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       # taz.de -- Nach der Wahl in Thüringen: Ramelow ist die Mitte
       
       > Die geschlagene Thüringer CDU drückt die Linkspartei rhetorisch an den
       > Rand – das ist bizarr. Der Regierungschef ist ein Versöhner mit
       > Machtoptionen.
       
   IMG Bild: Hat nicht nur die Hundeleine in der Hand, sondern auch die Macht: Bodo Ramelow mit Ehefrau
       
       Der thüringische CDU-Chef Mike Mohring hat am Sonntag im Fernsehen – es war
       ein paar Minuten nach halb sieben – einen Satz gesagt, der zu denken gibt.
       „Dass die demokratische Mitte keine Mehrheit bekommen hat, ist das
       bitterste Ergebnis dieses Wahlabends.“ Bestimmt beschreibt das gesteigerte
       Adjektiv „bitterste“ Mohrings Erlebniswelt an diesem Abend. [1][Denn mit
       nicht einmal 22 Prozent] hat der Spitzenkandidat die Thüringer CDU auf das
       schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte heruntergefahren. Und es ist
       tatsächlich auch so, dass die winzige Regierungsoption aus CDU, SPD, Grünen
       und FDP, an die sich Mohring im Wahlkampf klammern konnte, keine Mehrheit
       bekommen hat.
       
       In dem Satz steckt jedoch etwas anderes: Er drückt aus, dass der Wahlsieger
       Bodo Ramelow mit seinen 31 Prozent nicht zur Mitte gehöre. Oder jedenfalls
       nicht zur demokratischen, was die Nebenfrage aufwirft, worum es sich bei
       der undemokratischen Mitte im Parteienspektrum eigentlich genau handeln
       würde. Undemokratisch, aber Mitte – hä?
       
       Allein, dass Mohring Ramelow an den Rand gedrängt sehen möchte, ist
       bemerkenswert. Dass CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak oder FDP-Chef
       Christian Lindner an Wahlabenden ein bisschen ausgrenzen, geht ja in
       Ordnung. Sie müssen die Linkspartei so rot wie möglich malen, damit ihr
       eigenes Grau wie ein kräftiger Farbton wirkt. Aber Mohring ist nicht im
       Adenauer-Haus in Berlin auf die Welt gekommen, sondern in Apolda. Er kennt
       Thüringen, wo längst andere Verhältnisse gelebt werden als die westdeutsche
       Gesäßgeografie von anno dazumal. Die Linkspartei mag in Westdeutschland
       noch regelmäßig merkwürdiges Zeug fabrizieren. Aber überall in
       Ostdeutschland ist sie längst sozialdemokratisch mit ein paar
       sozialistischen Einsprengseln. In Thüringen hat Ramelow sie zur sozialen
       Alltagspartei entwickelt.
       
       Mohring bizarr: Am Sonntag hat er genau das Gegenteil dessen verkündet, was
       soeben klar geworden war wie nie. Thüringens Mitte heißt Ramelow.
       Gewerkschafter, evangelisch, Landesvater – [2][der Ministerpräsident hat
       Stimmen von CDU, SPD und Grünen angezogen] wie ein riesiger Staubsauger.
       Vermutlich hat Ramelows Hund Atilla sogar die Tierschutzpartei
       angeknabbert.
       
       Dass eine Partei allen anderen Stimmen abspenstig macht, heißt nicht
       unbedingt, dass sie in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht oder dort
       steht. Von Linkspartei, CDU, SPD und Grünen sind am Sonntag Tausende
       Menschen zur AfD an den rechten Rand gewandert. Dass Ramelow sich in die
       Mitte entwickelt hat, drückt sich vielmehr in harter Regierungspolitik aus.
       Die AfD möchte ausgrenzen, Ramelow integriert.
       
       Er hat sich um einen Ausgleich mit Opfern des DDR-Regimes bemüht. Seine
       Regierung hat Geringstverdienern geholfen, indem der Freistaat nur Aufträge
       vergibt, wenn mindestens 11,42 Euro pro Stunde gezahlt werden. Seine
       Linkspartei hätte den Verfassungsschutz gern abgeschafft, [3][aber Ramelow
       suchte der Behörde in Stephan Kramer lieber einen Chef, der sie umbaut].
       Als die Landesregierung die Kreise und Gemeinden neu zuschneiden wollte,
       traf sie vor Ort auf Widerstand. Ramelow machte einen klugen Rückzieher,
       die Gemeinden durften selbst entscheiden, was sie machen.
       
       Ausgerechnet der Mann, der so kauzig ausrasten kann wie ein Waldgeist,
       versöhnt. Ramelow hat verstanden, dass er nur gewinnt, wenn er das macht,
       was jetzt nötiger ist denn je: den Laden zusammenhalten. Kein Wunder, dass
       Mohrings Wahlkampf nicht zündete, eine Wechselstimmungskampagne ohne
       Wechselstimmung.
       
       Ramelow hat die meisten Stimmen gewonnen, aber keine naheliegende
       Regierungsmehrheit. Für Rot-Rot-Grün reicht es nicht, weil SPD und Grüne
       mit 8 und 5 Prozent vergleichsweise winzig sind. Eine abermalige Mehrheit
       für das bisherige Bündnis war Ramelows Traum, jedoch nichts, auf das er
       zählen konnte. Für alles, was darunter liegt, hat er die bestmögliche
       Ausgangsposition erreicht. Die Linkspartei ist mit ihren 31 Prozent sehr
       deutlich die Nummer eins im Landtag. Mohring ist geschwächt, er kann kein
       Gegenbündnis bilden: Für die schwarz-rot-grün-gelbe Koalition reicht es
       nicht, und von der Höcke-Partei hat er sich maximal abgegrenzt. Die Lage
       ist kompliziert in Thüringen, aber dennoch ergeben sich für den
       Ministerpräsidenten drei Möglichkeiten:
       
       Erstens: Ramelow bleibt geschäftsführend im Amt. [4][Die Landesverfassung
       erfordert es in Thüringen nicht], in einer bestimmten Frist einen neuen
       Ministerpräsidenten zu wählen. In Sachsen zum Beispiel löst sich der
       Landtag in so einem Fall auf, es kommt zu Neuwahlen. In Thüringen nicht.
       Das Erfurter Parlament bräuchte eine Zweidrittelmehrheit, um Neuwahlen zu
       beschließen. Geschäftsführend könnte Ramelow keine neuen Minister berufen;
       geht ein Ressortchef, müsste ein anderer mitübernehmen. Für Gesetze müsste
       Ramelow im Landtag um Mehrheiten werben. Aber so viele Gesetze werden in
       den Ländern nun auch wieder nicht gemacht. Den Haushalt müsste eine
       geschäftsführende Regierung mit CDU oder FDP aushandeln – nächstes Jahr,
       denn das Budget für 2020 hat die rot-rot-grüne Regierung vorsorglich
       bereits verabschiedet.
       
       Zweitens: Ramelow lässt sich mit einfacher Mehrheit wählen. Die Verfassung
       sieht vor, dass Regierungschef ist, wen die Mehrheit der Mitglieder des
       Landtags wählt. Klappt das in zwei Wahlgängen nicht, reichen auch die
       meisten Stimmen. CDU und FDP könnten sich enthalten. Sie haben zwar eine
       Regierungskoalition mit Ramelow ausgeschlossen, aber alles was darunter
       kommt, wäre leichter machbar. Ramelow könnte ihnen entgegenkommen, damit
       sie seine Regierung stützen. Wie wäre es beispielsweise mit einem
       parteilosen Digitalminister, der nah an der FDP dran ist?
       
       Drittens: Ramelow erreicht, dass doch jemand etwas anderes tut, als er vor
       der Wahl gesagt hat. Etwa dass die CDU sich zur ersten dunkelrot-schwarzen
       Koalition entschließt. In der Partei käme ein ganz schönes Getöse auf nach
       Jahrzehnten der Rote-Socken-Kampagne. Die AfD würde diesen Schritt in ihrer
       PR maximal für sich nutzen. Hitzige Debatten fänden statt, in der
       Hauptstadt, auf Twitter, auf Facebook. Aber in Erfurt, in Saalfeld, in
       Sömmerda? Eher nicht. Ramelow ist weithin beliebt. Zum politischen Alltag
       in Städten und Dörfern gehört es schon ewig, dass die Linke mitmacht.
       
       Gut möglich, dass von diesen drei Varianten zunächst die erste greift, dann
       die zweite und vielleicht nach ein oder zwei Jahren die dritte. Mike
       Mohring dürfte das wissen. Dass er etwas Borniertes gesagt hat, heißt
       nicht, dass er borniert ist. Vielleicht ist sein widersprüchliches
       Wortgebilde von der „demokratischen Mitte“, der die Linkspartei nicht
       angehöre, einfach Ausdruck eines Zwiespalts, ein Mohring'scher Versprecher.
       Nach einmal drüber schlafen [5][sagte Mohring im ARD-Morgenmagazin], er sei
       bereit für Verantwortung.
       
       Die Frontstellung zwischen CDU und Linkspartei wird im Wahlkampf abgerufen.
       Aber im Alltag löst sie sich auf im Staate Thüringen mit Bodo Ramelow in
       der Mitte.
       
       28 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5636303
   DIR [2] https://www.tagesschau.de/inland/thueringen-waehlerwanderung-101.html
   DIR [3] /Bilanz-einer-Geheimdienstreform/!5633212
   DIR [4] https://www.thueringen.de/imperia/md/content/landtag/gesetze/verfassung_internet.pdf
   DIR [5] https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/morgenmagazin/videos/von-haaren-und-mohring-zu-landtagswahl-thueringen-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Georg Löwisch
       
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