selbstmordattentäter ihre Sprengstoffladungen gezündet
       hatten. Außer den Terroristen selbst kam dabei ein unbeteiligter Mann ums
       Leben.
       
       Grauenhafte Bilanz 
       
       Noch bleiben viele Fragen offen und Zusammenhänge unklar. Die französischen
       Medien haben inzwischen versucht, den Ablauf der Ereignisse des Schwarzen
       Freitags zu rekonstruieren: Während des Fußballspiels
       Frankreich-Deutschland kam es um 21.20 Uhr kurz hintereinander zu zwei
       Detonationen, später erfolgte eine dritte. In der Halbzeit wurde
       Staatspräsident François Hollande vorsichtshalber evakuiert. Um eine Panik
       zu vermeiden, wurde das Match nicht angebrochen. Inzwischen war klar
       geworden, dass sich drei Terroristen an drei Stellen außerhalb des Stadions
       in die Luft gesprengt hatten. Man kann sich kaum vorstellen, welches
       Blutbad sie angerichtet hätten, wenn es ihnen gelungen wäre, sich unter die
       80.000 Zuschauer zu mischen.
       
       Fast gleichzeitig, um 21.25 Uhr, schießen Terroristen an der Ecke Rue
       Bichat/Rue Alibert, in der Nähe der sehr belebten Quais des Canal
       Saint-Martin, aus einem schwarzen Seat mit automatischen Waffen auf die
       zahlreichen Gäste, die auf den Terrassen der Bar Le Carillon und des
       Restaurants Le Petit Cambodge sitzen. Aus dem selben Fahrzeug werden kurz
       danach auf die Pizzeria La Casa Nostra an der Rue de la Fontaine-au-Roi bei
       der Place de la République mehrere tödliche Salven abgegeben. Dann setzen
       die Attentäter ihre Fahrt fort und richten vor der Bar À la belle Equipe an
       der Rue Charonne ein drittes Massaker an.
       
       Kurz danach fährt vor dem Club Le Bataclan ein schwarzer Polo vor. Die drei
       Insassen steigen aus, töten zuerst das Personal am Eingang und dringen in
       den Saal ein, wo vor 1500 Leuten die US-Rockband Eagles of Death Metal
       spielt. Die Terroristen beginnen, systematisch und kaltblütig zu morden.
       Als die Polizei später den Saal stürmt, sprengen auch sie sich in die Luft.
       Die Bilanz ist grauenhaft, allein im Bataclan sind mehr als 80 Todesopfer
       zu beklagen. Zuletzt nahm sich im Restaurant Au Comptoir Voltaire ein
       weiterer Terrorist das Leben genommen, bei der von ihm ausgelösten
       Explosion wurde eine Person schwer verletzt.
       
       Viele Schulen und Geschäfte bleiben zu 
       
       An allen Tatorten treffen sehr schnell die Ambulanzen ein, um die
       zahlreichen Verletzten in die Krankenhäuser zu transportieren, wo ein
       Katastrophenplan inkraft gesetzt wird. Auch ohne spezielle Anfrage eilen
       sehr viele Ärzte und PflegerInnen in die Notfallstationen, um dort zu
       helfen. Am Samstag spenden mehr als 1500 Freiwillige Blut. Doch Paris ist
       wie eine ausgestorbene Stadt. Unabhängig vom offiziell verhängten Notstand
       sind außer den Schulen auch zahlreiche Geschäfte zu. In Frankreich herrscht
       seit dem Freitagabend Entsetzen, Wut und Trauer. Einziger Lichtblick ist
       die Solidarität aus aller Welt.
       
       Unübersehbar sind auch die politischen Folgen dieser Terrornacht. Die
       Regierungsmitglieder und Politiker aller Parteien sind nicht weniger
       schockiert als die übrige Bevölkerung, sie ringen nach passenden Worten und
       beschwören die nationale Einheit. Premierminister Manuel Valls sagt, was
       alle ohnehin gemerkt haben: „Wir sind im Krieg.“
       
       15 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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