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       # taz.de -- Nach der Explosion im Hafen von Beirut: Jedes Metallstück ein stiller Zeuge
       
       > Der Libanon versteigert Metallschrott der Explosion am Hafen vor drei
       > Jahren. Die Angehörigen der Opfer klagen: so verschwinden
       > Beweismaterialien.
       
   IMG Bild: Metallschrott, Schiffscontainer, das zerstörte Silo – Panorama des Beiruter Hafens im August 2023
       
       Beirut taz | Der Libanon versteigert in einer öffentlichen Auktion den
       Metallschrott aus der Explosion im Beiruter Hafen. „Zehntausende Meter“
       sollen auf dem Hafengelände in Beirut von dem Schutt befreit werden,
       kündigte der geschäftsführende Minister für öffentliche Arbeiten, Ali
       Hamieh, an – und [1][die leeren Staatskassen] so ein wenig gefüllt werden.
       
       Bei der [2][Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020] gingen – nach
       Angaben der damaligen libanesischen Regierung – 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat
       in die Luft. Durch die Detonation in der Hauptstadt des Libanon starben
       mindestens 220 Menschen, rund 6.000 wurden verletzt, die Häuser von 30.000
       Einwohnerinnen und Einwohnern zerstört.
       
       Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen schätzt den von der Explosion
       hinterlassenen Schutt und Metallschrott im Hafen auf 397.000 Tonnen.
       Eingedelltes Gestänge, kaputte Autogehäuse und zerquetschte
       Schiffscontainer wurden einige Monate nach der Explosion zur Seite geräumt.
       Die giftigen Chemikalien Salzsäure, Aceton, Wasserstoffperoxid und
       Flusssäure, sowie verunreinigter Abfall wurden zur sicheren Entsorgung nach
       Deutschland gebracht.
       
       Im Oktober startet die öffentliche Auktion für den übergebliebenen
       Metallschrott. Das Startgebot liegt bei 750 US-Dollar.
       
       ## Hisbollah und Verbündete behindern die Untersuchungen
       
       Eigentlich eine gute Sache: Das Metall wird als Recyclingware verkauft, mit
       dem Gewinn die maroden Staatskassen gefüllt. Doch die Untersuchungen zum
       Hergang der Explosion sind noch nicht abgeschlossen. Seit zwei Jahren steht
       die Untersuchung still, der Generalstaatsanwalt hat mittlerweile alle 17
       Verdächtigen aus dem Gefängnis entlassen. Bis heute wurde niemand belangt.
       [3][Politiker behindern die innerstaatliche Untersuchung] – hauptsächlich
       die schiitische, von Iran unterstützte Partei und Miliz [4][Hisbollah],
       sowie ihre Verbündeten, der Justizminister und Generalstaatsanwalt.
       
       Statt die Untersuchung wieder aufzunehmen, fokussiert sich die
       Übergangsregierung auf Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte im Hafen.
       Minister Hamieh gab an, die Versteigerung zeige, dass der Hafen von Beirut
       keine „Geisel lokaler und internationaler politischer Spannungen“ sei. Die
       monatlichen Einnahmen des Hafens beliefen sich auf über 10 Millionen
       Dollar. Ein französisch-libanesisches Unternehmen hatte die Geschäfte im
       Februar 2022 übernommen.
       
       Für viele Menschen in Beirut ist der Hafen ein Tatort – solange, bis die
       Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. So auch für Mariana
       Fodoulian. Ein Verbrecher behalte die Beweise oder Zeugen seines
       Verbrechens nicht, sagt sie. „Das ist das Erste, was sie loswerden wollen.“
       Mariana Fodoulian hat ihre Schwester Gaïa durch die Explosion im August
       2020 verloren. Seitdem ist sie Teil des Zusammenschlusses der Angehörigen
       der Explosionsopfer. Seit drei Jahren demonstrieren sie jeden Monat vor dem
       Hafen in Beirut für Aufklärung und Gerechtigkeit.
       
       „Mal geht es um das Metall, mal um die Silos, mal um die Ermittlungen. Sie
       tun alles, um uns zum Aufhören zu bewegen oder uns zu schwächen. Aber wir
       werden weiterhin für jedes Beweisstück kämpfen, das wir für die
       Ermittlungen benötigen. Um jedes Stück, das wir brauchen, um die Menschen
       immer wieder an die Explosion zu erinnern.“
       
       ## Die Kampagne der stummen Zeugen
       
       Die Familien haben gemeinsam mit Ingenieur*innen die „Kampagne der
       stummen Zeugen“ gestartet. Darin fordern sie, die Weizensilos und Teile des
       Hafens als Zeugen des Geschehens vom 4. August zu erhalten.
       
       Es waren die [5][Betonmauern der Weizensilos], die den Westteil Beiruts vor
       der Druckwelle abschirmten. Vergangenes Jahr kollabierten Teile der
       Betonzylinder. Im April 2022 beschloss das libanesische Kabinett den Abriss
       der Silos. Doch sie stehen bis heute – wie ein Mahnmal. Im August dieses
       Jahres wandte sich der geschäftsführende Wirtschaftsminister Amin Salam an
       Kuwait und fragte nach finanzieller Hilfe für den Wiederaufbau der
       Getreidesilos.
       
       7 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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   DIR [4] https://www.occrp.org/en/investigations/a-hidden-tycoon-african-explosives-and-a-loan-from-a-notorious-bank-questionable-connections-surround-beirut-explosion-shipment
   DIR [5] /Nach-der-Hafenexplosion-im-Libanon/!5867191
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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