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       # taz.de -- Nachruf auf Pop-Art-Maler Richard Hamilton: Statusbewusst, aber ansprechbar
       
       > Kein Konzept war ihm zu verstiegen: Zum Tod des Londoner Pop-Art-Malers,
       > Radierers, Beatles-Cover-Gestalters Richard Hamilton.
       
   IMG Bild: Hamilton 2008 in der Kunsthalle Bielefeld.
       
       Richard Hamilton hat das Wort "Pop-Art" nicht erfunden, aber als es in
       Umlauf kam, war er dabei. Man könnte sogar sagen, dass er und die anderen
       Verschworenen der Londoner "Independent Group" nach dem Wort gesucht hatten
       oder nach der Formel, die der Verwandlung von Dingen des Alltags in Kunst
       den angemessenen Glanz verleihen würde.
       
       Es war keineswegs von vornherein klar, wohin er gehörte: zu den
       Technikfreaks oder zu den Künstlern. Die Kriegsjahre tüftelte er in den
       Labors von EMI, als junger Hochschullehrer reparierte er verwaiste
       Lithowerkstätten in Newcastle und tourte 1959 mit seinem Vortrag "Glorious
       Technicolor, Breathtaking CinemaScope and Stereophonic Sound". Er
       fotografierte sein Publikum, um zu zeigen, was die brandneue Polaroidkamera
       leistete. Bezeichnenderweise ist seine erste durchschlagende künstlerische
       Arbeit eine Collage. Sie zeigt ein nahezu nacktes Paar, er Beefcake und sie
       mit Atombusen, in einer Souterrainwohnung am Kino-Broadway, das Interieur
       ein Verschnitt von Sofamoderne und Gadget-Spießertum: "Just what is it that
       makes todays homes so different, so appealing?" Die Parodie, formal
       schwierig, von ihm bis an die Grenze ihrer Erschöpfung variiert, ist
       Richard Hamiltons Markenzeichen geblieben. Das Banale wurde ausgeschmückt,
       als ginge es um eine Zeremonie am königlichen Hofstaat.
       
       Ihn interessierte, wie Konsumenten sich die Dingwelt zu eigen machen. Das
       studierte er an einem ihm fernliegenden Medium, US-Hochglanzmagazinen. Den
       1957er Buick, ein Monster, stellte er dar als puddinghaftes Puzzle, halb
       Flugzeug, halb menschlicher Körper; das Bestaunen des Fremden übersteigert
       ins Eklige. Als Titel des Gemäldes (1958) wählte er "Hers is a lush
       situation" (Üppig ist ihre Lage), zitiert aus dem Text der Zeitschrift
       Industrial Design, der den 300-PS-Straßenkreuzer einer Fahrerin
       unterschiebt.
       
       In heutiger Terminologie war Hamiltons Interesse "gender", das ganze
       Register von Zuschreibungen, das auf die Geschlechterdifferenz bezogen ist.
       Er versuchte sich an Männermoden, Kosmetik und Wohnzimmern, bis er bei rot
       und rosa Blumenstillleben und tagtraumartigen Waldszenen mit weißberockten
       Feen ankam, Mitte der siebziger Jahre. Die Stillleben und Landschaften
       bezogen sich auf ein mehrlagiges Klopapier der Marke Andrex. Hamilton
       entdeckte in der Bildsprache von dessen Werbung ein fieses Herumfingern im
       weiblichen Imaginären mittels malerischer Klischees vom Reinen und Schönen.
       Diese vehement bejahend, löckte er wider den dialektischen Stachel.
       
       ## Waren, Werbung, Lifestyle
       
       Gemessen an Warhol oder Lichtenstein in New York, deren grafische
       Vereinfachung in der Tat "pop" (populär) sein sollte und auch wurde, blieb
       Richard Hamilton, als Brite, ein halbwegs europäischer Künstler. Als
       Printmaker (in Farbe) darin geschult, Bildebenen getrennt zu entwerfen,
       changierte er auch im malerischen Werk zwischen fotografischer Perspektive
       und malerischer Geste, Grund und Relief, Schwarz-Weiß und Farbe, Positiv
       und Negativ. Mit Vermeerscher Akribie wälzte er seinen kleinen Schatz von
       Motiven, unter dem die Lektüren wucherten: Waren, Werbung, Lifestyle;
       Hollywood, Horror, Sciencefiction; Literatur, Medien, Kunst. Man sieht
       seinen Einfluss bis zu zeitgenössischen Künstlern wie Luc Tuymans und
       Rosemarie Trockel: weniger seinen Stil, eher sein Instrumentarium, das
       klandestine Verweben visueller Bezüge und Referenzen.
       
       Anders als die meisten Künstler seiner Zeit - und Richtung - hatte Hamilton
       einen engen Draht zur gestalterischen Moderne. 1958 war er zu Gast an der
       Hochschule für Gestaltung in Ulm. Seine Wohnung in Highgate war ein
       Vorzeigeobjekt funktionaler Eleganz. Immer dran an neuen Technologien,
       bekam er auch Aufträge als Industriedesigner - Verstärker, Computer -, die
       er mit makellosen schwarzen Containern beantwortete. Das Logo von "BRAUN"
       machte er zu "BROWN", ein perfekter typografischer Diebstahl.
       
       Die Verhaftung seines Galeristen Robert Fraser im Februar 1967 gab dem
       Künstler ein neues Thema: Justiz und Medien. Ein Zeitungsbild: Fraser und
       Mick Jagger aneinandergekettet in einem Auto, vom Fotografen geblitzt,
       jeder mit der freien Hand vorm Gesicht - führte zu einer Siebdruckserie mit
       dem feinsinnigen Titel "Swingeing London" ("swinge", "hart zuschlagen",
       meint die drakonische Strafe).
       
       ## Kreuzung von Moderne und Pop
       
       Die Galerie brachte auch den Kontakt mit Paul McCartney. Für das "White
       Album" entwarf er das weiße Klappcover mit den schwarz-weißen Porträts
       drinnen: pures Ulm. Aber die fünf Millionen Käufer bekamen eine Offsetlitho
       dazu, eine fantastische grafische Collage, die den Übergang der Beatles von
       greifbaren Menschen zu medialen Markenzeichen darstellt: purer Hamilton.
       Seine Coverart ist die Kreuzung von Moderne und Pop, von "weniger ist mehr"
       mit dem immer sprudelnden Brunnen. Ohne Hamilton hätte es die Verbindung
       nicht gegeben.
       
       Richard Hamilton war ein schmaler Mann mit Wuschelhaaren und Fisselbart,
       seines Status bewusst, aber ansprechbar. Die Sinnlichkeit seiner Kunst -
       das entnervend Verführerische - war solide fundiert. Er war verwurzelt in
       den Kunstströmungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, Kubismus und DaDa,
       FotoTypo und Collage. Am weitesten getrieben hat ihn seine Recherche des
       Werks Marcel Duchamps, mündend in die Rekonstruktion des "Großen Glases",
       wie es in der Tate Gallery zu besichtigen ist. Hamilton sah Duchamp nicht
       als Anti-Künstler, Verweigerer und Besserwisser - und beerbte deshalb auch
       nicht die später so modisch gewordenen Attitüden, die Großmannssucht, die
       negative Teleologie.
       
       Duchamp war ein Vorbild für Hamilton, weil er ihm eine Brücke baute
       zwischen Tüftlertum und Weltdeutung, zwischen dem ewigen Künstler namens
       Bräutigam und seiner immer wartenden Braut namens Kunst. Es hat eine
       gewisse Logik, dass "pop" in London, bevor die Musik sich so nannte, das
       kollektive Imaginäre meinte und seine Wurzel im Unbewussten. In einem
       Stammbaum der Kunst des 20. Jahrhunderts war Hamiltons Kunst der letzte
       Zweig der surrealistischen Bewegung; ihr lebendigster, flexibelster Arm.
       
       Während es ein Markenzeichen der US-Pop-Künstler wurde, sich hinter Formeln
       - "From A to B and back again" - zu verschanzen, war Hamilton jedem
       Argument zugänglich. Um zu zeigen, woher er kam, drängte er seine
       Schriften, Interviews, Quellen, Studien und Werke in ein Buch, das 1982
       erschien. Es hieß "Collected Words". Das war nicht nur ein Wortspiel mit
       "collected works", sondern zugleich die Offenbarung seiner Suche nach dem
       Wörtlichen: das Logo der Pastis-Firma "RICARD" als unentwegter mediterraner
       Ruf nach "RICHARD" (zum Beispiel). Er wurde geboren am 24. Februar 1922 als
       jüngster Sohn einer Familie, die - der Vater uniformierter Chauffeur - den
       Anschluss an das bessere Leben suchte und wohl auch fand. Mit zwölf hatte
       Hamilton seinen ersten Mentor. Aufgehalten durch den Krieg, wurde er ein
       Speicher für Technik, Bilder, Theorie und Trash: seine Forschheit gebremst
       durch seine Erfahrung. Das ist eine seiner Verbindungen mit Beuys, dieser
       ein Jahr älter, den er in Düsseldorf besuchte.
       
       ## Hip und liebenswert
       
       Man könnte sein Leben auch anders erzählen. Über den Unfalltod seiner Frau
       Terry 1962, sie hatten zwei kleine Kinder, oder seine Heirat mit Rita
       Donagh 1991, mit der er sein zweites Leben so lange geteilt hatte. Über
       seine Freundschaft mit Dieter Roth und deren etwas zu feucht-fröhliche
       Zusammenarbeit. Über sein Haus in Cadaqués oder das Haus in Oxfordshire,
       gekauft als Ruine und verwandelt in ultimativen Chic. Oder man erzählt sie
       als klassischen Erfolg, über die Retrospektiven, über die Präsenz in großen
       Museen, über seinen Teil an der Documenta. Der Erfolg aber hat seine
       stechende Vision nicht gemildert. Kein Konzept war ihm zu verstiegen; jedem
       noch so geringen Werk hat er immense Sorgfalt angedeihen lassen. Richard
       Hamilton, der am Dienstag 89-jährig starb, wird in Erinnerung bleiben als
       Künstler der (Geistes-)Gegenwart, hip und liebenswert, ein rarer Charakter.
       
       14 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulf Erdmann Ziegler
       
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